Rieger-Betten
Aus der Randlage eine Tugend machen
GÖRLITZ - Die örtliche Lage von Rieger-Betten ist in der Tat eine besondere: Das Bettenfachgeschäft - nur etwa fünf Kilometer von der polnischen Grenze entfernt - ist das östlichst gelegene Deutschlands. Aber dieser Fakt hat lediglich statistischen Wert. Von Belang dagegen ist, dass Rieger-Betten am äußersten Stadtrand im Westen des kreisfreien Görlitz liegt; als Einzelstandort im Grünen kaum zwei Steinwürfe entfernt vom Ortsausgangs- bzw. Ortseingangsschildes. Die doch beträchtliche Distanz zu den städtischen Wohngebieten ist zweifellos ein Handicap.
Glücklicherweise wird der Umstand gemildert, weil wenigstens der auf einer früheren Bundesstraße vorbeifließende Verkehr der auffälligen Architektur des Betten-Hauses angesichtig wird und die Wahrnehmung der Existenz sich somit "mobil" in der Stadt und dem Umland verbreitet.
Dem ist so, wie die Herkunft der Kunden verrät und belegt. Sie kommen aus der Stadt Görlitz sowieso, der gesamten östlichen Oberlausitz, aus Zittau, aus der Region um Niesky und Weißwasser. In aller Regel ist das Kundschaft, die sich bewusst zu Rieger-Betten auf den Weg macht nach Bettwaren in Fachhandelsqualitäten, wie sie bei den auch in der Neißestadt präsenten Großanbietern - vom Dänischen Bettenlager über Discounter mit Heimtextilien-Offerten bis hin zu diversen Möblern - nicht zu haben sind. "Insofern haben die Kunden, die uns so zielgerichtet aufsuchen, mit unseren Preisen im allgemeinen keine unlösbaren Probleme", erläutert Geschäftsführerin Birgit Rieger die Situation; "ein bisserl problematisch ist es schon. Aber es hat sich herumgesprochen, dass man bei uns für gutes Geld nach intensiver Beratung auch gute Ware erhält."
Damit hat sie zugleich das Fundament ihrer Geschäftsphilosophie benannt. Die Qualität müsse stimmen und darauf fußend das stimmige Preis-/Leistungsverhältnis der Angebote in mittlerer bis gehobener Preisschiene. Deshalb werde in erster Linie in den Auslagen Qualität präsentiert. Zu den Prinzipien gehöre auch, so wenig wie möglich über den Preis zu agieren. Genauso müsse der Kunde am Service spüren, dass er hier König ist. Stichwort Service: Reinigung von Federn- und Daunenbetten, Umarbeitung von Zudecken und Steppdecken, kostengünstige Entsorgung von Matratzen und Bettwaren, Matratzenanlieferung nach gestaffelten moderaten Preisen entsprechend km-Zonen. Weniger vor materiellem, mehr vor ideellem Hintergrund sind andere Serviceleistungen zu sehen. Birgit Rieger bezeichnet diesbezüglich ihre Bemühungen, das Geschäft für die Kundschaft transparent zu machen - eben um Öffentlichkeit herzustellen -, als vertrauensbildende Maßnahmen. Der Kunde kann in der in den Laden integrierten Näherei live dabei sein, wenn seine Wunsch-Bettdecke oder -steppdecke entsteht bzw. abgeändert wird; genauso bei der Reinigung oder Neubefüllung der Bettwaren. Es gibt monatlich einen Produktions-Schautag in der Rieger-Betten angeschlossenen Schafwoll-Aufbereitung und Verarbeitung. Das Haus steht offen für Schulen und Kindergärten. Weil als Dienstleistungs-Maxime gilt, möglichst vieles sofort zu erledigen, werden notwendige Wartezeiten mit Imbiss bei Kaffee oder Tee verkürzt; in dem Zusammenhang ist der Begriff "Männeraufbewahrungs-Ecke" gar nicht negativ besetzt.
Fachhändler ist Rieger-Betten Mitte 1990 geworden. Zuvor war das seit 1930 bestehende Familienunternehmen reiner Hersteller von textilen Polster- und Füllmaterialien; auch über die DDR-Zeit, in der zusätzlich die Produktion von Steppdecken aufgenommen wurde. Mit der "Wende" spezialisierte man sich auf Schafwollprodukte. Ziel des neuen Unternehmens Rieger Betten & Naturwaren GmbH & Co. KG war, ein "umfangreiches Sortiment aus bester deutscher Schafwolle" anzubieten. Das ist bis heute so; Hauptprodukte aus eigener Fertigung sind entsprechende Steppdecken - 300 bis 500 Stück monatlich -, Unterbetten und Kissen, die anfangs im Betriebsverkauf vertrieben wurden. Darüber hinaus als Bettenfachhändler ein ausgewogenes Sortiment an Erzeugnissen rund ums Bett vorzuhalten, diese Chance eröffnete der 1997 fertiggestellte Anbau an das Hauptgebäude der Firmen-Immobilie.
Unter dem Dach der eigenwilligen Konstruktion - Holz, Stahl und Glas kombiniert - entstanden auf zwei Etagen insgesamt 900 qm Verkaufsfläche, auf denen Bettwaren in ihrer ganzen Breite von ausgewählten, auch namhaften Lieferanten angeboten werden.
Viel Platz davon beansprucht die weiche Ware: Neben den Naturfaserbetten vermag im Federn / Daunenbereich die Sächsische Bettfedernfabrik Brüder Sluka mit ihrer komplexen Offerte von Fertigerzeugnissen bis lose Ware als Lieferant Akzente zu setzen. Gleichermaßen Anspruch erheben im auch ziemlich raumgreifenden Bettwäsche-Sortiment die Erzeugnisse von "Bassetti", die mit ihrer farblichen Opulenz insbesondere für die Highlights in der Dekoration sorgen. Man sei ausreichend sortiert in den Angebotssegmenten Bettwaren-Synthetics, Frottier, Heimdecken und Matratzen bzw. Unterfederungen. Letzterer Teil scheint indes unterrepräsentiert. Es ist nicht so, dass die Lieferanten "Tempur" und Freyja-Schlafsysteme mit ihren Produkt-Spektren die differenzierten Bedürfnisse nicht abdecken könnten und auch die Konzentration auf die beiden Anbieter ist akzeptabel. Aber Reserven liegen offensichtlich in der Eigendarstellung von Rieger-Betten als der Spezialist vor Ort mit Qualitätserzeugnissen für gesunden Schlaf respektive ergonomisch richtiges Liegen.
Dieser Bereich - als Matratzenstudio deklariert oder nicht - könnte in sich großzügiger und informativer gestaltet werden mit der Absicht, von sich aus schon mehr Kompetenz zu versprechen und widerzuspiegeln. Kompetente Beratung ist dank Schulungen seitens der Geschäftsleitung in Kooperation mit den Lieferanten zweifellos gegeben. Auffällig ist auch das Nebensortiment Fellwaren wie Fellschuhe und -westen, Schafwolldecken, Strickwolle aus reiner Schurwolle und Schafwollsocken. Aus Resten der Eigenproduktion (Wollflor und Schafwolle) werden Kuscheltiere gefertigt und verkauft. Für kreative Gestaltungen stehen Schafwollvlies, Spinnband und Kammzug zur Verfügung.
Sprichwörtlich augenfällig ist die Ladenausstattung. Gleichfalls zum Verkauf stehende Naturholzmöbel wie Schränke, Regale und Truhen dienen als Warenträger. "Das macht eine schöne Atmosphäre, was uns besonders wichtig ist", wie die Geschäftsführerin das eigenständige und charismatische Ambiente der Verkaufsetagen kommentiert. Sie selbst werde von der Leitung des 19 Mitarbeiter zählenden Betriebes (Produktion und Handel zusammen) so stark in Anspruch genommen, dass sie sich in gewissem Rahmen auch beim Wareneinkauf auf ihre acht im Verkauf tätigen Spezialistinnen' stütze, "die am besten wissen, was der Kunde verlangt."
Weil die Randlage des Bettenhauses eben nicht ganz unproblematisch ist, hat sich Rieger-Betten mit einer zweiten Dependance im Görlitzer Stadtzentrum platziert. Der 100 qm große Laden in einer Passage ist - da hier Laufkundschaft gegeben - anders bestückt. Schaufenster bieten die Möglichkeit der Präsentation von Bettwäsche, Frottier und Bettdecken. Kunden, die dort hinkommen wegen neuer Bettausstattung in punkto Matratzen und Unterbau, lassen sich im Regelfall umlenken ins Stammhaus, wo anders als am Innenstadt-Standort auch ausreichend Parkplätze zur Verfügung stehen. Das Stadtgeschäft bietet deswegen als Zusatzservice die Anlieferung sämtlicher Ware in die Wohnung an. Auftragsannahme für Reinigung und Umarbeitung von Bettwaren - das ist auch dort Standard.
Das Problem "Randlage" ist permanent Gegenstand konzeptioneller Überlegungen, auch solcher Richtung Osten. In Zgorzelec, dem jenseits der Neiße gelegenen polnischen Teil von Görlitz, fehlt noch eine entsprechende Fachhandelsstruktur. Liegen also hier Reserven? Gibt es überhaupt ein auf preisintensivere Fachhandelsprodukte reflektierendes polnisches Käufer-Klientel? Wie könnte diesbezüglich Werbung in eigener Sache geschehen? Wie zieht man potentielle polnische Kunden an? Ändert sich die Lage mit dem möglichen EU-Beitritt Polens in 2004? Und bleibt die Zollgrenze bestehen?
Auf Fragen, die die Grenznähe zu Polen aufwirft, ist aber noch keine schlüssige Antwort gefunden. Zumal sich der Käuferstrom angesichts schwindender Kaufkraft vieler Bürger in Görlitz noch immer mehr von West nach Ost zu bewegen scheint. Und damit sind wiederum neue Tatsachen geschaffen: Bettwaren in Qualitäten eher niedriger Preislagen bietet in Zgorzelec ein Supermarkt an, den im kleinen Grenzverkehr auch viele Görlitzer nutzen, zumal eine Extra-Buslinie den deutschen "Marktkauf" mit dem polnischen "Real-Markt" geradewegs verbindet...
aus
Haustex 06/03
(Handel)