Zur Lage
Der Handel braucht Konzepte
HERFORD - Wo man hinhört, wird gejammert. Nahezu alle Branchen und Bereiche in der deutschen Wirtschaft (bis auf wenige Ausnahmen) stimmen ein Klagelied an, wenn es um die Beurteilung der derzeitigen Situation inklusive Zukunftsaussichten geht. Nichts ist mehr wie früher, als konstant nach oben tendierende Umsatzzahlen immer wieder Freude bereiteten und unternehmerisches Engagement noch von Erfolg gekrönt war. Heute dagegen zeigt sich die gesamtwirtschaftliche Lage eher von ihrer schlechten Seite: Die Rahmenbedingungen und die anhaltende Flaute im Handel sind sicher die Hauptgründe dieses Dilemmas. Davon betroffen ist natürlich auch die Bettwäsche-Branche.
Ein stagnierender Markt, eine schwache Inlandskonjunktur, steigender Importdruck, starker Preisaktionismus im Handel sowie geringe Renditen bei immer weiter nach oben tendierenden Kosten (Rohstoffe, Löhne usw.) sind jene widrigen Faktoren, die ein nicht gerade rosiges Bild prägen. Aktuell ist eine absolute Kaufzurückhaltung zu spüren, welche die allgemeine Unsicherheit und Unzufriedenheit der Bevölkerung widerspiegelt. Nicht zu vergessen die in letzter Zeit dramatisch angestiegene Insolvenz-Entwicklung, die ehemals renommierte Unternehmen von der Bildfläche verschwinden ließ und lässt - mit allen daraus resultierenden negativen Konsequenzen. Mit Sorge muss auch die Häufigkeit an Angeboten von Bettwäsche bei "Aldi & Co...nsorten" betrachtet werden. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an Kreativität und Servicebereitschaft, während parallel dazu die Bestelleinheiten häufig einer gewissen Schwindsucht unterliegen. Dies führt letztendlich dazu, dass der Anteil der in Deutschland vollständig oder teilweise produzierten Bettwäsche weiter zurückgehen wird. Die Textilindustrie besteht traditionell aus überwiegend mittelständischen, d.h. kleineren Unternehmen. Kostenvorteile, die mit großen Produktionsmengen einhergehen, müssen von den mittelständischen Firmen durch Innovationen durchbrochen werden. Dies gilt vor allem auch für die deutsche Bettwäsche-Industrie. Die Hersteller werden sich noch mehr als in der Vergangenheit entscheiden müssen, mit welchen Partnern im Handel sie zusammenarbeiten wollen. Denn man kann nicht der billige Mengenanbieter auf der einen Seite und der exklusive Markenhersteller auf der anderen Seite sein.
Das "Innovationsmotiv Nr. 1" kann deshalb nur die Kreativität sein. Mit hochmodischer Ware, gekonnten Dessinierungen und gefälliger Farbharmonie lässt es sich wesentlich besser verkaufen als nur über das Segment Preis. Leider werden die Messeneuheiten, die jetzt im Markt sind, durch die fehlende Kundenfrequenz blockiert. Im Importbereich ist eine eklatante Zunahme aus Pakistan, bedingt durch Zoll und Antidumping-Wegfall, zu verzeichnen. Dessin- und Farbtendenzen sind schwer auszumachen, selbst die Trend-Analysten widersprechen sich zum Teil. Einigkeit herrscht jedoch meist darin, dass klare grafische Musterungen in den jeweiligen Kollektionen das Hauptgewicht ausmachen müssen. Mit ausschließlich floralen Mustern scheint der Markt mittlerweile übersättigt zu sein. Auf dem Vormarsch dagegen sind eindeutig auch Kombithemen in Richtung floral/grafisch und floral/Streifen. Etwas rückläufig in der Gunst der Verbraucher ist die jahrelang überaus erfolgreiche Rose. Zwar ist sie noch immer nicht aus den Kollektionen wegzudenken, aber ihre Bedeutung lässt nach. Ein starkes Farbthema für Herbst/Winter werden alle Rottöne von Bordeaux über Rubin und Karmin mit dezent eingesetzten Schmuckfarben wie Pink und Violett sein. Warme, harmonische Kolorierungen sind auf dem Vormarsch, wobei Terrakotta z.B. eine wichtige Rolle spielt. Aber auch die proklamierte neue Möbelfarbe Braun, die in allen Abstufungen das Farbspektrum neu beleben soll, setzt gewisse Akzente. Wer sich von den preisaggressiven Angeboten distanzieren will, räumt gefälligen Konfektionsvarianten einen breiteren Raum ein. Bei den Materialien spielt die Baumwolle nach wie vor eine überragende Rolle, wobei Bügelfreiheit und Pflegeleichtigkeit weiter gewinnen. Neben den traditionellen Qualitäten Satin und Jersey aus 100 Prozent Cotton erfahren auch Microfasern aus Polyester, die dem Endverbraucher über Sport und Funktionalität bekannt sind, eine immer stärkere Akzeptanz. Und über die Ausrüstung wird sogar der Hausstaubmilbe, dem Geruch oder dem Elektrosmog zu Leibe gerückt!
Der Handel braucht Hersteller-Konzepte und -Marken, um die für seine Leistungen relevanten Deckungsbeiträge über im Markt verankerte Hersteller-Preislagen zu generieren. Die Verbände, Konzerne, Filialisten und die Versender trauen sich zu, über ihre Handelsmarken alle ihre Ziele gleichzeitig zu erreichen: Mit günstigen Verkaufspreislagen die Leistungsfähigkeit des Händlers aufzeigen und gleichzeitig Stückdeckungsbeiträge einzufahren. Doch die Qualität der eingesetzten Artikel entspricht in den seltensten Fällen dem hierfür angesetzten Verkaufspreis. Und die Herstellermarken ihrerseits werden oft durch unseriöse Preis-Gegenüberstellungen in ihrer Glaubwürdigkeit beschädigt. Gute Qualität "made in germany", ein vernünftiger Preis, innovative Sortimentspolitik und schneller, optimaler Service sind die Garanten zum Erfolg. Genau wie die Industrie muss sich der Handel entscheiden, mit welchen Marken er zusammenarbeiten möchte. Dabei gilt es, sich abzugrenzen und seine Mitbewerber genau zu beobachten.
Jene Fachhändler, die es schaffen, durch hervorragende, d.h. großflächige, "Lifestyle"-mäßige Präsentationen und mustergültige Themendarstellungen Stimmung zu vermitteln und dadurch die Kaufbereitschaft bei ihrer Kundschaft zu wecken, werden nach wie vor eine "gute Ernte" einfahren. Auch die Einbindung der Bettwäsche in größer dimensionierte Themen dürfte sich positiv auswirken. Hierzu bieten sich die Nutzenargumente der neuen Fasern und Ausrüstungsformen an, die von den Matratzen über die Betten bis zur Bettwäsche aus einem Guss aufgezeigt und erklärt werden könnten. Fort vom reinen Nutzenkauf und hin zum "Wellnesskauf für die Seele"! Ein Wort noch zur Dessin-Vielfalt: Bei immer kleineren verkauften Stückzahlen und gleichzeitigem Preisdruck kann diese auf Dauer nicht mehr am Leben gehalten werden. Eine Reduzierung der Dessins - ohne dabei auf Mode und Vielfalt zu verzichten - wäre daher nicht nur wünschenswert, sondern sie obliegt der betriebswirtschaftlichen Notwendigkeit für Hersteller und Lieferanten.
Dietram Neuper
aus
Haustex 05/03
(Handel)