Polnische Textilindustrie

Zwischen Nähstube und Marken-Offensive


Leipzig - Mit einem "Ländertag Polen" hatte die Fachmesse Comfortex den Textilmarkt des östlichen Nachbarstaates in den Mittelpunkt gestellt. Der Blick über die Grenze sollte den Messebesuchern zeigen, welche Chancen es gibt, mit polnischen Unternehmen zu kooperieren.

Dabei verwies Jerzy Osika, Branchenspezialist und Chefredakteur im Warschauer Fachverlag Promedia, auf bestehende Ansatzpunkte: "Deutsche Matratzenhersteller lassen schon in Polen arbeiten; auch andere deutsche Textilfirmen nutzen einerseits die hier zweifellos vorhandenen Produktionserfahrungen und andererseits das günstige Lohngefüge. "

Osika referierte in Leipzig im Rahmen des Ländertages zum Thema "Gegenwart und Visionen des polnischen Marktes" und stellte voran: "Deutsche Firmen sollten wissen, dass die Umgestaltung der polnischen Textilindustrie noch in vollem Gange ist. Von der Investition über die Lohnfertigung bis zum Warenverkauf ist alles möglich." In dem Zusammenhang: Polen sei anders als Tschechien, nicht nur nach Größe und Einwohnerzahl, sondern auch von der Struktur her. "Wir sind jetzt das sechstgrößte Land in der EU und haben neben der Hauptstadt Warschau eine Reihe von Großstädten mit großem Käuferpotential - wie z.B. Breslau, Krakau oder Lodz."

Gerade im Umkreis dieser Großstädte gebe es Arbeit und Geld. Für potentielle deutsche Lieferanten wichtig zu wissen seien auch ganz praktische Details; u.a. dass die Betten in Polen kleiner sind als in Deutschland und damit die Bettwäsche andere Maße hat. Oder dass in Polen durchschnittlich 3,2 Personen in einer Wohnung leben, in Deutschland dagegen nur 2,1 Personen. Für Raumtextilien stehe daher weniger Platz zur Verfügung, was sich wiederum auf Größenordnungen und die Mustergestaltung auswirke. Darüber hinaus informierte Jerzy Osika, wie sich in Polen der Eigenheimbau entwickelt, welche Einkaufsgewohnheiten typisch sind und wie die Preise in der Raumausstatterbranche liegen.

Höherwertiges im Trend

Das Lohnniveau, das knapp unter der Hälfte des deutschen liegt, lässt bereits viele westeuropäische Textilfirmen in Polen arbeiten. Mittlerweile - so die vom Verband der Nord-Ostdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie getroffene Feststellung - drängt die polnische Textilindustrie aber auch mit eigenen Produkten auf den westeuropäischen Markt. Etliche profilierte Firmen seien schon auf wichtigen Messen vertreten, und zwar mit hochwertigen Markenprodukten.

Dieser Umstand war in Ansätzen auch zur Comfortex erkennbar - in der Präsenz von sieben polnischen Anbietern. Beispielsweise stellte sich mit der Firma Koronki der europaweit größte Hersteller von Klöppelspitze vor. Seine aus verschiedenen Garnsorten gefertigten Erzeugnisse zieren Tisch- und Bettwäsche, die bis nach Japan und Australien exportiert wird. Hochwertige Seidenbettwäsche ist die Spezialität des Unternehmens Dolwis in Lesna, das dort schon 1833 unter dem Namen Concordia gegründet worden war. Ein reichhaltiges Angebot handgemalter Tischdecken und gestrickter Gardinen zeigte die Firma M&E aus Wrzesnia. Polyester-Tischwäsche - bemalt und bedruckt - hatte neben Stores und Raffrollos die Gardinenfabrik Wisan aus Skopanie mit nach Leipzig gebracht.
Offensive Richtung Deutschland

Wie der Fachjournalist Jerzy Osika informierte, versuchen andere polnische Firmen zunächst, über Auslandsvertretungen oder Handelskammern Kontakt zu deutschen Partnern aufzunehmen. Ende August lagen z.B. bei der Wirtschafts- und Handelsabteilung der polnischen Botschaft in Berlin Nachfragen von 61 Textilfirmen zu Kooperationen mit deutschen Unternehmen vor. Die meisten von ihnen unterbreiteten Angebote zur Lohnveredlung oder suchten Investoren. Eine wachsende Zahl von Anfragen gilt potentiellen deutschen Vertriebspartnern. Gerade im grenznahen Bereich würden Kooperationen gesucht, bestätigt die IHK Frankfurt/Oder.

Mit dem EU-Beitritt Polens und somit dem Wegfall von Zöllen und Handelsbeschränkungen hat sich die Kooperation mit deutschen Firmen vereinfacht. Andrzej Skrzydlo, Sekretär der polnischen EU-Mission in Brüssel, sieht darin "eine große Chance für unsere Unternehmen, nicht mehr nur als Nähstube zu dienen. Die Zugehörigkeit zur Europäischen Union garantiert ein einheitliches Rechtssystem. Das wiederum hilft der Textilbranche insgesamt."

Die polnische Textilindustrie hat inzwischen landesweit ihre Traditionen neu belebt. Die Produktion wurde nicht nur privatisiert, sondern zum großen Teil auch modernisiert; mit dem Ergebnis, dass in Polen rund 1.200 Unternehmen in der Branche tätig sind. Nach Angaben des europäischen Textilverbandes Euratex stellten sie im Jahr 2003 Textilien im Wert von 1,894 Mrd. Euro her.
aus Haustex 11/04 (Haustextilien)