Warum Handel und Verbraucher so oft am Handel vorbei agieren

Von Kunden und anderen Fremdkörpern

Der erfolgreiche Angriff auf Kopf, Herz und Portemonnaie des Verbrauchers kann nur funktionieren, wenn Industrie und Handel aus seiner Richtung denken - und nicht umgekehrt! Das führten Peter Döhle und Oliver Schmitz in ihrem engagiert vorgetragenen Referat aus, dessen Kernaussagen und statistische Daten zu einem großen Teil aus der bekannten Studie Sleep & Dream 2003 stammten.

Sozusagen zum Aufwärmen präsentierten Peter Döhle und Oliver Schmitz fünf provokante Thesen:

Die meisten Unternehmen der Branche klagen über Umsatzrückgänge zwischen 5 und 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die wenigsten Entscheider haben diese Veränderung zum Anlass genommen, die eigene Positionierung und (Marketing-)Strategie komplett in Frage zu stellen.

Die meisten Unternehmen unserer Branche würden behaupten, ihre Kunden und deren Wünsche zu kennen. Sie halten sich für kundenorientierter als der Wettbewerb. Die wenigsten Unternehmen können jedoch ihre Zielgruppe klar beschreiben und wissen tatsächlich, welche Anforderungen und Wünsche Endkunden haben.

Die meisten Unternehmen der Branche positionieren sich über das Argument auch der Billigste zu sein in die Austauschbarkeit. Die wenigsten Unternehmen der Branche haben je - beispielsweise über eine Preiselastizitätsstudie - analysiert, welchen Preis die Endkunden tatsächlich zu zahlen bereit wären.

Die meisten Entscheider in unserer Branche glauben, dass sie das eigene Unternehmen sowie die eigenen Stärken und Schwächen genauestens kennen. Die wenigsten Unternehmer wissen jedoch, wie ihr Unternehmen im neutralen Mitbewerbervergleich aus Kundensicht tatsächlich gesehen wird.

Die meisten Unternehmen investieren zwischen 3 und 5 Prozent ihres jährlichen Umsatzes in Werbung. Die wenigsten Unternehmen investieren auch nur 1 Euro im Jahr, um das Informationsverhalten ihrer Kunden oder die Wirkung ihrer Werbung zu hinterfragen.

Gute Entscheidungen beruhen auf besseren Informationen, wie die Ergebnisse einer telefonischen Befragung in Industrie und Handel belegen. "Was glauben Sie, ist Ihren Kunden beim Einkauf wirklich wichtig?" lautete eine Frage; und 47,9 Prozent der Befragten nannten Preis/Leistung, 26,1 Prozent Aussehen/ Design, 21,8 Prozent Qualität und 13,1 Prozent Trends, wobei Doppelnennungen möglich waren. Das sahen die Konsumenten freilich ganz anders, denn auf die gleiche Frage nannten rund 48 Prozent Qualität, 29,6 Prozent gesundheitshygienische Aspekte, 27,6 Prozent Aussehen/Design sowie 21,4 Prozent Preis/Leistung. - So kann man sich demnach irren!

Insgesamt klafft die Schere zwischen dem, was Industrie und Handel im Sinne des Verbrauchers unternehmen, und dem, was Verbraucher wirklich wünschen, auf Grund zu wenig konkreter Infos weit auseinander. Folgende Aufzählung fasst stichpunktartig zusammen, was Hersteller und Handel tun können, um dem Verbraucher näher zu kommen:

Entscheidungshilfen für die Hersteller:

- Produkt- und Materialtests
- Potenzial-Analysen
- Telefonische Verkäuferbetreuung usw.

Entscheidungshilfen für den Handel:

- Standort-Analysen
- Aktive Kundennachbetreuung
- Kunden-Loyalitätsstudien usw.

Entscheidungshilfen für Handel und Hersteller:

- Roundtable-Gespräche mit Endkunden
- Positionierungsanalysen oder Image- und Konkurrenzanalysen
- Kundenzufriedenheitsbefragungen
- Copytests für Broschüren, Prospekte oder Radiospots
- Werbewirksamkeitsanalysen
- Preiselastizitätsstudien
- Zielgruppen-Segmentierung

Transparenz am Beispiel Sleep & Dream 2003

Mit der Messe Frankfurt als Auftraggeber und der m & m Team Bamberg GmbH als durchführendem Unternehmen hat die Studie Sleep & Dream 2003 auf der Basis einer repräsentativen Endverbraucherbefragung die Nutzung sowie das Informations- und Einkaufsverhalten beim Kauf von Heimtextilien und Möbeln im Bereich des Schlafzimmers untersucht. Dabei sollte im Wesentlichen herausgefunden werden, in welche Schlafzimmer-Typen sich der deutsche Markt aufteilt. Als Grundlage dienten computergestützte Telefoninterviews bei 2.000 repräsentativ für Deutschland ausgewählten Endverbrauchern. Zur qualitativen Analyse wurden zusätzlich zugesandte Fotos der jeweiligen Zielgruppe ausgewertet.

Von der Schlafstätte zum Aufenthalts- und Wohlfühlraum

Die Deutschen verbringen täglich durchschnittlich 8 Stunden und 38 Minuten im Schlafzimmer. Ohne die reine Schlafzeit wird das Schlafzimmer durchschnittlich 1,5 Stunden als Aufenthalts- bzw. Wohnraum genutzt. Zu den Viel-Schläfern zählen neben Arbeitslosen vor allem Schülerinnen und Studenten, während Unternehmer und Freiberufler zu den Wenig-Schläfern gehören. Für die Mehrheit (88 Prozent der Befragten) ist das Schlafzimmer zumindest teilweise ein Raum zum Wohlfühlen und Entspannen. Immerhin 34 Prozent gaben an, Kerzen bzw. Duftlampen in ihrem Schlafzimmer zu platzieren. Rund 60 Prozent der Bundesbürger sehen in ihrem Schlafzimmer einen Ort zum Rückzug in die eigene Privatsphäre. Rund 10 Prozent nutzen das eigene Schlafzimmer stets und 9 Prozent wenigstens manchmal als Raum zum Arbeiten und Lernen. In den neuen Bundesländern haben rund 7 Prozent einen PC im Schlafzimmer, im Westen sind es sogar rund 15 Prozent.

Heterogene Schlafzimmer-Einrichtung der Deutschen

Insgesamt sind die 18- bis 69-jährigen Bundesbürger mit der Einrichtung ihres Schlafzimmers zufrieden. Im Westen gibt es jedoch 8 Prozent und im Osten sogar 12 Prozent, die mit ihrer momentanen Schlafzimmer-Einrichtung hadern. In der Frage, ob sich die Schlafzimmer-Einrichtung aus einem Komplett-System mit Schrank, Bett und Nachtkonsole zusammensetzen oder lieber aus Einzelmöbeln bestehen sollte, zeigen sich die Deutschen gespalten. Von 11 Prozent der Befragten wird das Schlafzimmer intensiv, von weiteren 28 Prozent zumindest teilweise auch als Stauraum verwendet. Außer Möbeln gehören vor allem Bilder (83 Prozent), ein großer Spiegel (62 Prozent), Gardinen/Stores (60 Prozent), Teppichboden (60 Prozent) und Pflanzen (59 Prozent) zum festen Bestandteil der vorhandenen Schlafzimmer-Einrichtung.

Während im Osten mehr Bilder, Pflanzen, Tagesdecken und Bügeleisen im Schlafzimmer anzutreffen sind, finden im Westen mehr Dinge wie Fernseher (40 Prozent), Computer, Schreibtische/Sekretäre und Designer-Lampen ihren festen Platz im Schlafzimmer. Als Einrichtungsstil bevorzugt mehr als die Hälfte der Deutschen zeitlose, teilweise konsumige oder moderne Möbel. Alles in allem stellt sich das Einrichtungsverhalten der Deutschen sehr heterogen dar. Es lassen sich 11 Schlafzimmer-Typen definieren.

Der Konsument als gut informierter Preis-/Leistungsvergleicher

Als Hauptinformationsquelle der Endkunden fungieren die Anzeigen und Prospekte der Händler. 64 Prozent der Deutschen nutzen diese Möglichkeit, um sich vor dem Kauf intensiv zu informieren. Das Vergleichen der Preise gehört beim Einrichtungskauf für 61 Prozent der Bundesbürger dazu. Über Beratungsgespräche bei zumeist mehreren Händlern (52 Prozent) und Gespräche im Freundeskreis (30 Prozent) erhalten unsere Landsleute heute ausführliche Informationen. Neutrale Testergebnisse, wie sie beispielsweise die Stiftung Warentest publiziert, sind für 6 Prozent der Befragten "häufig", für weitere 24 Prozent immerhin "manchmal" von Bedeutung. Kaum weniger Endkunden halten sich laufend über Trends im Einrichtungsbereich (3 und 24 Prozent) auf dem Laufenden. 10 Prozent der Endverbraucher - insbesondere Frauen, Hausbesitzer, Premium-Käufer und Menschen ab 40 Jahren - lesen zu diesem Zweck Wohnzeitschriften.

More for less - im Mittelpunkt der Einkaufsentscheidung

Es gibt durchaus noch Endverbraucher, die bereit sind, für eine hochwertige Einrichtung und insbesondere für außergewöhnliche Heimtextilien mehr Geld auszugeben. Preisverhandlungen gehören für rund 40 Prozent zum Einkauf dazu. 7 Prozent gehen dabei oft und weitere 24 Prozent teilweise so weit, dass sie sich beim kompetenten Fachhandel beraten lassen, um dann schließlich beim oftmals billigeren Discounter zu kaufen. Während beim Möbelkauf 4 Prozent fast ausschließlich und weitere 16 Prozent zumindest bevorzugt auf Sonderangebote zurückgreifen, lassen sich bei Heimtextilien rund 28 Prozent durch Sonderangebote zum Kauf animieren. Dennoch sollte nicht davon gesprochen werden, dass der Preis das für den Verbraucher wichtigste Kaufkriterium ist.
Es geht vielmehr darum, ein Maximum an Qualität und Design zu einem möglichst günstigen Preis zu erhalten, wobei Marken in keinem Bereich von zentraler Bedeutung sind - wahrscheinlich, weil keine echten Marken existieren.

Auf Grundlage der Sleep & Dream-Studie haben sich in Deutschland 11 Schlafzimmer-Typen herauskristallisiert:

- Die Spartaner (4 Prozent), preisorientierte, junge Zweckeinrichter
- Die Einrichtungs-Muffel (6 Prozent), gleichgültige Schlafplatz-Nutzer
- Die Mustermanns (14 Prozent), durchschnittliche Gelegenheitskäufer
- Die Smart Shopper (4 Prozent), junge, dynamische Preiskäufer
- Die Elitären (8 Prozent), statusorientierte Genießer
- Die Multifunktionalisten (11 Prozent), preisorientierte Mehrzweckeinrichter
- Die Trendverfolger (12 Prozent), interessierte Nachläufer
- Die Aufgeräumten (19 Prozent), handelsorientierte Systemeinrichter
- Die Etablierten (7 Prozent), wohlhabende Premium-Käufer
- Die Zurückgezogenen (10 Prozent), konservative Konsumeinrichter
- Die Preisfeilscher (4 Prozent), konservative Preiskämpfer

Mit Hilfe einer Zielgruppen-Segmentierung lassen sich die Informations- und Produkt-Vorlieben bzw. -Abneigungen dieser Schlafzimmer-Typen sehr detailliert erforschen.

Abschließend listeten Peter Döhle und Oliver Schmitz unter der Überschrift "Zeit für Veränderungen" einige zentrale (Kritik-)Punkte und deren Lösungsansätze unter getrenntem Blick auf Konsumenten, Handel, Lieferanten und zukünftige Erfolgschancen auf:


Die Konsumenten:

- "Wenn die Kunden nun mal nicht konsumieren!" - Mit Kreativität und Know How gegen Konsumzurückhaltung und Angstsparen.
- "Und hier unser Wohnzimmer, unsere Küche und unser Badezimmer!" - Das Schlafzimmer vom Un-Raum zum emotionalen Mittelpunkt aufwerten.
- "Wenn Sie schlecht schlafen, brauchen Sie ein neues Bett!" - Die fehlende Image-Werbung der Branche.

Der Handel:

- "Stiftlatexkern, Härte 2, sieben Zonen, Drellbezug mit 300 g Schafschurwolle versteppt!" - Werbung mit Techno-Quatsch statt Funktion und Nutzen
- "Leicht-Steppbett statt 24,95 nun 14,95 Euro!" - Kauft der Konsument einen Preis oder Funktion, Nutzen und Image zu einem Preis?
- "Mit Ihrer Größe haben Sie sicher schon mal Probleme ... !" - Ungenutzte Chancen im Verkauf, zum Beispiel mit Komfort- und Übergrößen
- "Diese Bettdecke wird sehr gern gekauft!" - Verbesserungswürdige Verkäufer-Qualifikation
- "Es kommen einfach zu wenige Kunden ins Haus!" - Schwellenangst vor dem Geschäft und falsche Werbung.

Die Lieferanten:

- "Wir machen keinen Profit, aber die anderen auch nicht!" - Verkaufen ist einfach, aber es muss auch verdient werden.
- "Was unsere Konkurrenz Ihnen bietet, das können wir auch!" - Statt Produktdifferenzierung me too-Produkte, aber billiger
- "Ein Bett ist ein Bett, ist ein Bett, ist ein Bett!" - Echte Innovationen sind Mangelware.
- "Morgen bei Ihnen im Hause!" - Logistik ist mehr als Ware zu transportieren.
- "Dem traue ich nicht!" - Die Branche redet zu wenig miteinander.

Mut und Erfolgchancen:

- "Misstrauen abbauen und Gemeinsamkeiten fördern!" - Das gilt für die Beziehungen Lieferanten : Lieferanten, Handel : Verbände : Lieferanten sowie Handel : Handel
- "Übergreifende Projekte auf der Basis von Marktbefragungen!" - Innerhalb einer Teilbranche oder zwischen Lieferanten mit Komplementär-Produkten unter Einbeziehung der Zulieferer arbeiten
- "Forcierung gezielter Innovationsforschung!" - Interdisziplinäre Kooperation zwischen Forschung : Hersteller : Handel : Konsumenten
- "Gemeinsame Branchen-Imagewerbung initiieren!" - Die Interessenverbände der Branche müssen miteinander sprechen.
- "Neue Werbeansätze kreieren!" - Funktion, Nutzen, Emotion statt technischer Beschreibung
- "Optimierung der Verbraucher-Ansprache!" - In Bezug auf Zielgruppen, Verhaltensweisen sowie den Nerv der Zeit auch von anderen Branchen lernen
- "Logistische Zusammenarbeit neu definieren!" - In Verbindung mit Flächenkonzepten und Warenwirtschafts-Verknüpfungen auch von den Vertikalen lernen
- "Emotionalisierung der Verkaufsräume!" - Bettenkauf zum Erlebniskauf verändern, die Schwellenangst abbauen und auch auf diesem Gebiet von anderen Branchen lernen
- "Offensive bei der Verkäufer-Ausbildung!" - Aufklärung des unwissenden Verbrauchers in verständlicher Argumentation.
aus Haustex 09/03 (Handel)