Seit über 100 Jahren Teppichkunst

Michel schreibt seinen Kunden aus dem Ausland

Mehr als Kunsthändler denn als Teppichkaufmann sieht sich Thomas Michel, seit 25 Jahren Alleininhaber und Geschäftsführer des Teppichhauses Michel in Wiesbaden. Er hält eine Tradition lebendig, die den handgefertigten Teppich noch als ausgesuchtes Unikat mit künstlerischer Aussagekraft wertet. Dem gerade aktuellen Zeitgeschmack entsprechende Massenware gibt es bei Teppich Michel in der noblen Wilhelmstraße nicht.

Das Teppichhaus Michel entpuppt sich für den Teppichliebhaber als wahre Fundgrube. Auf vier Etagen und 600 qm Verkaufsfläche sind hier echte Schätze aus allen Knüpfländern zusammen getragen worden. Alte chinesische Teppiche der verschiedensten Provenienzen sind stapelweise ebenso zu finden wie Übermaßteppiche aus Persien oder Raritäten aus den Kaukasus-Regionen oder aus Afghanistan. Als Zugeständnisse an die in den letzten Jahren stark veränderten Kundenwünsche zeigt das Sortiment daneben und im beschränkten Umfang auch ausgesuchte südpersische Nomadenteppiche, hochwertige Nepalware aus den Boomjahren des Nepalteppichs oder als Eigenproduktionen extrem feine Seidenteppiche aus China und ganz neu und ebenfalls auf Eigeninitiative von Thomas Michel speziell für Teppich Michel sehr fein geknüpfte Nepal-Teppiche im obersten Genre.

Klares Ziel des Geschäftsinhabers ist es, sich im Angebot klar von Massenprodukten abzusetzen und ein eigenes Profil zu bewahren. Dafür nimmt Thomas Michel so manche Strapaze auf sich, allerdings nicht ungern, wie er eingesteht. Er ist ein ausgesprochen reisefreudiger Teppichliebhaber, der sich auch in die entferntesten Winkel der Welt vorwagt, wenn dort handgefertigte Teppiche zu finden sind. Seine Abenteuerreisen sind für ihn zu einem unverzichtbaren Bestandteil seines Lebens geworden. Früher, so berichtet er, habe er auch noch viel bei Importeuren gekauft. Aber deren Angebote seien mittlerweile so ausgedünnt und auf die Massennachfrage ausgerichtet, dass sich ein Besuch in einem Importlager kaum noch lohne. Er selbst habe an seinem Lager mittlerweile mehr ausgefallene und seltene Einzelstücke als die meisten Importeure, wobei beim Anblick der Größe und des Umfangs seines Lagers durchaus auch Sorgenfalten auf der Stirn von Thomas Michel sichtbar werden.

Die Kaufzurückhaltung der Verbraucher ist auch am Teppichhaus Michel nicht spurlos vorüber gegangen. Die Nachfrage sei noch nie so schwach gewesen wie momentan, gesteht Michel ein. Ihm fehlen als Kunden zum einen die wohlhabenden Ausländer, vor allem Amerikaner, die mit der vor Jahren noch starken Präsenz der US-Armee in Deutschland in Wiesbaden immer ein lohnendes Reiseziel sahen. Zum anderen hält sich aber auch die gehobene deutsche Mittelschicht beim Teppichkauf spürbar zurück. Geld, so Michel, stehe diesen anspruchsvollen Verbrauchern reichlich zur Verfügung, doch Zukunftsängste und andere Prioritäten bei den Ausgaben ließen nur geringe Finanzmittel in den Teppichkauf fließen.

Das Teppichhaus Michel kämpft darüber hinaus noch gegen verlorene Wertvorstellungen an. Thomas Michel: "Der Geschmack der Verbraucher ist verdorben. Alles ist oberflächlich geworden. Der Wert echter Handarbeit, die Schönheit eines Unikats, die Ursprünglichkeit werden nicht mehr gesehen. Es geht fast nur noch um günstige und niedrige Preise und einen schnelllebigen Modewechsel." Dabei versteht es gerade Thomas Michel, da er die meisten Stücke ja selbst vor Ort gekauft hat, faszinierende Geschichten zu jedem einzelnen Teppich zu erzählen. Er ist bemüht, seine Kunden wieder mehr für die Schönheit des originären handgeknüpften Teppichs zu sensibilisieren, untermauert mit fundiertem Fachwissen, da Michel auch gleichzeitig als vereidigter Sachverständiger für Orientteppiche ausgebildet ist.

Nur noch wenig gefragt sind nach Angaben von Thomas Michel im Moment die Sarough als Re-Importe aus den USA, mit denen sich noch vor zwei bis drei Jahren gutes Geld verdienen ließ. Sehr schnell abgeflacht ist auch wieder das kurzzeitig deutlich belebte Interesse an kaukasischen Teppichen. Noch relativ gut lassen sich Ziegler-Teppiche verkaufen, auch wenn Thomas Michel hier nach dem Überangebot auf der Domotex 2004 mit einer Schwemme und damit mit dem Ende des Geschäftes rechnet. Wieder stärker in den Vordergrund der Kundenwünsche dürfte nach seiner Meinung klassische rote Ware rücken.

Einen schnellen Ausweg aus der momentanen Krise sieht der Wiesbadener Einzelhändler nicht. Von großen Aktionen, um Kunden anzulocken, hält er wenig. Der Aktionismus koste auch erst einmal viel Geld, ohne dass ein wirtschaftlicher Erfolg berechenbar sei. Michel setzt auf kleine Schritte: Auf nahezu allen seinen Reisen lässt er Ansichtskarten drucken, die er vom Ursprungsland aus an eine Vielzahl von Kunden verschickt. Diese Grüße aus dem Ausland haben einen hohen Erinnerungswert und führen immer wieder Interessenten in das Geschäft.

Außerdem hat Thomas Michel fast nebenbei einen neuen Werbeeffekt entdeckt: Seit 1899 lebt die Familie Michel in Wiesbaden und gehört damit zu den Alteingessenen. Thomas Michel engagiert sich stark für seine Stadt, ist Vorstandsvorsitzender der neu gegründeten Bürgerstiftung, die sich um eine Steigerung der Attraktivität von Wiesbaden bemüht. Die zahlreichen Aktivitäten der Stiftung führen permanent zu Presseveröffentlichungen auch über die Grenzen von Wiesbaden hinaus. Thomas Michel hat dadurch eine für ihn unerwartete Popularität erlangt, die auch sein Teppichhaus immer wieder in die Erinnerung und in das Bewusstsein der Zeitungsleser ruft.

Michel zeigt sich zuversichtlich, dass es auch mit dem Teppichgeschäft wieder aufwärts gehen wird, auch wenn kaum noch einmal die goldenen 80er Jahre erreicht werden dürften: "Diese Krise müssen wir aussitzen." Dazu allerdings ist eine gesunde Kapitaldecke erforderlich, über die das Teppichhaus Michel verfügt. Immerhin besteht die Firma seit 105 Jahren und hat renditeträchtige Zeiten erlebt. Der Urgroßvater von Thomas Michel war mit seinen beiden Söhnen auf eine Initiative von Kaiser Wilhelm II., der 1898 bei einer Orientreise den Ausbau der Handelsbeziehungen anregte, ein Jahr später nach Wiesbaden gekommen, um die wohlhabenden adeligen Kurgäste mit den Schätzen des Orients zu verwöhnen. Schon bald entstand eine Niederlassung im ebenso noblen Bad Kissingen.

Nach dem Ende der Kaiserzeit galt es, das aufstrebende Bürgertum mit kostbaren Teppichen zu beglücken, die als Wertanlage und Zeichen des Wohlstandes galten. Zeitweise unterhielt die Familie Michel allein in Wiesbaden fünf Einzelhandelsgeschäfte, um alle Kundenwünsche erfüllen zu können. Geblieben ist davon das Stammhaus in der Wilhelmstraße, das sich schon von außen her den Glanz der guten alten Zeit bewahrt hat. Auch am Konzept der Gründerjahre hat sich wenig geändert: Die ausgefallene, einmalige und in keinem anderen Geschäft zu findende Ware steht im Vordergrund. Der Teppich ist hier nach wie vor ein Unikat, ein Kunstwerk, das sich nicht irgendwie in die Inneneinrichtung einpasst, sondern eine eigenständige gestaltende Rolle spielt.
aus Heimtex Orient 04/04 (Handel)