Ein britischer Schweizer namens Ziegler
Ein Welterfolg wiederholt sich
Es ist kaum bekannt, dass der antike "Ziegler" gewissermaßen als eine Art Notlösung startete. Er sollte nämlich den Devisenhaushalt eines in Persien Handel treibenden, britischen Unternehmens stabilisieren. Keineswegs geplant war, dass er ein dominierender Handelsartikel wird, eines Tages sogar ein sich selbstauslösendes Marketing bewirken würde. Nun scheint sich der damalige Erfolg der Ziegler-Teppiche weltweit ein zweites Mal zu wiederholen.
Der aus der Schweiz stammende Ziegler, ein junger Mann der nach England ging, um im dort boomenden Industriezeitalter sein Glück zu versuchen, ist wohl der einzige Europäer, nach dem eine ganze Gruppe handgeknüpfter Orientteppiche benannt ist.
Bekannt seit einhundertzwanzig Jahren ist der "Ziegler" ebenso in Antiquitätenkatalogen von Christie's bis Sotheby vertreten, wie auch als Neuschöpfung in allen aktuellen Sortimenten. Anzunehmen ist, dass der Unternehmer Ziegler sich zu Beginn seiner erfolgreichen Laufbahn wohl kaum hat einfallen lassen, einer der bedeutendsten Teppichkaufleute seiner Zeit zu werden.
Sein Ziel war vielmehr der Handel und wohl auch die Produktion von Tuchen, die seine Firma sehr erfolgreich im Persien des 19. Jahrhunderts verkaufte. Doch aus zwingenden Devisengründen, und ganz besonders, um das lukrative Exportgeschäft nicht zu gefährden, wurden Orientteppiche aus Persien zusehends wichtiger für sein Unternehmen - und gewannen mehr und mehr die Oberhand.
Company Messrs. Ziegler & Co. Ltd.
Die im 19. Jahrhundert gegründete Ziegler-Company war ein Handelshaus, möglicherweise auch eine Weberei in der englischen Industriemetropole Manchester. Sie exportierte englische Stoffe in den Orient, überwiegend nach Persien, das in dieser Zeit quasi ein Protektorat des britischen Empire war. 1872 gab es sogar einen Erlass des Kadjaren-Schah Nasir al-Din (1848-1896), der den Briten das Recht zuerkannte, Fabriken in Persien zu bauen und in ihnen auf eigene Rechnung steuerfrei zu produzieren.
Diese Genehmigung wurde später allerdings wieder eingezogen, war aber lange Zeit Ausdruck der Bevormundung der persischen Wirtschaftspolitik. Persien musste seine Pforten für Importe aus Großbritannien öffnen. Die in England maschinell hergestellten, sehr viel preiswerteren Importtextilen fanden von Beginn an reissenden Absatz - und drängten in Windeseile die heimischen Weberzeugnisse aus dem Markt. Übrigens mit den gleichen verheerenden, Arbeitsplätze vernichtenden Auswirkungen, wie es kurz zuvor die Weber in Europa getroffen hatte. Der Dichter und Nobelpreisträger Gerhard Hauptmann schildert diesen sozialen Umbruch anschaulich in seinem Drama "Die Weber".
Ziegler war mit seinen Tuchimporten derart erfolgreich, dass die Firma für ihren persischen Inlandsvertrieb alsbald eine Niederlassung in Täbris gründete, der damaligen Drehscheibe der einheimischen Wirtschaft. Später folgten Filialen in weiteren Orten Persiens. Ausser den üblichen Unwägbarkeiten des operativen Geschäfts, hatte Ziegler jedoch von Anfang an mit einem kaum lösbaren Devisenproblem zu kämpfen. Die Importstoffe wurden meist gegen die Landeswährung Rial verkauft, ein Zahlungsmittel, das nur in Persien selbst galt und international nicht konvertierbar, also nicht verwendbar war.
Bei den anfangs noch kleinen Geldmengen behalf sich Ziegler mit dem Umtausch in russische Goldimperials, die ebenfalls in Persien kursierten. Die Goldmünzen gingen dann unter Bedeckung nach Baku im Ostkaukasus und weiter nach St. Petersburg. Von der damaligen Hauptstadt Russlands aus konnten dann die normalen Bankwege nach London genutzt werden. Ein viel zu zeitraubender, hochkomplizierter und mit Kursverlusten einher gehender Umstand. Bei den damals noch unsicheren Überlandstrecken zudem auch voller Gefahren.
Counter Trade
So verfiel man auf die Idee, mit den Rial-Erlösen aus den Tuchverkäufen im Gegengeschäft einheimische Produkte aufzukaufen und diese dann im Ausland, beispielsweise in Europa und in den britischen Kolonien, wieder gegen Pfund-Sterling zu verkaufen. Im modernen Handelsenglisch nennen sich diese, vorwiegend mit Weichwährungsländern praktizierte und immer noch aktuelle Aussenhandelsform, Counter-Trade. Sie gilt nach wie vor als sehr effizient und ermöglicht überhaupt erst die Realisierung vieler anders nicht finanzierbarer Exportgeschäfte.
In größeren Einheiten spricht der Exporteur vom besser bekannten Barter-Business und formuliert das anerkennend-ironisch so: "Cash is king, but barter is smarter!"
Da die handelsüblichen Produkte wie Trockenfrüchte, Pistazien und andere landwirtschaftliche Erzeugnisse bereits in festen Händen waren, wandte Ziegler sich versuchsweise den Perserteppichen zu, zumal kurz zuvor die beiden Weltausstellungen in Wien (1873) und Paris (1878) eine ansehnliche Nachfrage geweckt hatten. Ziegler bediente erfolgreich diesen Markt und exportierte Teppiche von Persien nach Europa, sowie in die Anrainerländer. Beispielsweise in das damals unter britischer Herrschaft stehende Indien. Die meisten Teppiche gingen aber durch Österreich-Ungarn nach Wien, das in dieser Zeit kurzzeitig eine zentrale Umschlagstellung inne hatte. Von dort ging es dann ins Deutsche Reich. Die für Europa und Amerika bestimmten Güter wurden über die Schwarzmeerhäfen Batum (Georgien) und Trapezunt (Türkei) via Istanbul verschifft, bis etwa 1925 die Hauptdrehscheibe im Orienthandel.
Die dominierende Reederei war seinerzeit die allseits bekannte Donaudampfschifffahrtsgesellschaft. Sie verfrachtete die Orientteppiche an den Bosporus und weiter donauaufwärts. Nach Amerika gingen die Teppiche im Transshipment über London oder Hamburg in die US-Ostküstenhäfen. Indienexporte wurden im persischen Südhafen Bandar Abbas am Persischen Golf - die Araber hören lieber Arabischer Golf - verladen und in Mombi-Bombay oder Karatchi angelandet.
Der Weg in die Knüpfproduktion
Durch den immer intensiver werdenden, persischen Teppichexport, der in den Käuferländern zugleich die Nachfrage nach Orientteppichen unerwartet anheizte, begann der Teppichnachschub im Ursprungsland allmählich zu versiegen. Um über erkleckliche Mengen verfügen zu können, musste man auf den europäischen Geschmack ausgerichtete Teppiche in Persien produzieren lassen. Und zwar regelmäßig und in ausreichenden Stückzahlen. Doch dazu fehlte es noch an leistungsstarken Knüpfereien. Also galt es, schnellstens welche zu errichten. Die Idee zu diesem damals wirklich abenteuerlichen Engagement stammte übrigens von dem deutschen Ziegler-Mitarbeiter, Oskar Strauss, der von Cecil Edwards (1881-1951), dem späteren Geschäftsführer der OCM und bekannten Buchautor (The Persian Carpet) als sehr aktiv und unternehmungslustig geschildert wird. Als Ausweg aus dem Beschaffungsdilemma schlug Strauß vor, die Ziegler-Company solle unter eigener Regie Teppiche in Sultanabad knüpfen lassen.
Bereits weit bevor Ziegler sein Investment in der Knüpfteppichproduktion tätigte, begannen um 1875 weitsichtige Kaufleute aus Täbris für ihre europäische Kundschaft Teppichmanufakturen in Sultanabad aufzubauen. 1928 wurde der Ort in Arak umbenannt. Anfangs kooperieret Ziegler mit den damals bereits vor Ort tätigen Sudetendeutschen Ginskey und Reichard, die allerdings 1883 das Unternehmen verließen und von Ziegler abgefunden wurden. Unter Einführung völlig neuer Orientteppich-Produktionsformen revolutionierte Strauß die Knüpfteppichherstellung und konnte mit seinem effizienten System die Teppichproduktion stetig steigern. Allerdings stellte man vornehmlich Billigqualitäten her. Die Knüpfdichte der Ziegler-Teppiche lag anfangs bei nur ca. 120.000 Knoten/qm. Zur Ehrenrettung der Firma Ziegler & Co. sei allerdings vermerkt, dass man später auch bessere Qualitäten ins Programm mit aufnahm.
Im Zuge der steigenden Nachfrage entstanden bald weitere Knüpfereien in der Umgebung mit Schwerpunkten in Mahal und Moschkabad. Hier liegt der Grund, weshalb der Teppichantiquitätenhandel von Ziegler-Mahal und Ziegler-Moschkabad spricht. Diese beiden Provenienzen mit ihrer auch heute relativ groben Knüpfeinstellung haben immer noch kein besonderes Renommée. Die zeitgenössischen Mahal und Tscheschmeh-Mahal entsprechen in Qualität und Knüpfdichte weitestgehend der damaligen Qualität.
Waghirehs und Millimeterpapier
Als Teppichmuster dienten dem frisch gebackenen Fabrikanten auf den damaligen Zeitgeschmack abgewandelte Dessins der Safawidenzeit des 16. und 17. Jahrhunderts. Von vornherein wurden vorzugsweise helle Kolorite und überwiegend mit Allover-Rapports geknüpft, also ohne Mittelmedaillon. Mit Hinblick auf den Käufergeschmack, vornehmlich im Deutschen Reich, bevorzugte man beige-elfenbeinfarbene Fonds.
Diese spezielle Ausrichtung auf den Geschmack der Käufermärkte, zog die teilweise Abkehr von einheimischen Stilrichtungen nach sich und war damit ein absolutes Novum in der Orientteppichherstellung. Kritisch sollte man hier ruhig auch mal anmerken, dass der Perserteppich hierdurch immer stärker unter landesfremde Geschmackseinflüsse und Bedarfswünsche geriet, die sich bis heute und immer betonter fortsetzen. Andererseits bewirkten die damaligen Initiativen eine deutliche Belebung dieses Kunsthandwerks, schuf Arbeitsplätze und beflügelte nachhaltig die dahindümplende, persische Volkswirtschaft.
Den Knüpfern gab man die Dessins auf so genannten Waghirehs vor, handgeknüpfte Mustervorlagen, nach denen sie arbeiten konnten. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts gingen die Hersteller dazu über, die Muster Knoten für Knoten auf Millimeterpapier zeichnen zu lassen. Ein gewaltiger Fortschritt und auch Vorteil, denn damit wuchs gleichzeitig die Mustervielfalt. Die Florgarne wurden zu Beginn mit einheimischen Naturfarbstoffen, später jedoch mehr und mehr mit den inzwischen vornehmlich in England und Deutschland entwickelten Anilin- und anderen synthetischen Farbstoffen eingefärbt.
Den Knüpfern wurden fertige Garne zugeliefert. Wie man den abgebildeten, antiken Ziegler-Teppichen ansehen kann, sind die Farben mittlerweile verblasst, teilweise sogar erheblich. Doch gerade diese matte "Patina" ist heute so beliebt.
Da Ziegler in der Orientteppichherstellung erstmalig fast industriell ausgerichtete, arbeitsteilige Produktionsformen etablierte, gelang es der Firma, Dessins, Farben, Maße, Qualität und Stückzahlen so zu stabilisieren, dass sie sogar Liefergarantien aussprechen konnte. Das festigte die Auftragslage und kurbelte die Nachfrage weiter an. Bekannt ist, dass Ziegler zur Wende des 19. zum 20. Jahrhundert etwa 2.500 Knüpfstühle in Sultanabad und Umgebung kontrollierte.
Durchweg kamen Großformate zwischen 10 und 20 qm vom Stuhl, Teppiche, die sicher keine Glanzstücke in Bezug auf ihre Qualität sind, auf internationalen Auktionen immer noch ihre Käufer finden. Der 1. Weltkrieg machte der bis dahin auf vollen Touren laufenden Produktion dann recht unvermittelt den Garaus. Als Rettung für die bereits auf relativ hohe Kapazitäten ausgerichteten Knüpfereien, die plötzlich ohne Abnehmer dastanden, erwies sich glücklicherweise das allmählich wachsende Interesse der Käufer in den USA.
Zieglers Investment macht Schule
Die Absatzerfolge Zieglers blieben natürlich nicht unbemerkt. Schon bald zogen weitere Firmen in diesem neuen Produktionsgeschäft nach. Erwähnenswert hierunter sind Hotz & Son und die deutsche, in Berlin ansässige Firma Petag mit Niederlassungen in Persien. Auch etliche Armenier waren mittlerweile in der Teppichproduktion engagiert, wie beispielsweise Tauschandjian mit seinem persischen Vertreter Tyriakian, sowie Edward E. Benlian. Alle zusammengenommen investierten in diesen Wirtschaftszweig die beachtliche Summe von gut 1 Million Pfund-Sterling. Namen wie Avakian, Schamschirian, Garagüsian, Kazanian und Sadaghiani sind inzwischen Legende.
Die Armenier verfügten zudem über gut funktionierende, geschäftlich-verwandtschaftliche Beziehungen in den USA, woraus sich während des im 1. Weltkrieg ausfallenden Europamarktes der sich daran anschließende Absatzerfolg des "Amerikanischen Saroughs" entwickelte. Doch schon weit vor dem 1. Weltkrieg standen allein 3.000 Knüpfstühle in Sultanabad. Keine der mitziehenden Firmen erreichte allerdings jemals die Umsatzgröße von Ziegler & Co. Ltd., dem britisch-schweizerischen Unternehmen, das im ausgehenden 19. Jahrhundert zu einem der bedeutendsten Knüpfteppichproduzenten des Orients aufstieg.
Neo-Ziegler aus den Flüchtlingscamps
Einige der damals verwendeten Anilinfarben verblassten recht schnell, ein Makel, der auch den heutigen, synthetischen Farbstoffen ungerechtfertigterweise immer noch anhaftet. Die typischen fahles Kolorits waren die Folge. Bei der aktuellen Nachfrage ist es gerade dieser ruhige Farbcharakter, den man derzeit vorzieht. So lag es nahe, dem heutigen Verbraucher etwas in dieser Art anzubieten. Inspiriert vom Antik-Ziegler kamen findige Importeure, anfangs überwiegend aus den USA, auf die Idee, einen neuen Teppichtypus zu entwickeln. Versuchsweise ließen sie in Nord-Pakistan Neo-Ziegler von den dortigen, afghanischen Flüchtlingen knüpfen. Farben, Duktus und Dessins gefielen von Anbeginn, womit allen geholfen war: Die bedauernswerten Flüchtlinge hatten Arbeit und Lohn, die Auftraggeber konnten in den USA Teppiche im gewünschten Perserstil anbieten, die aus einem Land kamen, das nicht unter das seinerzeitige US-Embargo fiel, und die Verbraucher schöpften aus dem Vollen. Schon kurz darauf tauchten die ersten Neo-Ziegler in Europa auf und wurden dort ebenso begeistert aufgenommen.
Aus Unkenntnis über die Herkunft des Namens werden diese Neuknüpfungen fälschlicherweise manchmal als Zickler, Ziggler oder Siegla angeboten. Die afghanische Komponente wird von den Importeuren auch Tschubi oder Tschobi genannt, was auf Dari (Afghanistan) auch Wurzelholz bedeuten kann und ein Hinweis auf Pflanzenfarbstoffe sein soll. Das trifft aber nur auf einen geringen Teil der Knüpfungen zu.
Mit Tschubi kann aber auch das helle Kolorit der beige-elfenbein Fondfarbe gemeint sein, die der von Holzplanken gleicht. Farbbeschreibungen bedienen sich gern solcher Umschreibungen, wie beispielsweise Ziegelrot, Quittegelb oder Himmelblau zeigen. Ein Importeur hat sogar einige Ziegler-Dessins in Seide knüpfen lassen, ungewöhnliche und reizvolle Teppiche.
aus
Heimtex Orient 02/04
(Teppiche)