Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?

Eine kleine Warenkunde

Wir sind gespannt, wer diesmal alles gelöst hat. Einige Begriffe waren sicher nicht einfach zu knacken, aber wer aufmerksam Heimtex Orient ließt, wird in den Fachartikeln auf etliche Lösungen stoßen. Und wenn nicht, schaue man in die Fachliteratur oder man rätselt gemeinsam im Kollegenkreis. Jede der nachfolgenden Erläuterungen der im vorigen Heft zur Lösung angebotenen Fachbegriffe ist ein weiterer Baustein auf dem Wege zum Fachmann. Und die braucht die Branche ganz besonders.

Goldafghan - farblich veränderte, ursprünglich rote Afghan-Teppiche

Der Golfafghan war der große Renner der sechziger bis siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Eigentlich der erste Trendteppich zu Beginn des damals aufkeimenden Orientteppichmarktes, denn außer Berbern gab es keine Knüpfteppiche mit blassen Farben, wie sie heute so sehr in sind. Da aber ein, wenn auch eingeschränkter, Bedarf bestand, tüftelten einige Teppichveredler so lange, bis es ihnen gelang, ohne Bleichmittel aus Rot Goldgelb zu machen. Federführend auf dem Gebiet der Farbumwandlung war und ist die Orientteppich-Wäscherei Kiskan-Process in Hamburg, die seinerzeit noch Migo hieß. Doch auch andere haben sich bemüht, diese gefragte Farbstellung zu erreichen. Bis auf die inzwischen still gelegte Orientteppichwäscherei Abadjian in London blieben sie jedoch weitgehend bedeutungslos. Abadjian trimmt übrigens auch russich-turkmenische Bucharas auf Goldgelb. Die Teppiche wurden jedoch nur in Großbritannien und den USA vermarktet.

Immer wieder wurde behauptet, die Farbumwandlung würde mittel-, zumindest aber langfristig den Wollflor in Mitleidenschaft ziehen. Diese Unkenrufe sind jedoch durch die Tatsache widerlegt, dass solcherart, also ohne Bleichmittel behandelte rote, in Goldgelb umgewandelte Afghanen die gleiche Lebensdauer haben wie vergleichbare, nicht behandelte Knüpfdichten.

Wegen der großen Nachfrage wurden in Afghanistan bald darauf goldfarbene Florgarne verknüpft. Diese Goldafghanen waren zwar preiswerter, jedoch immer etwas grünstichig und wurden von den meisten Einkäufern abgelehnt.


OL - Abkürzung für Offenes Zollager

Das Führen eines OL, bis vor kurzem etwas kompletter noch als OZL bezeichnet, ist die zolltechnische Möglichkeit, unverzollte Waren in genau bezeichneten und vom Zoll dafür zugelassenen Räumen auch im Inland zollfrei zum Zwecke des Verkaufs, zur Veredlung, zur Bearbeitung oder zum Transit einzulagern. Von einem OL darf jedoch keine Ware direkt an den Letztverbraucher veräußert werden.

Diese OL-Bestimmung gelten gleichlautend in allen EU-Ländern. Ein OL ist verbunden mit einer akribisch genau zu führenden Lagerbuchhaltung, die laufend vom Zoll überwacht wird. Der Zollbeteiligte, also der Lagerhalter, hat in Höhe der zu erwartenden Abgaben Sicherheiten beim Staat zu hinterlegen. Dies geschieht meist in Form einer unwiderruflichen Bankbürgschaft, kann aber auch in bar erfolgen.

Entnimmt der Lagerhalter Ware aus seinem OL, kann das für kurze Fristen unverzollt geschehen. Zum Fristablauf muss die Ware allerdings wieder im OL vorhanden sein, sonst muss sie verzollt werden. Liefert er die Ware an ein anderes OL, bleibt sie unverzollt, ist am Ankunftslager aber genau zu vermerken. Ansonsten gilt die das OL verlassende Ware - so wie die Zollbehörde es ausdrückt - als "endgültig in den freien Verkehr" entnommen. Solche Waren müssen dann umgehend vom Lagerhalter, beziehungsweise vom Importeur, verzollt und versteuert werden. Selbst gestohlene Ware wird zolltechnisch als "in den freien Verkehr entnommen" behandelt. Vater Staat lässt sich seine Abgaben eben nicht entgehen. Bei der Einfuhr von Orientteppichen setzen sich diese zusammen aus tarifiertem Zollbetrag (Fetsbertrag oder Prozentsatz vom angelandeten Importwert) und Einfuhrumsatzsteuer, kurz EuSt. genannt. Letztere ist in den EU-Ländern unterschiedlich und kann als Vorsteuer geltend gemacht werden. In der gesamten EU gelten die selben Zoll- und Hebesätze. Die EuSt. verbleibt beim importierenden EU-Mitglied, während der Zollanteil nach Brüssel in die Kassen der EU wandert.


Loribaff, Luribaff - Orientteppich-Provenienz aus dem Süd-Iran

Der Luribaff ist eine Neuschöpfung, also nicht zu verwechseln mit dem Lori oder Luri genannten Orientteppich der selben Region. Letzterer ist die klassische Form. Der vor etwa fünf Jahren neu am Markt erschienene Luribaff, der ebenfalls von den Luren, einem sehr alten Volksstamm Südwest-Persiens - sie selbst behaupten von sich die Nachfahren der antiken Meder zu sein - geknüpft wird, ist gleichzusetzen mit den Risbaff und Kaschghulibaff. Alle sind fein geknüpfte Varianten des Gabbeh oder wie sie dort auch genannt werden, der Chersaks.

Diese Neuprovenienzen den jeweiligen Stämmen zuzuordnen, ist nur Eingeweihten in den Knüpfregionen möglich. Die Provenienzbezeichnung Luribaff ist ein Kunstwort und schnell zu erläutern: "...baff" bedeutet auf Persisch Teppichknoten/geknüpft, Lur/i ist der Stammesname - zusammen genommen also zu Deutsch: Lurenknüpfung.


Schiiten - Muslimische Glaubensgemeinschaft

Der Name leitet sich her vom Arabischen "Shiat Ali", was so viel bedeutet wie die Partei, die Anhänger von Ali Ibn Abi Talib, dem Schwiegersohn des Propheten Mohammeds. Sie spalteten sich im achten Jahrhundert endgültig von den Sunniten, der größeren Glaubensgemeinschaft ab und erkennen ausschließlich den Kalifen Ali als rechtmäßigen Nachfolger des Propheten an. Außerdem verlangen die Schiiten, dass alle Imame Nachkommen Alis sein müssen. Im Iran stellen sie mit 90% die Glaubensmehrheit. Im angrenzenden Irak sind die Schiiten mit ca. 40% vertreten und derzeit eine politische Pressuregroup. Bezogen auf alle Muslime liegt der Anteil der Schiiten allerdings bei nur 10%.

Sie haben ihren eigenen, von den Sunniten abweichenden Hadith, der auf die schiitischen Imame zurückgeht. Zugleich glauben die Schiiten, daß es nach Mohammed noch weitere heilige, von Allah inspirierte Männer gab.

Der Unterschied beider Glaubensgruppen, die sich theologisch immer wieder heftig befehden, liegt zur Hauptsache in der für die Schiiten Bedeutung der Rechtmäßigkeit des Imams und seiner Nachfolger. Zudem erweitern sie die muslimischen Glaubensformel durch den Zusatz: "wa Ali wali Allah" ("und Ali ist Gottes Freund") und beten nur dreimal täglich. Durch kleinere Pilgerfahrten zu den Gräbern der zwölf Imame können Schiiten sogar die Hadsch als eine der fünf Säulen des Islam ersetzen. Außerdem beklagen sie durch religiöse, jährlich wiederkehrende Trauerfeiern, bei denen sich die Männer martialisch blutig geißeln, den Märtyrertod des dritten Imams, Hossein Ibn Ali Ibn Abi Talib, der bei Karbala zu Aschura, im Monat Muharram umkam. Während dieser Religionsfeierlichkeiten ruht im Iran alles geschäftliche Leben. Straßen und Basare sind schwarz geflaggt.


Tschitschi/n - Dessinbezeichnung in Peschawar

In der Fachwelt und bei Sammlern ist der für einen "Kaukasen" ungewöhnlich klein gemusterte Tschitschi als einer der renommiertesten Knüpfteppiche des Kaukasus bekannt. In diesem Nimbus ist möglicherweise der Grund zu sehen, der die örtlichen Hersteller und Händler der Peschwar-Teppiche veranlasste, kaukasisch gemusterte Teppiche aus den afghanischen Flüchtlingslagern Nord-Pakistans allgemein mit diesem wohlklingenden Provenienznamen zu belegen. Viel geschah auch auf Veranlassung US-amerikanischer Importeure, die seinerzeit in Nord-Pakistan diese und andere Kaukasus-Dessins als erste den Flüchtlingen in Auftrag gaben. Bedauerlich dabei ist, dass das eigentliche Tschitschi-Dessin kaum wiedergegeben wird.

Die Muster sind anderen "Kaukasen" entliehen, meist jedoch eine Zusammenführung unterschiedlichster, kaukasischer Stilelemente, die in mehr oder weniger reinen Formen abgebildet sind. Oft werden sie eigentlich mehr interpretiert als kopiert. Beibehalten hat man zumindest den geometrischen Duktus.

Diese Knüpfungen jedoch als rein kaukasischen Provenienzbezeichnungen auf den Etiketten oder in der Dekoration auszuloben, ist kennzeichnungsrechtlich abzulehnen, denn der Gesetzgeber verlangt eine exakte Ursprungsangabe. Für kaukasische Provenienzen beschränkt sich diese ausschließlich auf den Kaukasus und sein Teppichumfeld. Wird ein solches Dessin in einer anderen Region geknüpft, muss das auch aus der Etikettierung hervorgehen. Anzuregen sind Auslobungen mit dem Zusatz wie: Peschawar-Kasak oder Pandjab-Schirwan, etc., und der Anagbe des Ursprungslands Pakistan.


Unikat - Einzelstück

Unikat ist ein gern genutztes Argument, um einem Orientteppich den Hauch des Exklusiven, des besonderen Einzelstückes zu verleihen. Überwiegend sind Orientteppiche ja auch Unikate, denn Nomaden und Bauern knüpfen ausschließlich Einzelstücke. Beim nächsten Mal nimmt man sich ein anderes Dessin, oft auch ein anderes Maß vor oder man belässt das Muster und ändert nur die Farbzusammenstellung.

Eingeschränkt trifft der Anspruch Unikat auch auf Teppiche aus Kleinateliers zu. Manufakturen, die ihre Teppiche nach auf Millimeterpapier vorgezeichneten Mustern knüpfen lassen, müssen diesen kostenträchtigen Aufwand amortisieren und lassen das selbe Muster deshalb mehrmals knüpfen. Dennoch kann man auch bei solch mehrfacher Auflage, die ja auf Stückzahlen von höchstens vier bis sechs Teppichen begrenzt ist, von einem Unikat sprechen. Würde man nämlich die jeweiligen Stücke vergleichend unter die Lupe nehmen, lassen sich trotz Musterpatrone und exakter Handwerksarbeit noch genügend Abweichungen feststellen. Der Laie würde sagen Knüpffehler.

Auch bei Kaschmir-Teppichen bleibt der Anspruch Unikat bestehen. Und das, obwohl eine Art "Vorbeter" aus einer, Talim genannten Musteranweisung, das Dessin detailliert Knoten für Knoten den auf mehrere Knüpfstühle verteilten Knüpfern vorliest. Die Knüpfer folgen im gleichmäßigen Takt dem Singsang des Vorlesers und setzen ihre Knoten. Alle gleichzeitig. Trotzdem passieren so viele "Fehler", dass nie ein Stück dem anderen voll indentisch gleicht. Auf Grund der vielfältigen Abweichungen, der "Knüpffehler" können wir also auch hier von Unikaten sprechen. Ob das Argument Unikat aber auch für die Großserien aus Indien und China zutrifft, bedarf sicher eingehender Erwägungen.


Kenareh - persische und türkische Bezeichnung für Orientläufer

Kenareh bedeutet auf Persisch Ufer, Rand und ist die allgemein übliche Handelsbezeichnung für einen Teppichläufer. Der Name erklärt sich aus einer bildhaften Vorstellung, denn die klassische, orientalische Raumausstattung mit Orientteppichen sah vor, dass der Mittelteppich (Persisch: Mianfarsch) im Hauptschiff, an den Längsseiten, dem beiden Seitenschiffen, von je einem Läufer, wie ein Ufer (Persisch: ein Kenareh) flankiert wurde. Am unteren Ende, der Eingangsseite des Raums, befand sich der Gastteppich, am Kopfende ein Format von ca. 3,00 m x 1,50 m, das Kelleghi genannt wird und auf dem gewöhnlicherweise der Hausherr saß. Dieses Ensemble wird auf Persisch Dasteh genannt.


Tschubi - Fachausdruck u.a. für Ziegler-Nachknüpfungen

Tschubi, auch Tschobi geschrieben, bedeutet in der in Afghanistan gesprochenen Amtssprache Dari soviel wie Holz, genauer Wurzelholz und soll wohl ein Hinweis auf Pflanzenfarbstoffe sein. Der Name ist jedoch keine Garantie und trifft nur für einen Teil dieser Knüpfungen zu. Mit Tschubi werden meist die einst nur in den afghanischen Flüchtlingslagern in Nord-Pakistan und in Peschawar, gehandelten, heute wieder in Afghanistan geknüpften Orientteppiche bezeichnet. Hierbei handelt es sich meistens, jedoch nicht zwingend um Dessins, die als sog. Ziegler-Teppiche vermarktet werden. Inzwischen ist diese Bezeichnung derart verallgemeinert worden, dass bereist all das, was von der bisherigen Dessinnorm abweicht und aus Afghanistan, beziehungsweise Nord-Pakistan stammt, bereits als Tschubi bezeichnet wird. Bisweilen werden diese Orientknüpfungen auch als Kasai angeboten.


Portugiesenteppiche - Orientteppiche, die einst von Portugiesen in Persien in Auftrag gegeben wurden

Ob diese wenigen, in Museen und Privatsammlungen befindlichen Orientteppiche wirklich von Portugiesen in Auftrag gegeben wurden, ist umstritten. Vielleicht sind es nur die ungewöhnlichen Darstellungen portugiesischer Caravellen mit europäisch gekleideter Besatzung, die in den Innenecken der Teppiche zu sehen sind und die Veranlassung geben, von Portugiesen-Teppichen zu sprechen. Sie entstanden allerdings in einer Epoche, als die Orienthandelsschiffahrt der Portugiesen in Schwung kam. Kapitän Vasco da Gama landete als erster Europäer am 20. Mai 1498 an der Malabarküste im südindischen Hafen Calicut, der später zu einem portugiesischen Fort ausgebaut wurde.

Diese mit Persischem Knoten geknüpften Teppiche im safawidischen Stil des 16. bis 17. Jahrhunderts spiegeln also letztlich wider, wer in dieser Epoche die östlichen Meere, insbesondere aber die Südküsten Indiens beherrschte. Von 1510 bis 1961 besaß Portugal hier seine Kolonie Goa.

Einer dieser großformatigen Portugiesen-Teppiche (ca. 6,00 m x 3,00 m) ist ausgestellt im Österreichischen Museum für Angewandte Kunst in Wien.


Baktrien - antiker Name für Nord-Afghanistan und angrenzende Länder

Mit dem antiken Namen Baktrien wird eine Landschaft in Mittelasien bezeichnet, die, zwischen Hindukusch und dem Fluss Amu Darja im Nordosten Afghanistans liegt. Die heutige Provinz Baktrien ist erheblich kleiner als die antike Region. Ihre uralte Hauptstadt Baktria heißt jetzt Balch.

Unter dem Achämeniden-Schah Kyros II d. G. (559-529 v.Chr.) wurde aus dem ehemals selbständigen Baktrien die persische Satrapie Baktra, die Alexander d. G. 323 v. Chr. unterwarf. Nach seinem Tod gehörte Baktrien in seiner wechselvollen Geschichte zum Reich der Seleukiden, danach den Parthern zu deren Zeit wohl auch der Buddhismus in das heute sunnitisch-muslimische Afghanistan kam. Eine Legende besagt, dass die beiden indischen Kaufleute Trapusa und Bhallika den Bhuddismus nach Baktrien brachten. Auf den Namen Bhallika führt die Wissenschaft den Stadtnamen Bahlika (Balch) zurück.

Unter König Gudopheres soll der Legende nach der heilige Thomas das Christentum in Baktrien, das zeitweise auch Tocharistan hieß, verkündet haben. Unter der Dynastie der Turuschkas hielten sich in Baktrien bis etwa 200 n. Chr. Reste einer iranisch-hellenischen Mischkultur. Einhergehend mit der danach einsetzenden Herrschaft der Sassaniden verschwand dieser, auf Alexander d. Gr. zurückzuführende, abendländische Kultureinfluss endgültig. Um 632 traten die Araber auf den Plan und islamisierten Baktrien, das schließlich als Provinz im Staat Afghanistan aufging. Die alte Hauptstadt Baktra heißt heute Balch. Sie ist immer noch die Metropole der gleichnamigen Provinz, in der heute Usbeken, Tajiken, Turkmenen, Hazara und Paschtunen leben.
aus Heimtex Orient 01/04 (Teppiche)