Fachinformationen Fransen und Vorweben
An ihren Fransen könnt ihr sie erkennen
Verbraucher sehen in Teppichfransen ein Schmuckelement. Tatsächlich aber sind Fransen ein nichts anderes als ein Konstruktionselement. Sie sind die sichtbaren Enden der Kettfäden, die das Rückgrat jedes Knüpfteppichs bilden. Anordnung, Material und sogenannte Vorweben oder Kelimleisten sind wie ein technisches Datenblatt. Fachleute erkennen darin die Provenienz.
Es ist einleuchtend, dass die Knüpfer der Bauern und Nomaden die oberen und unteren Abschlüsse ihrer Teppiche anders gestalten als arbeitsteilig produzierenden Manufakturen und Knüpfateliers. Von Land zu Land sind ebenfalls, teils sogar signifikante Abweichungen festzustellen. Auch die Garne der Fransen, also der Kettmaterialen und der Schussgarne weisen Unterschiede auf. In Kombination mit anderen Merkmalen können Fransen und Vorweben helfen, die Zuordnung eines Teppichs zu ermöglichen, zumindest aber mit abzusichern.
Teppichfransen sind auslaufende Kettgarne. Sie bestehen aus Wolle, Baumwolle, Seide, Filamentgarn (Kunstseide) oder Polyacryl. An sie anschließen sollte sich eine Webkante, die wie eine Art Fundament wirkt, auf dem die ersten Knüpfreihen aufsitzen. Diese Webleisten werden auch Vorweben, Kelimkanten oder -leisten genannt. Doch wer achtet schon auf so etwas Nebensächliches wie die Teppichfransen, ja misst ihnen gar die Bedeutung eines bestimmenden Faktors zur Provenienzfindung bei? Der Teppichfachmann natürlich und wir wollen den Blick dafür schärfen. Doch erst Mal einige wichtige Informationen zum Grundgewebe.
Der Kette kommt eine technisch und fertigungsmäßig wesentliche Bedeutung zu. Deshalb müssen Kettgarne äusserst stabil sein, denn sie tragen schließlich die Hauptlast beim Knüpfen. Sie müssen deshalb von besonderer Reissfestigkeit und zugleich auch elastisch genug sein, um beim Anschlagen der Knotenreihen nicht zu brechen. Andererseits dürfen sie auch nicht zu dehnbar sein. Und schlussendlich entscheidet die beim Knüpfen äusserst wichtige Kettvorspannung über die Ebenmäßigkeit des Werkstücks. Zudem führt jeder Kettfadenriss zu einer langwierigen Unterbrechung der Arbeit. Eine technisch und ökonomisch aufwendige Maßnahme, denn er muss umgehend wieder behoben werden. Bei industriellen Webautomaten überwachen so genannte Kettfadenwächter den Webvorgang und halten bei Fadenriss umgehend die Maschine an.
Es scheint somit nur folgerichtig, dass im Laufe der Zeit in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Teppichanfänge und -enden entstanden. Die einen exakt und akkurat gearbeitet, die anderen nachlässig und mit weniger Sorgfalt ausgeführt. Zusätzlich sorgen die Vorweben dafür, dass der Teppich in diesem, vom Staubsauger allmählich ausgedünnten und vom Belaufen extrem stark belasteten Bereich, nicht aufreppelt. Im Verlauf längeren Gebrauchs eines Teppichs ist es jedoch unvermeidlich, dass zu allererst die Fransen leiden - und zusehends kürzer werden.
So wird deutlich, dass besonders bei älteren Teppichen, die mittlerweile keine Webkanten mehr aufweisen, diese früher dennoch vorhanden waren. Im Laufe der Zeit wurde sie dann immer schadhafter und beim späteren Überarbeiten der Vorweben und Fransen teilweise oder vollständig entfernt. Bei näherem Hinsehen lässt sich das meist noch erkennen. Zum Beispiel sind die verbliebenen Fransen oft etwas gewellt, was auf den Druck früherer Schüsse zurückzuführen ist
Die Schussgarne wiederum werden im Verlauf des Knüpfens - meist nach Fertigstellung einer oder mehrerer Knotenreihen - Querreihe für Querreihe in den entstehenden Teppich eingetragen. Die wulstige Aussenkante, im Orientteppichfach allgemein als Schirasi bezeichnet, stabilisiert schliesslich die Längsseiten.
Eine Ausnahme sind runde Teppiche, deren zusätzliche Fransen rechts und links von den auslaufenden Schüssen gebildet werden.
Bei alten Orientteppichen sind die Fransen oft aufwendig zu waagerechten Flechtbalken oder senkrechten Zöpfen geflochten. Doch auch bei Neuknüpfungen der Gruppen Benam-Täbris und Seiden-Hereke wird bisweilen ein richtiger "Fransenkult" getrieben. Bei den meisten Hereke, egal ob aus China oder Anatolien, werden die Vorweben zusätzlich mit Seidenponpons verziert.
Die anschließenden Fransen sind oft in gestaltender Gitterform künstlerisch abgeflochten.
Die Vorweben, auch Kelimkante genannt, haben die äusserst wichtige Funktion, dem Teppich oben und unten festen Halt zu geben. Um dies zu erreichen, beginnen alle Knüpfteppiche mit einem in einfacher Leinwandbindung gewebten Vorkelim, der wie eine Querverstrebung als eine Art Fundament fungiert. Auf dieser Basis wird begonnen, die Knoten Reihe um Reihe und Schuss für Schuss allmählich in die Höhe wachsend aufzubauen.
Grundsätzlich ist zu berücksichtigen, dass es zwei Grundformen von Kettführungen gibt, wobei zu berücksichtigen ist, dass das Aufbäumen, also das Legen der Ketten, bei vertikalen Knüpfstühlen immer um einen stabilen, rechteckigen Rahmen erfolgt. So erhält man auf der Vorder- und auf der Rückseite je eine Kettfläche. Beide werden als Teppichknüpfgrund genutzt.
Hier liegt die Ursache, weshalb einige Provenienzen paarweise geknüpft werden, also je einer auf der Vorder- und auf der Rückseite des Knüpfstuhls entsteht. Nomaden mit mobilen, horizontalen Knüpfstühlen verzichten überwiegend auf die Längsstreben. Nimmt man nun die fertigen zwei Teppiche vom Knüpfstuhl, werden die um die Querstreben laufenden Ketten oben und unten, also beidseitig durchtrennt. Anschließend werden die überlangen Fransen gekürzt.
Bei der anderen Aufbäummethode wird die hintere Kettfläche nach vorne geholt, so dass nur eine Knüpffläche verbleibt. Es ist dies die in Manufakturen für Großformate übliche, aber auch für Brücken. Ist der Teppich fertig, werden die Ketten an nur einer Querseite durchtrennt. Auf der anderen wird der Waren- (unten) oder der Kettbaum (oben) herausgezogen, so dass an einer Seite Schlaufen verbleiben. Derartige, in Schlaufen auslaufende Fransenenden sind bei Seiden-Ghoums häufig.
Noch ein wichtiger Hinweis: Die hier besprochenen Fransen- und Webkantenmerkmale sind als mögliches Provenienzmerkmal nie isoliert zu betrachten, sondern grundsätzlich in Verbindung mit den anderen Provenienzmerkmalen.
Dass man anhand der Fransen die Herkunft, also die Provenienz eines Orientteppichs zu ermitteln, scheint im ersten Moment ein wenig abwegig, manchem vielleicht übertrieben.
Wenn man aber beispielsweise einen Bidjar der Halva-Gruppe mit einem der Afschar-Gruppe vergleicht, wird sichtbar, dass beide völlig verschiedene Fransen und Vorweben aufweisen. Beim kurdischen Halvai-Bidjar ist immer ein Wollzierfaden in die Kelimkante mit eingewebt. Bei den anderen Bidjars fehlt dieses Charakteristikum.
Ein auf Seidengrundgewebe geknüpfter Isfahan hat ganz anders gestaltete Abschlüsse als eine bisweilen täuschend ähnliche Kopie aus China. Feine Isfahans zeigen in diesem Bereich zudem ganz deutlich die Striche der Cheft-Einteilungen in der Kette und damit im Vorweben und den Fransen.
Original turkmenische Bucharas, Tekke und Aschghabad, Yomoudh, Beschir, Kerki, Pendeh und Kizil-Ayak sind grundsätzlich auf Wollgrundgewebe geknüpft, nordpersische nur zum Teil, pakistanische Buchara seit dreissig Jahren grundsätzlich auf Baumwolle.
Diese Gegenüberstellungen mögen extrem sein, doch es geht hier darum, von solchen sehr deutlichen Auffälligkeiten zu immer subtileren Unterscheidungsmerkmalen zu gelangen. Und Vorsicht: Es sind dieser Betrachtungsform auch Grenzen gesetzt.
Das Feststellen eines Unterschieds zwischen einem Original-Hereke aus West-Anatolien und der Kopie, beziehungsweise den heutigen Weiterentwicklungen aus Henan, Zentral-China beispielsweise, ist anhand der Fransen und Vorweben so gut wie ausgeschlossen. Hier hilft nur der ergänzende Tastsinn, denn im Vergleich zu der sich bürstig anfühlenden Bursa-Seide aus der Türkei, ist die China-Seide flauschig und velvetartig im Griff.
Voraussetzung für die Methode, über die Fransen einen zusätzlichen Weg zur Zuordnung zu finden, ist natürlich, dass diese entsprechend gut erhalten sind. Ausschlaggebend dafür ist das Vorhandensein zumindest eines Teils des Abschlusskelims. Nicht sorgfältig restaurierte Alt- und Antikknüpfungen oder solche, denen im Nachhinein Fransenleisten angenäht wurden, scheiden für die hier vorgestellte Vorgehensweise daher weitgehend aus. Ihre Fransen sind oft bis auf eine Restlänge von zwei Zentimetern zerstört. Um fehlende Fransen wieder herzustellen, werden manchmal sogar Teile der äusseren Querbordüren entfernt. In solchen Fällen ist eine verlässliche Provenienzbestimmung mit Hilfe der Fransenkonstruktion so gut wie ausgeschlossen. Das Fehlen von Knüpfbereichen kann den Handelswert zum Teil erheblich mindern.
Wie aus den Abbildungen ersichtlich, lassen sich die Unterschiede zwar recht gut dokumentieren. Es ist allerdings immer davon auszugehen ist, dass die hier wiedergegebenen Illustrationen keine absolute Aussage haben können. Bekanntlich können auch innerhalb einiger Provenienzen erhebliche Unterschiede auftreten, insbesondere dann, wenn es sich um so genannte Sammelprovenienzen handelt. Dies ist beispielsweise der Fall beim Afghan, bei Turkmenenteppichen, sog. Bucharas, Kaukasen, Hamadans, Bachtiars und nicht näher spezifizierten Kurden-Knüpfungen.
Erschwerend wirkt auch, dass in anderen Knüpfländern, speziell in solchen, die gerne nachahmen, bisweilen so subtil kopiert wird, dass die Nachknüpfungen so gut wie gar nicht mehr von der Original-Provenienz zu unterscheiden sind. Dies ist insbesondere der Fall bei den in China geknüpften Seidenteppichen mit Hereke-Design. Sie sind "echte" Imitate.
Die hier abgebildeten Fransenkonstruktionen sind sämtlich provenienztypische Abschlüsse. Wegen der im Orientteppichbereich der klassischen Knüpfländer Persien, Türkei, Kaukasus, Afghanistan und Turkmenistan extrem individuell ausgerichteten Herstellungsweise und der im Handel angebotenen Teppiche mit einer Zeitspanne von über hundert Produktionsjahren, ist bei einer Provenienzbestimmung jedoch immer auch äusserst sorgfältig mit auf die anderen Kriterien zu achten. Also: Gesamtbild, Farbkomposition und Farbcharakteristika, Flor-, sowie Kett- und Schussmaterialien, Knüpfung, Knotenart und -form, Dessin, Duktus, Musterdetails und Nebenbordüren.
Auch das Maßverhältnis kann Auskunft über die Knüpfregion geben. Beispielsweise sind reinseidene Ghoum-Dosars durchweg erheblich größer als einige zum Verwechseln ähnliche Kaschmir-Seidenbrücken, wobei zu beachten ist, dass bessere Seiden-Kaschmirs bisweilen auch auf Seidengrundgewebe geknüpft werden.
Neben den wichtigen Erkennungsmerkmalen Fransen und Vorweben kann also nur das Zusammenspiel aller der hier genannter Kriterien zur Festlegung der Provenienz führen.
aus
Heimtex Orient 06/04
(Teppiche)