Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?
Eine kleine Warenkunde
Es ist zwar wichtig, auf die Frage "Sind Sie ein Orientteppich-Kenner" möglichst mit Ja antworten zu können. Doch alles kann man gar nicht wissen. Etliches muss auch der versierte Fachmann nachschlagen, zum Beispiel im Orientteppich-Kompass mit seiner umfangreichen Fachterminologie. Diese Ratespiel dient also allen dazu, sich ständig weiterzubilden. Wohl auch, sich mal ein wenig selbst zu prüfen. Ein Fachwissen ohne Lücken gibt es nun mal nicht. Daher sind diese Fragen und Antworten ein guter und vor allem ein amüsanter Meilenstein. Wie immer versuchen wir ein Mix anzubieten zwischen Zeitgenössischem, Neuem und historischem Teppichwissen. Auch da gibt es hin uns wieder neue Erkenntnisse, die zu berücksichtigen sind. Schließlich ist der Orientteppich ein Produkt das lebt und das zugleich auf eine ungeheuer lange Historie und Tradition verweisen kann. In dieser Hinsicht gibt es weltweit keine annähernd vergleichbare Handarbeit. Eine, die zudem prägend für die jeweilige Einrichtung ist und dort meist sogar die Führung übernimmt.
Denier - Maßeinheit, beispielsweise für Seidengarne
Denier ist ein Fachbegriff aus dem Weberhandwerk. Er stammt aus dem Französischen und wird den-jeh ausgesprochen. Denier (Abk. den) - auch mit Titer (Td) bezeichnet - war die früher übliche Bezeichnung für Fadenstärken aus Reiner Seide, später dann auch für Kunstfasern. In der Seidenindustrie hat sich diese alte Norm aus Tradition bis heute erhalten.
Die Denier-Zahl gibt das Gewicht eines Fadens von 9.000 m Länge an. Eine Angabe von 60den bedeutet also, dass beispielsweise 9.000 m Faden 60 g wiegen. Bei Seidenteppichen mit ca. 1 Million Knoten pro Quadratmeter wird für den Flor allgemein ein Seidengarn mit der Stärke 1.440 Denier verknüpft. Es besteht aus 24 Einzelfäden à 60den. Die Angebe für den Einzelfaden wird jedoch 50/70den lauten. Diese Doppelzahl ist darauf zurückzuführen, weil ein Seidenfaden als Naturprodukt grundsätzlich Schwankungen zwischen dem dünnstem und dem dicksten Fadenbereich unterliegen. Ausschlaggebend ist dann der rechnerische Mittelwert, also 60den.
Seit 1967 werden die Garnstärken jedoch in einer international verbindlichen und von der ISO empfohlenen Maßeinheit der längenbezogenen Masse in tex angegeben. Tex gibt das Gewicht in Gramm pro 1.000 m Faser an. Üblich ist es jedoch, von Dezitex (dtex) zu sprechen, also einer Maßeinheit, die das Fadengewicht der zehnfachen Länge, also für 10.000 m angibt. Aus der denier-, beziehungsweise der dtex-Angabe kann der Fachkundige unter anderem die für das Weben und Knüpfen wichtige Reißlast ableiten. Rechnerisch entspricht somit 1 Denier = 1/9 tex.
Fragment - unvollständiges Restteil
Aus dem Lateinischen fragmentum stammend, bedeutet das Wort Fragment auf Deutsch so viel wie Bruchstück, Überrest. Im Zusammenhang mit Orientteppichen spricht man von Fragmenten oder fragmentarischer Erhaltung, wenn nur noch Teile des ursprünglichen Gesamtteppichs oder einer ähnlichen Textilie vorhanden sind. Wichtig scheint der Hinweis, dass nur museale Orientteppiche auch als Fragment wertvoll sind. Normale Handelsware ist als Fragment hingegen wertlos.
Bedeutende Orientteppichfragmente sind beispielsweise die 1935/36 n Fostat (Alt-Kairo) von Carl Johan Lamm oder die von Sir Aurel Stein 1906-1908, und 1913-15 in Turfan (Zentralasien) aufgefundenen Knüpfteppichüberreste, die vom 5. bis 14. Jahrhundert datiert werden. Der berühmte Pazyryk-Teppich, dem "nur" Teile einer Ecke fehlen, wird von den Kunsthistorikern nicht als Fragment, sondern als beschädigt eingestuft.
Tientsin - Ort und Orientteppichprovenienz in der VR China
Die nordchinesische Stadt Tientsin, oder Chinesisch Tianjin, liegt etwa hundertdreissig Kilometer südlich von Peking, sechzig Kilometer landeinwärts am Heihfluss, der in den Golf von Chilih (Beijing) am Gelben Meer mündet. 1858 wurde hier der den 2. Opiumkrieg, auch bekannt als Boxeraufstand, beendende Tientsin-Vertrag geschlossen. Mit ihm erzwangen sich ausländischen Firmen den zollfreien Zugang zum chinesischen Markt, was auch die Entwicklung chinesischer Knüpfteppiche nachhaltug beeinflusste. Durch seinem hohen Anteil an ausländischen Firmen galt Tientsin lange Zeit als eine Art Shanghai des Nordens, eine Stellung, die es langsam wieder zurückzuerobern scheint.
Seit nunmehr gut achtzig Jahren ist Tientsin eins der bedeutendsten Teppichknüpfzentrem in der VR China. Mit dieser Stadt und der dortigen Knüpfindustrie, speziell den in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts gegründeten Teppichmanufakturen, ist der Name des Amerikaners, W.A.B. Nichols, eng verbunden. Jahrzente lang betrieb er in China zeitweise bis zu 14 Teppichmanufakturen, die meisten davon in Tientsin. Ihre handgeknüpfte Produktion wurde überwiegend in den USA von der dortigen Importfirma Pande-Cameron vertrieben. Viele der heute in Deutschland so begehrten China-Altknüpfungen stammen ursprünglich aus den Nicols-Produktionen. Andere bekannte Produzenten dieser Zeit waren die Firmen von Elbrook und Karaghüssian. Letzterer auch bekannt als Importeur der sog. "Amerikanischen Saroughs". Hier wirkten damals Designer, wie beispielsweise das Ehepaar Helen und Franklin Fette, deren von Chinadessinentwürfe in erster Linie auf den Geschmack der US-amerikanischen Verbraucher ausgerichtet waren.
Aus dieser aufstrebenden Stadt mit ihrem fünfzig Kilometer flussabwärts gelegenen Tiefwasserhafen Tunggu, kamen einst die meisten Knüpfteppiche. Überwiegend in chinesischen Stilrichtungen mit 5/8" (16 mm) Schurhöhe, aber auch Savonnerie-Dessins und eine dem europäischen Rokoko nachempfundene Stilrichtung, die im Handel als Ästhetiks bezeichnet wird. Bei den einfarbigen Ton-in-Ton-Teppichen werden die barocken Reliefmuster mittels Clippig in den Flor eingeschnitten. Dieser Teppichtyp ist derzeit allerdings etwas ausser Mode.
1976 wurden Tientsin und Umgebung durch ein fürchterliches Erdbeben verwüstet, das großes menschliches Leid verursachte, aber auch die Knüpfindustrie jahrelang erheblich einschränkte.
Seit Mitte der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts werden in Tientsin vornehmlich Handtuftteppiche hergestellt. Ebenfalls ausschließlich Produktionen für den Export in die westlichen Hemisphären. Traditionell werden die Muster und Farbstellungen immer noch von den Bestellern vorgegeben. Der Export ist auch der eigentliche Grund, weshalb man die Knüpfereien praktischerweise gleich in Tientsin, also in unmittelbarer Nähe eines Seehafens errichtete.
Nanyang - Ort in Zentral-China mit Seidenteppichproduktion
Nanyang ist die Hauptstadt der in Zentral-China gelegenen Provinz Henan, wo etwa neunzig Prozent aller China-Seidenteppiche geknüpft werden, insbesondere die Gruppe der so genannten China-Hereke.
Die Nanyang-Seidenknüpfungen weisen oftmals oben und unten einen Ansatzkelim auf, in den Seidenponpons oder andere Teilgestaltungen eingeknüpft sind. Diese Zusatzdekoration haben die Chinesen der türkischen Seidenteppichmanufaktur Özipek abgeschaut. Die arabisch anmutenden Schriftzeichen, die den Namenszug von Manufakturen vorgeben sollen, sind hingegen meist unleserlich.
Aus Nanyang stammt unter anderem der feinste Seidenteppich der Welt, ein kleines Stück mit unglaublichen einundzwanzig Millionen Knoten pro Quadratmeter. Es wurde im Heimtex-Orientteppich, Ausgabe 3/2004, eingehend beschrieben. Zum Knüpfzentrum Nanyang gehört auch die größte Seidenteppichmanufaktur Chinas, die in dem Nachbarort Zhenping produziert. Hier sind etwa fünftausend Menschen mit der Herstellung handgeknüpfter Seidenteppiche beschäftigt. Der weltweite Exklusivvertrieb dieser Großmanufaktur liegt in den Händen eines süddeutschen Großimporteurs.
Serail - Innenhof im Orient
Die bauliche Tradition des Orients, Wohn- und Wirtschaftsgebäude um einen großen Innenhof zu bauen und mit einer hohen Mauer gegen die Umwelt abzuschirmen, findet sich auch in Europa. Das gesamte Familien- und Arbeitsleben findet statt in diesem Innenhof. Eingeführt im Abendland wurde diese Bauweise von den Römern, die solche Häuser als Atrium bezeichneten. Oft findet sich in der Hofmitte ein Brunnen oder ein Teich, der in den heißen Zonen für etwas Kühlung sorgen soll.
Auch Karawansereien und viele Basaranlagen sind ein in Serailform gestaltet, oft sogar überdacht, um so Schutz vor der brennenden Sonne zu gewähren. Die Basare im Orient sind oft eine Aneinanderreihung von Serails in denen die Teppiche zum Verkauf feilgehaltenen werden. Sie sind vor den kleinen Büros der Basaris in den Innenhöfen aufgestapelt. Diese Lagerhöfe werden abends geschlossen und bewacht.
Das Serail beeindruckte das Abendland zur Zeit des Barock und Rokoko so sehr, dass Mozart eine seiner Opern "Entführung aus dem Serail" nannte. Pate für dieses Singspiel in drei Akten war das Topkapi-Serail, Türkisch Saray, in Istanbul. In diesem Komplex ist besonders der Haremsinnenhof von hohen Mauern und Gebäuden vor fremden Einblicken geschützt.
Z-Drehung - Spinnrichtung eines Garns
Wenn mehrere, parallel verlaufende Fäden um ihre Längsachse zu einem Garne verdreht, also gesponnen werden, so kann dies rechts oder links herum geschehen. Bei letzterer Drehrichtung der Garnspinnung bzw. -zwirnung (= Verdrehen zweier oder mehrerer Garne), die entgegen dem Uhrzeigersinn verläuft spricht man von Z-Drehung, der auch Linksdrall genannt wird; auf der Garnoberseite wird ein Z gebildet.
Im Orientteppichbereich ist diese Fachbezeichnung gebräuchlich in Strukturanalysen. Manchmal kann sie auch helfen, die Zuordnung eines Orientteppichs zu ermöglichen. Die Drehrichtung eines Garns ist jedoch kein Qualitätsmerkmal.
Loribaff oder Luribaff - neuere Orienttepichprovenienz aus Persien
Der Luribaff ist eine feinere, von den Luren Südwest-Persiens geknüpfte Variante des Gabbeh. Teppiche gleichen Designs, Knüpfung, Farben und Materials kommen auch als Kaschghulibaff oder Risbaff in den Handel. Letzteres bedeutet "Feinknüpfung" und ist damit ebenfalls ein deutlicher Hinweis auf den zuvor geknüpften, erheblich gröberen Gabbeh. Die Zusatzsilbe "baff" bedeutet soviel wie "........geknüpft", frei übersetzt also Luren-Knüpfung.
Der Provenienzname Luri- oder Loribaff ist neueren Datums und bezeichnet Orientteppiche, die weitgehend der Tradition der Ghaschghai-Knüpfungen folgen, jedoch im Gesamtbild und in der Machart viele Neuerungen und Weiterentwicklungen zeigen. Der Name geht zurück auf das in Süd-Persien lebende Volk der Luren, die sich übrigens als direkte Nachfahren der antiken Meder sehen. In Fachkreisen gelten die Luribaffs gewissermaßen als veredelte und weiterentwickelte Nachfolger der Gabbehs.
Beide Knüpfteppichtypen werden zur Hauptsache von den Stämmen der Luren, Kurden und Ghaschghais dieser Großregion geknüpft. Soweit sie von den Gaschghais stammen, werden sie nach dem Gliedstamm der Kaschghuli Kaschghulibaff genannt. Diese neue Provenienzbezeichnung ist jedoch mehr als Gattungsname zu verstehen, denn dieser Teppichtyp wird mittlerweile auch von anderen, in der Provinz Fars ansässigen Ethnien geknüpft. Daher auch die, allerdings selten auftauchende, Bezeichnung Farsbaff.
Kett- und Schussgarne bestehen traditionell aus Schafwolle. Selten kommen auch Grundgewebe aus Baumwolle vor. Geknüpft wird mit dem Türkischen Knoten, auch Gördes-, Turkbaff oder Symmetrischer Knoten genannt. So wie in diesem Landstrich allgemein verbreitet am horizontalen Knüpfstuhl. Die Knüpfdichten liegen zwischen 120.000 und 160.000 Knoten/qm. Neuerdings kommen jedoch auch feinere bis gut 200.000 Knoten/qm in den Handel. Farben und Dessins verweisen eindeutig auf die Vorläufer, die Knüpfungen Ghaschghais und Luris. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Gaschghai-Teppichen, die zum Teil auch floral gemustert sind, zeigen die Luribaffs jedoch grundsätzlich einen geometrischen Duktus. Die Schur ist relativ hoch, der Griff fest bis brettig. Dessins und Farben passen sich den Trends auf den Importmärkten an. Für iranische Haushalte haben diese Neuknüpfungen keine Bedeutung, sind also reine Exportknüpfungen nach den Wünschen der Verbraucher auf den Importmärkten.
Asymmetrischer Knoten - verbreiteter Teppichknüpfknoten
Es gibt nur zwei Basisknoten, um Orientteppiche zu knüpfen. Der eine wird Gördes-Knoten genannt, der andere ist der Senneh-Knoten, der auch Sennehbaff, Persischer Knoten, Farsibaff oder Asymmetrischer Knoten genannt wird. Warum er den Namen der Stadt Senneh trägt, in der zudem ausschließlich der andere, der Gördes-Knoten Verwendung findet, ist zumindest schleierhaft. Mit Sicherheit wurde er nicht in dieser Stadt "erfunden", noch ist er auf Persien oder Persisch sprechende Völker beschränkt, sondern - genau wie sein Bruder Gördes - orientweit verbreitet. Einige Völker benutzen zudem beide Knotenarten, manchmal sogar in ein und dem selben Teppich.
Im Unterschied zum Symmetrischen wird beim Asymmetrischen Knoten nur ein Kettfaden voll von dem Knüpfknoten umschlungen, während der andere Knotenschenkel den Kettfaden vollständig umschließt. Fachlich ganz korrekt kann man hier von einer Asymmetrie, also einem Asymmetrischen Knoten sprechen. Beide Küpfknoten sind jedoch qualitativ absolut ebenbürtig. Immer wieder anzutreffende Hinweise mit dem einen oder anderen Knoten ließe sich enger oder feiner knüpfen, entbehren jeder Grundlage, denn mit beiden kann man grob bis superfein, fest und locker, hoch- und flachflorig knüpfen.
Wenn der Flor in Schußrichtung aufgebogen wird, um von oben in den Grund eines Knüpfteppichs zu schauen, ist erkennbar, welcher Knoten verwendet wurde
Der Asymmetrische (Senneh-) Knoten wir in folgende sieben Knotenformen gegliedert, die für Strukturanlysen der Knüpfunen, beispielsweise in wissenschaftlichen Gutachten eine Rolle spielen:
S Ia - Kette ungestaffelt, rechts
S Ib - Kette ungestaffelt, links
S II - Kette ca. 45 gestaffelt, rechts
S III - Kette ca. 45 gestaffelt, links
S II - Kette ca. 90 gestaffelt, rechts
S III - Kette ca. 90 gestaffelt, links
ohne - gestaffelt, übereinander liegend
Tachte Djamschid - persischer Name für Persepolis
Tachte Djamschid ist der persische Name für die achämenidische Königsmetropole Persepolis. Eine Bezeichnung, die das Abendland aus dem Griechischen übernommen hat, was schlicht "Stadt der Perser" heißt. Ihr persischer Name hingegen bezieht sich auf Djamschid, den legendären Gründer der Dynastie der Achämeniden ((675 bzw. 559-330 v.Chr.) und bedeutet: "Thron des Djamschid". Er steht zugleich für den Palast Daraios d. Gr. (von 522-485 v.Chr.).
In Koliai- und Garrus-Knüpfungen der Kurden West-Irans bezeichnet Tachte Djamschid ein signifikantes Teppichmuster. Es tritt meist auf als schmales Längsformat, das auch Kelleghi oder Exote genannt wird. Da überhaupt keine Ähnlichkeit mit dem antiken Baukomplex zu erkennen ist, läßt sich aus der Gestaltung des Dessins keine Begründung der Musterbezeichnung herleiten. Zudem hatten die Kurden West-Irans in früheren Zeiten kaum Verbindung mit dem weit entfernt liegenden Stammland der Perser, dem Fars-Gebiet. Anzunehmen ist eher, daß hier einst eine willkürliche Namensgebung erfolgte, die ursprünglich nichts mit dem heutigen Namen zu tun hat.
aus
Heimtex Orient 05/04
(Teppiche)