Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?
Eine kleine Warenkunde
In der vorherigen Ausgabe stellten wir Ihnen wie üblich zehn Fachbegriffe vor und haben Ihnen dazu vier verschiedene Lösungen angeboten, von denen allerdings nur eine gilt. Haben Sie die richtige angekreuzt? Hier sind die korrekten Antworten mit den entsprechenden Erläuterungen dazu. Jede richtige Antwort ist für den Rater ein weiterer Schritt zum Fachmann. Sollten Sie in der vorangegangenen Ausgabe noch nicht alles richtig geraten haben, so haben Sie jetzt wieder eine neue Chance in diesem Heft.
Seistan - dem Belutsch verwandte Teppichprovenienz aus Südost-Persien
Obwohl aus dem Südosten Persiens, aus der weiteren Umgebung von Sabol und dem abflusslosen Delta des Helmandflusses stammend, werden die Seistans allgemein den Belutsch-Knüpfungen zugeschlagen. Sie sind mit dem Persischen Knoten geknüpft und haben nur einen Schuss. Die in manchen Seistans auftretenden, für Belutschteppiche untypischen, vierersymmetrischen Medaillonmuster, gehen auf die Einflussnahme eines örtlichen Händlers zurück, der den Knüpfern in den dreissiger Jahren des 20. Jhd. einige westpersische Teppiche als Mustervorlagen zur Verfügung stellte. Das heutige Knüpfaufkommen ist gering. Seistanmuster und -farben werden seit einigen Jahren auch in nördlichen West-Afghanistan geknüpft.
Im Gegensatz zu den anderen Belutschen, die überwiegend in den Hauptfarben Dunkelblau und Dunkelrot gehalten sind, erscheinen die Seistans in etwas lichteren Farben. Besonders die oft vasenähnlichen Primarornamente haben vielfach einen provenienztypischen, braunorangestichigen Ton. Wie bei Belutschen üblich, sind Kett- und Schussgarne aus Schafwolle. Auffällig ist das lang-schmale Maßverhältnis, meist ca. 1,00 m x 2,00 m, also doppelt so lang wie breit und damit deutlich schmaler als gewöhnliche Belutschen. Stücke weit unter ca. 2,00 qm sind ausgesprochen selten.
Osmanen - türkische Herrscherdynastie
In Europa auch Ottomanen genannt, geht der Name zurück auf Osman, einen Herrscher des Turkstammes der Sögut, Zweig des Volkes der Ogusen. Um das 11. Jahrhundert drangen sie von Zentralasien aus nach Westen vor und unterwarfen schließlich das allerdings bereits marode, byzantinische Reich. Es erstreckte sich damals nur noch auf Stadt und Umgebung von Istanbul und einige Inseln.
Die Dynastie wurde 1300 von Osman I. Gazi, d.h. der Tapfere, (1299-1326) gegründet und hatte über sechshundert Jahre Bestand. Mit dieser beeindruckend langen Zeitspanne war sie die am längsten regierende Herrscherdynastie im Weichbild Europas und bestimmte Jahrhunderte lang maßgeblich die Politik des Abend- und Morgenlandes. Als 1922 in der Türkei die Republik ausgerufen wurde, verwiesen die neuen Machthaber den letzten Sultan Mehmed Vadettin (1918-1922) des Landes. Bis heute dürfen die exilierten Osmanen samt direkter Verwandter die Türkei nicht betreten.
Um jede dynastische Rivalität im Keim zu ersticken, war anfangs ganz offiziell der Brudermord das vorweggenommene "Allheilmittel" gegen mögliche Thronstreitigkeiten: Der neu gekürte Sultan - er wurde symbolisch mit dem Schwert Osmans umgürtet - ließ bei Regierungsantritt umgehend alle seine Brüder erdrosseln. Mit Beginn des 17. Jahrhunderts wurde dann die Dynastiefolge weniger barbarisch durch einen Seniorrat bestimmt.
Zunächst regierten die Osmanen von Bursa/Westantolien aus, ab 1361 von Edirne/europäische Türkei. Als Sultan Mehmet II. (1451-1481) 1453 das byzantische Konstantinopel eroberte, machte er es unter dem Namen Istanbul zu seiner Hauptstadt. Die auf zwei Kontinenten gelegene Metropole wurde zur wichtigsten Drehscheibe des Orienthandels - bis etwa 1925 auch für Teppiche.
Das osmanischen Reich vereinte eine Vielzahl Völker unterschiedlicher Sprachen, Kulturen und Religionen. Da sie durchweg, mäßig besteuert, friedlich miteinander lebten, Kunst und Wissenschaft vom Istanbuler Hof, dem Topkapi, nachhaltig gefördert wurden, galt das Reich des Sultans im 17. und 18. Jhd. als das fortschrittlichste der Alten Welt. Mit den militärisch bestens ausgebildeten, anfangs hochmotivierten Janitscharen verfügte das Imperium zudem über die damals militärisch schlagkräftigeste Truppe. Das Kalifat - der Kalif war Beschützer, nicht Beherrscher aller Moslems - ging im 16. Jhd. auf Sultan Selim I. (1512-1520) über. Die Osmanen hatten es bis zum Ende ihrer Dynastie inne.
In seiner größten Ausdehnung reichte das Türken-Imperium von Kleinasien über den Balkan, Südrussland mit der Krim und den Kaukasus über Ägypten bis zum Maghreb Nordafrikas. Es umschloss den Nahen Osten und das Zweistromland, den heutigen Irak. Zeitweise gehörte auch Westpersien dazu. Der Vormarsch der Türken nach Europa wurde erst 1683 in der Schlacht vor Wien endgültig gestoppt. Die flüchtenden Truppen ließen in ihren Feldlägern unter anderem große Mengen hochwertiger Teppiche zurück, von denen etliche im Österreichischen Museum für angewandte Kunst, Wien, ausgestellt sind. Eine ausgesprochen sehenswerte Sammlung aus dem Beutegut der Habsburger.
Eine der bekanntesten Schlachten gegen die Türken, die die serbische Nation bis heute prägt, war die von 1389 auf dem Amselfeld im Kosovo. Die Serben unterlagen verlustreich und wurden den Osmanen bis 1878 tributpflichtig.
Saber - berühmte Orientteppich-Manufaktur in Mesched, Iran
Die Teppiche dieser bereits in der vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts geschlossenen Orientteppich-Manufaktur zeichnen sich durch besonders feine Knüpfung und hochwertige handwerkliche Verarbeitung aus. Damit gehören die Saber-Mescheds zu den gesuchten Spitzenerzeugnissen persischer Knüpfkunst. Ihr Farbspiel ähnelt zwar denen der Mescheds, ist aber weicher und harmonischer. Meist sind sie auch kleinteiliger gemustert. Da die Saber-Knüpfungen an den Längsseiten neben dem Schirasi umlaufend fast immer einen fein gewebten, farbigen etwa drei bis fünf Zentimeter breiten Seidenkelimstreifen haben - manchmal in den persischen Nationalfarben Rot, Weiß, Grün - sind sie aus der Vielzahl der Knüpfungen sehr gut herauszukennen.
Orient-Teppich-Kompass - jährlich neu erscheinendes Nachschlagewerk für die Orientteppich-Branche
Mit dem Orientteppich-Kompass verfügt die Branche über ein zuverlässiges und handliches Nachschlagewerk, das jährlich aktualisiert erscheint. In ihm finden sich alle wichtigen Adressen der Orientteppich-Importeure und Dienstleister, aber auch Fachliches zum Orienteppich, sowie Informationen über die Knüpfländer. Ferner werden die für die Branche bedeutensten Verordnungen und Gesetze wiedergegeben. Damit gehört der Orientteppich-Kompass auf jeden Schreibtisch.
Gabelranke - florales Teppichornament pflanzlicher Herkunft
Die Gabelranke ist eines der ältesten Ornamente und findet sich in fast jedem Teppich mit floralem Dessin. Vorbild für dieses Ornament ist der verzweigte Ast von Bäumen, Büschen und anderen Pflanzen. Meist ist die Gabelranke in ihrer Verzweigung auffällig verdickt. Oft läuft sie in Spiralen aus.
Toman - umgangssprachliche Bezeichnung im Iran für eine nicht offizielle Währungseinheit.
Jeder Orientteppichimporteur kennt die iranische Währung und rechnet offiziell in Rial ab, natürlich auch in Euro, US$ oder einer anderen, frei konvertierbaren Währung. International wird Rial RI oder Ris abgekürzt. Die kleine, sozusagen die Centeinheit des Rial, ist der Dinar, der wegen der hohen Inflationsrate, also den zahlreichen Nullen, derzeit allerdings keine Anwendung findet.
Die Bevölkerung rechnet jedoch allgemein in einer anderen, offiziell schon lange nicht mehr existierenden Währung, in Toman oder Tuman. Dieser entspricht einem Wert von 10 Rial, so wie einst der inoffizielle Groschen zehn Pfennigen entsprach. Auf den Basaren wird grundsätzlich erst einmal in Toman offeriert, dem unkundigen Ausländer allerdings auch in Rial. Also ist es absolut wichtig, sich die Währungseinheit vor Kaufabschluss noch einmal bestätigen zu lassen. Falsch verstanden, kann es nämlich passieren, dass der in Rial denkende Einkäufer plötzlich gewahr wird, Toman, also zehnmal so viel berappen zu müssen.
Der derzeitige Umrechnungskurs, der so genannte Straßenkurs, beträgt 1 Euro = ca. 9.500 Rial oder umgangsprachlich weitaus gebräuchlicher: 950 Toman. Es gibt auch noch andere, offizielle Kurse, die der Staat für bestimmte Außenhandelsgeschäfte und Leistungen quasi als Exportsubvention gewährt.
Spannen - Verfahren um eine ebenmäßige Teppichfläche zu erhalten oder Wellen im Teppich zu glätten
Durch die Handarbeit ist nicht immer gewährleistet, dass Knüpfteppiche plan und ebenmäßig vom Knüpfstuhl kommen. Manchmal sind sie nach dem Abschneiden vom Stuhl wellig, haben Beulen oder sind etwas krumm. Fachbetriebe können diese, kaum vermeidbaren Material- und Fertigungsfehler in den überwiegenden Fällen jedoch beheben. Dazu werden die Teppiche auf eine kräftigen Eisenrahmenkonstruktion gespannt und längs und quer gereckt. Auf modernen Spannrahmen kann der angelegte Zug je nach Bedarf erhöht oder gemindert werden. Da Naturfasern nass flexibler sind, wird der Teppich mit Wasser durchtränkt.
Bei einem älteren Verfahren dehnt man den Teppich per Hand vor und nagelt die Teppichränder in zwei bis drei Zentimeter Abständen trocken auf eine starre Holzunterlage. Die Nagelspuren sind später bei genauem Hinsehn manchmal noch sichtbar, wirken sich jedoch nicht wertmindernd aus. Ist der Teppich mit Nägeln fixiert, wird er mit Wasser begossen. Das Einlaufen des Grundgewebes ruft Spannung hervor, so dass sich das Werkstück von selbst ausreckt, wobei die Unebenheiten gerichtet und geglättet werden. Ein Verfahren, das hauptsächlich bei Teppichen mit Wollgrundgewebe eingesetzt wird. Es kann allerdings vorkommern, dass die Wellen später - insbesondere bei Wollgrundgewebe - im feuchteren Klima Mitteleuropas wieder auftreten. Nochmaliges Spannen schafft meist endgültig Abhilfe.
Problematisch wird es allerdings, wenn das Grundgewebe teils aus Natur-. teils aus Kunstfasergarnen besteht. Derartige, hin und wieder in hochwertigeren Teppichen der Provenienzen Täbris und Bidjar, aber auch in türkischen Herekes eingesetzten Polyacrylketten und -schüsse verhalten sich bei Nässe neutral, Naturfasern hingegen schrumpfen. Bei welligen Teppichen mit dem genannten Materialmix ist Spannen durchweg zwecklos. Bisweilen ist der Teppich hiernach zwar einige Tage, manchmal auch nur Stunden plan, beziehungsweise gerade, "springt" dann aber wieder in seine Ausgangslage zurück. Wiederholte Versuche haben gezeigt, dass selbst mehrmaliges Spannen zwecklos ist.
Henna - Färbepflanze für Orange bis gelbliches Rot
Der Hennastrauch (Lawsonia inermis); kurz Henna oder auch Alkanna, Persisch Gol Hena genannt, ist ein ligusterähnliches Weiderichgewächs, das bis zu vier Meter hoch werden kann. Henna ist eine seit Urzeiten im Orient weitverbreitete Färbepflanze und bereits im Ägypten der Pharonen nachweisbar. Aus den Jungtrieben, Blüten und Wurzeln wird ein dauerhafter, lichtechter Farbstoff in den Tönen Orange bis gelbliches Hellrot gewonnen.
Zudem war die wohlduftende Hennablüte der Legende nach die Lieblingsblume des Propheten Mohammed, weshalb sie im islamischen Orient besonderes Ansehen genießt. Beispielsweise werden die Opferhammel, aber auch das Vieh mit Henna gekennzeichnet. Dem Pflanzensaft wird eine antiseptische Wirkung nachgesagt, den Pflanzenteilen auch heilende. Aus diesem Grund sieht man hin und wieder Knüpferinnen, die sich die besonders beanspruchten Knüpffinger speziell mit diesem Farbstoff benetzen, die dann aussehen wie mit Jod eingepinselt. Sicher spielt hierbei auch der nachweislich kühlende Effekt des Henna eine Rolle.
Henna dient auch kosmetischen Zwecken, zum Beispiel als Färbemittel für Haare, Bärte, Fingernägel, Handflächen und Fußsohlen. In Indien ist die Körperbemalung mit Henna uralte Tradition.
Uschak - Türkische Teppich-Provenienz aus Anatolien
Die richtige Schreibweise ist Usak mit einem speziellen s des Türkischen Alphabets. Es wird wie Sch-ule gesprochen. Der früher bedeutende Knüpfort liegt im Westen Anatoliens.
Seit alters her sind die Usak hochgeachtete Knüpfungen und gesuchte Teppichantiquitäten. Europäische Fürstenhäuser ließen bereits vor gut vierhundert Jahren in Usak knüpfen und die Teppiche sogar mit ihren Wappen versehen. Auf Gemälden der Renaissance, beispielsweise von Lorenzo Lotto (1480-1556) und Hobein d. J. (1497-1543), sind Usaks als Inventarstücke mit abgebildet. Diese Gemäldeteppiche wurden berühmt als Lotto-, Holbein-, Vogel- und Medaillon-Usaks. Da es sich im Detail um teils akribisch genau wiedergegebene Dessins handelt, unterstützen die Renaissancegemälde des 15. bis 16. Jhd. die Datierungen musealer Usaks.
Heutzutage werden wieder Uschaks angeboten. Sie stammen jedoch nicht aus dem Ort selbst und haben meist nur den Namen mit den hier angesprochenen Teppichantiquitäten gemein. Die neuen Uschaks kommen vorwiegend aus indischen, ägyptischen (die sog. Cairin), afghanischen (hauptsächlich Kabul) und pakistanischen (Peschwar) Knüpfereien. Sie sind jedoch nicht traditionsgetreu sondern den Ziegler-Teppichen nachempfunden, folgen also in Dessin und Farben den heutigen Marktwünschen.
aus
Heimtex Orient 04/03
(Teppiche)