Nachknüpfungen weiter auf dem Vormarsch

EU-Gesetze fordern korrekte Ursprungsangaben


Längst schon findet eine Art Globalisierung der Knüpfkunst statt, allerdings beschränkt auf den "Teppichgürtel". Immer mehr Dessins werden in allen Winkeln des Orients nachgemacht. Europäische und US-Importeure geben Duktus, Muster und Farben vor. Beliebte Muster und Farbkompositionen wandern von Kleinasien bis in den Fernen Osten, in Innerpersien in alle Knüpfgegenden dieses Riesenlandes. Ungemein subtil in Stil und Farben nachgeahmt, fällt es selbst Fachleuten immer schwerer, Imitationen vom Original zu unterscheiden. Ob nun freundlich Inspiration oder abfällig Kopie genannt, ist nur eine Frage des Standpunktes. Den Markt interessiert diese Abwägung herzlich wenig, denn die meisten Nachknüpfungen gefallen - und sie sind preiswerter als die Originale. Auch neue, auf antik getrimmte Knüpfungen werden zunehmend wichtiger für die Sortimentsgestaltung des Einzelhandels.

Dass Dessins von einer Provenienz zur anderen wandern - oft über mehrere Zwischenstationen - ist seit eh und je der Fall, wie der hier abgebildete, etwa siebzig Jahre alte Ghoutschan, dem unverkennbar ein Masleghan aus dem Hamadan-Gebiet als Vorlage diente. Die Kunsthistoriker nennen das vornehm Dessintransfer, der düpierte Designer hingegen spricht vom Musterklau. Mit der zunehmenden Effizienz der Kommunikation und Logistik in den vergangenen zwei Jahrzehnten und unter dem ständigen Preisdruck auf die Importe verstärkte sich zusehends der Trend, immer preiswerter zu produzieren. Heutzutage ein Teppichdesign in den entferntesten Winkel des Orients farbig zu emailen, ist byte-schnell erledigt. Für die Produktion wird es dort dann auf Knüpfvorlagen übertragen - ebenfalls am Computer. Gegen all diese Verschiebungen ist eigentlich nichts einzuwenden - und sowieso kein Kraut gewachsen -, denn letztlich wirkt sie auch inspirierend und belebend auf die Dessinvielfalt. Möglicherweise kann sie aber auch zur Vereinheitlichung führen und somit in eine Sackgasse münden. Schließlich wird auf diese Weise die Mustervielfalt mehr und mehr eingeschränkt.

Wichtig bei all diesem Wirrwarr muss aber sein, dass der Handel die schriftliche Auslobung korrekt handhabt. Den Brüsseler EU-Vorschriften Rechnung tragend, ist auf den Warenetiketten und den Kaufbelegen grundsätzlich das genaue Ursprungsland voll ausgeschrieben auszuweisen, immer in seiner aktuellen, offiziellen Bezeichnung und bezogen auf die heutigen, politischen Grenzen. In Folge der anstehenden Novellierung des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) ist zudem zu vermuten, dass die Wettbewerbsvereine und ihre Zentralen mit dem Wegbrechen ihrer bisherigen Pfründe nach neuen Betätigungsfeldern und Einkommensquellen für sich Ausschau halten werden. Mangelhafte Warenauszeichnungen sind schnell und kostenträchtig abgemahnt.

Auftakt war der Azerie

In unserer Zeit begann das Nachmachen geachteter Teppich-Dessins in den frühen Achtzigern des vergangenen Jahrhunderts mit den Azeries von George Jefremovic. Da der damals erst gut dreissigjährige Amerikaner mit seiner Idee, antik inspirierte Baghscheich- und Heris-Dessins auf den Markt zu bringen, in Persien nicht durchdrang, ließ er seine Entwürfe dann schließlich in der Türkei knüpfen, in der Gegend um Konya. Zwar etwas teurer, aber sehr gelungen, wie der Handel bestätigen kann. Er gab den meist kurdischen Knüpferinnen eine klare Grundkonzeption vor, beließ ihnen aber die Freiheit ihres natürlichen Impulses, mit Farben und Mustern zu spielen und damit weitgehende, künstlerische Entfaltungsmöglichkeiten.

Diese Gestaltungsfreiheit hat sich hervorragend bewährt, so dass bis heute durchweg außergewöhnliche Teppiche erschaffen werden. Azerie-Teppiche waren also von Anbeginn ein voller Erfolg und machten anderen Mut, ähnliches zu versuchen. Zudem sind sie sehr robust und strapazierfähig. In Persien hat man mit den Neu-Serapis ein Gleiches versucht, blieb aber farblich mehr im Pastellbereich.

Letztlich von dieser Nachfrage ermutigt, knüpft man in der Türkei seit geraumer Zeit gekonnt Kaukasus-Dessins im Antikkleid nach. Die neueste Masche ist, dafür verschlissene Kelims aufzureppeln und mit der rückgewonnenen Altwolle "antike" Schirwans und Kubahs zu verwirklichen. Diese brandneuen "Teppichantiquitäten" sind den Originalen zwar täuschend ähnlich und hervorragend geknüpft, aber für Insider schnell herauszukennen. Für unbedarfte Touristen allerdings kaum.

Die heutigen, blassfarbenen Uschaks sind beileibe keine Nachfolger ihrer hoch angesehenen, antiken Vorgänger. Der Markt aber ist sehr interessiert an diesen blassen Neuentwicklungen, die nach wie vor aus der Gegend von Uschak kommen, aber mit den Antikteppichen ausser dem Namen nichts mehr gemein haben. Erfolgreich kopiert werden sie mittlerweile in Ägypten, wo man sie auch Cairin nennt. In Indien geknüpft, kommen sie als Indo-Uschaks auf den Markt. Ihre Farben sind von vornherein auf alt getrimmt und meist schon dermaßen blass, dass jedes weitere Antikisieren überflüssig ist. Bei einigen Knüpfungen aus Ägypten muss man sogar genau hinschauen, um überhaupt noch Farben zu erkennen.

Von den Mogulkaisern bis heute

Seit der Epoche der Mogulkaiser (1526-1857), die einst Knüpfer aus Persien anwarben, leben indische Knüpfereien in Kaschmir, Agra, Jaipur, Amritsar und dem nordindischen Teppichgürtel um Badaohi herum bis heute von persischen Teppichinspirationen. Eigendesigns und native indische Stilelemente oder gar Eigenentwicklungen finden sich dagegen eher selten. Kaum auf dem Markt, wurde der persische Gabbeh flugs in Indien kopiert.

Indische Nepal-Dessins sind kaum noch von den Originalknüpfungen aus dem Himalayastaat zu unterscheiden. Ja sogar die durchaus gelungenen Imitationen der "Amerikanischen"-Saroughs mit ihren kurzen, geschickt "antikisierten", dunklen Fransen haben mittlerweile ihren festen Platz im Sortiment vieler Anbieter. Bei persischen Dessins aus Indien ist eine exakte Angabe des Ursprungslandes unbedingt erforderlich, ganz besonders dann, wenn der Name der persischen Usprungsprovenienz für ein anderes Land übernommen wurde.

Aus China oder der Türkei?

Seiden-Hereke aus China sind fast nicht mehr vom Original zu unterscheiden, insbesondere dann, wenn es sich um die so genannte "doubleknot"-Ware handelt, also die mit Türkischem Knoten geknüpfte. Da die China-Hereke erheblich preisgünstiger sind als die anatolischen, wagen sich die Türken nur noch an Ausnahmeknüpfungen ihrer ursprünglich von Hereke und Kayserie dominierten Seidenteppichproduktion. In China geknüpfte Mahi-Täbris und kleinteilige Kirman- und Nain-Dessins sind derart vollkommen imitiert, dass nur Fachleuten die Zuordnung gelingt. Schon jetzt ist sicher, dass wir von der in China immer mehr aufblühenden Knüpfindustrie noch etliche Überraschungen zu erwarten haben - also Knüpfkopien, bei denen auch die Fachleute dann dreimal hinschauen müssen.

Kaukasus-Dessins aus Pakistan

Von den afghanischen Flüchtlingslägern verlagert sich die Produktion der Ziegler, Tschitschin, Tschap(pa)baff, der Maltebaff und anderer Transfer-Dessins jetzt allmählich zurück nach Afghanistan. Die auch Tschubi (Tschobi) genannten Ziegler - bisweilen falsch Siegla oder Zieckler geschrieben - sind ein Nachhall der im 19. Jahrhundert von der Firma Ziegler & Co. Ltd. im Sarough-Ararak-Gebiet geknüpften Exportteppiche - überwiegend zweifelhafter Qualitäten. Weshalb übrigens die Farben verblichen.

Heute gefallen diese blassen Töne. Tschubi (Dari: Holz, Wurzel) soll ein Hinweis sein auf Pflanzenfarbstoffe, was allerdings keine Gewähr ist.
Die Tschitschin sind von altkaukasischen Designs geprägt, worauf auch der Name hinweist, eine leichte Verballhornung des Tschetschenen genannten Volkes, die einst die Kaukasus-Provenienz Tschitschi knüpften. Das Ursprungsdessin sieht allerdings völlig anders aus als die heutigen Afghan-Tschitschin.

Tschapbaff oder Tschappabaff bedeutet so viel wie "von der Rückseite" (ab)geknüpft und sagt uns, dass man Antik- und Altvorlagen aufs Gesicht legte und anfänglich Knoten für Knoten von der Rückseite her kopierte. Diese, nur in Ausnahmefällen im Muster provenienztreuen Knüpfungen als Kasak, Schirwan oder nach anderen Kaukasen ohne den wahren Ursprung zu benennen, ist aus Sicht der streng ausgelegten Ursprungsbezeichnung falsch. Abgemahnt, kann die unvollständige Auszeichnung teuer werden.

Um jeden Zweifel zu vermeiden, muß also auch hier das Ursprungsland klar und deutlich ausgewiesen werden.

Mit Maltebaff werden teils wunderschöne Nachknüpfungen antiker Turkmenenteppiche, meist der Ersari-Gruppe, bezeichnet, die ihrem Original auch insoweit treu geblieben sind, als dass die Knüpferinnen überwiegend dem Volk der in Afghanistan beheimateten Turkmenen angehören, also ihren Dessins traditionell verhaftet geblieben sind.

Nachdem die kaukasischen Teppichmanufakturen der Sowjetzeit mit dem Zusammenbruch des Ostblocks ohne Aufträge aus Moskau blieben, schaute man sich nach neuen Auftraggebern um. So kommen jetzt wieder direkt aus dem Kaukasus neue Knüpfteppiche, meist im alten Gewand. In der Republik Aserbeidjan versucht man, an die Jahrhunderte alte Tradition der Schirwans, Kubahs und anderer heimischer Provenienzen anzuknüpfen. Derzeit zwar noch mit mäßigem Erfolg, weil wohl zu fade. Es steht aber zu erwarten, dass immer bessere Teppiche auf den Markt gelangen werden.

Auch aus der Republik Armenien, dem Land der Kasaks, Kartchophs und Lori-Pambaks, kommen neuerdings wieder Knüpfungen. Sie gehen jedoch neue Wege. Einer der führenden Importeure dieses Bereichs ist der in New York ansässige US-Armenier Taufenkian, der sich bisher durch zeitgemäß gestylte, attraktive Nepal-Knüpfungen in 100er Knüpfeinstellung einen Namen gemacht hat. Neuerdings läßt er Teppiche in der Art der Ziegler-Dessins mit den derzeit gefragten, matten Farbkompositionen in den Knüpfereien Armeniens fertigen.

Im Iran aller Orten

Dass nur wenige Bidjars noch aus Bidjar selbst und von den nahe gelegenen Halva-Bergen kommen, ist bei der gewaltigen Nachfrage nach dieser Provenienz sehr gut nachvollziehbar. Sie werden heute in dem großen Dreieck Sandjan, Tekap bis südlich von Bidjar regionalweit geknüpft. Die gröberen Sandjan-Bidjars sollten zur Differenzierung besser mit diesem Zusatz ausgewiesen werden.

Nains werden mittlerweile iranweit, überwiegend sogar in weit abgelegenen Gegenden geknüpft - bisweilen leider auch in stark abgemagerten Qualitäten. Die Konturen der Tabas-Nains als Seide auszuloben ist zumindest gewagt, denn bei den billigen 12-Lah-Qualitäten wird fast nur Kunstseide (nach dem Textilkennzeichnungsgesetz (TKG) unbedingt als Filamentgarn zu etikettieren) oder Merzerisierte Baumwolle verknüpft. Ob die neuen Produktionsstandorte - Kaschmar, Tabas, Nischapour, Sabsewar, u.a. - jedoch unter dem Gesichtpunkt des Mustertransfers zu sehen sind, bleibt dahingestellt.

Bedenklich wird es allerdings, wenn der gute, inzwischen längst verstorbene Knüpfmeister Habibian zur Aufwertung eines Nains mit seiner Signaturkartusche herhalten muß. Abzulehnen ist in jedem Fall, wenn in einen bereits fertigen Nain im Nachhinein der Name Habibian eingearbeitet wird. Das ist nicht nur töricht, weil es das Ansehen der Spitzenknüpfungen schmälert, sondern auch irreführend. Der Name Habibian ist jedoch leider nicht geschützt, so dass seiner Verwertung bisher Tor und Tür geöffnet sind. Außerdem hat er hinreichend Verwandte, die gegen einen Obolus gern ihren Namen herleihen. Jedenfalls sollten die Importeure bei der Zusammenstellung ihrer Lagerbestände auf derartig abwertenden Unsinn achten.

Seiden-Ghoums kommen zum Teil aus dem weit entfernten im Nordwesten Persiens gelegenen Marageh und seiner Umgebung, einer Kreisstadt im Süden der iranischen Provinz Süd-Aserbeidjan. Sie sind oft ungewöhnlich fein (bis zu 1 Million Knoten/qm), werden aber im Gegensatz zum Original-Ghoum derzeit noch mit dem Türkischen Knoten geknüpft. Außerdem haben sie immer einen Baumwollschuss. Die früher grelle Farbstellung mit dem störenden Türkis wurden inzwischen abgestellt.

35er und 40er Mahi-Täbris werden nicht in Täbris, sondern in Marand und Choy, sowie den umgebenden Dörfern geknüpft. Dieser Umstand ist in Europa nicht bekannt, weshalb diese Knüpfungen grundsätzlich als Täbris in den Handel gelangen. Bei groben Keschan-Dessins ist es ebenso. Sie werden an vielen Standorten, aber nicht in Keschan und Umgebung geknüpft. Ähnliches war früher bei den gröberen Ghoum-Qualitäten zu verzeichnen, die sämtlich aus dem Ort Schah-Resa und Umgebung stammten.

Antikisierte Orientteppiche

Eine Möglichkeit, heute nicht mehr gefallende, weil, einst dem Zeitgeschmack folgend, mit viel zu leuchtenden Farbtönen gestaltete und somit derzeit kaum abzusetzende Perserteppiche dennoch für den Verbraucher attraktiv zu machen ist, sie einer Antikwäsche zu unterziehen. Eine etwas kostenträchtige, aber meist lohnende Investition. Etliche Anbieter haben mit antikisierten, hernach oft recht elegant wirkenden, vorher noch unverkäuflichen Perser- Provenienzen recht gute Absatzerfolge erzielt und konnten ihre Lagerbestände auf diese Weise zumindest ausdünnen.

Bei diesem, auch "Antikisieren" genannten Verfahren, werden die Farben gemildert und mit fachlich korrekt eingesetzten, chemischen Mitteln gewissermaßen auf Blass "geschminkt". Fachmännisch in entsprechend dafür einstehenden Betrieben auf antik gewaschen, wird garantiert, dass die Woll- und Baumwollfasern unter dieser Behandlung nicht leiden. Das ihnen damit verliehene Antikfinish erschließt neue Käuferschichten. Der Interessentenkreis für die in Pastelltönen gehaltenen Stücke ist seit einigen Jahren steigend.

Jeder Orientteppichkaufmann muß also ohne Unterlaß am Ball bleiben und auch Kenntnisse über antike und alte Knüpfungen erwerben, um nicht eines Tages von all den immer besser werdenden Mustertransfers, den äusserst geschickten Neuschöpfungen und den diffizilen Waschverfahren fachlich überrollt zu werden. Gerade hierfür ist eine Fachmesse ein hervorragendes Informationsforum.
aus Heimtex Orient 06/03 (Teppiche)