Chemikalienrichtlinie REACH
Geteiltes Echo auf Entscheidung des EU-Ministerrats
Nach langjährigen Beratungen haben die EU-Staaten in einer Sondersitzung des Ministerrats Mitte Dezember die Chemikalienrichtlinie REACH verabschiedet. Dabei sind weitere Abmilderungen zu Gunsten der Industrie vorgesehen. Trotzdem ist diese nicht zufrieden. Auch Umwelt- und Verbraucherschützer sind enttäuscht.
Im Vergleich zur Position des EU-Parlaments, das im November über REACH beraten hatte, hat der EU-Rat einige Modifikationen vorgenommen. So soll es für besonders gefährliche Stoffe keinen Zwang zur Suche nach alternativen Substanzen geben. Zudem kippte der Rat den Vorschlag des Parlaments, nach dem die übergeordnete EU-Chemikalien-Agentur für solche Substanzen nur eine Zulassung für fünf Jahre aussprechen soll.
Der formelle EU-Ratsbeschluss soll im März gefasst werden. Danach muss das EU-Parlament in zweiter Lesung entscheiden. Notwendig ist ein gemeinsamer Beschluss mit dem EU-Rat. Endgültig verabschiedet werden soll die Verordnung im zweiten Halbjahr 2006.
Zustimmung von der Bundesregierung
Die Bundesregierung wertete das Votum des EU-Ministerrats als guten Kompromiss zwischen Wirtschaft und Umwelt. "Jetzt werden alle Interessen berücksichtigt", sagte Bundeswirtschaftsminister Michael Glos. Es sei gelungen, eine wirtschaftsfreundliche Lösung bei REACH durchzusetzen und damit die Attraktivität Deutschlands als Industriestandort zu sichern. Nicht zuletzt auf Betreiben der Bundesregierung sei erreicht worden, dass die Zulassung von Stoffen nicht generell befristet und der Know-How-Schutz verbessert werde. Stoffe für Forschung und Entwicklung würden von Notifizierungspflichten wie der Offenlegung des Forschungsprogramms geschützt und Unternehmen bei den Test-Kosten für REACH wesentlich entlastet. Besonders die Belange der kleinen und mittleren Unternehmen hätten bei den Verhandlungen des Rates im Mittelpunkt gestanden, so Glos.
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel bezeichnete die Einigung als "ausgewogenen Kompromiss" zwischen Umwelt- und Verbraucherschutz einerseits und der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Chemieindustrie andererseits. "Die Beweislast bleibt bei der Industrie, die Verantwortung für die Stoffprüfung und ein entsprechendes Risikomanagement wird grundsätzlich auf die Industrie verlagert", unterstrich Gabriel. Die Vorschriften zur systematischen Testung auf Langfristgefahren seien nach Inhalt und Struktur im Wesentlichen ebenso unverändert geblieben wie die Vorschriften zum Informationsaustausch in der Lieferkette.
Nach Ansicht der stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Katherina Reiche, gibt es in einzelnen Fragen allerdings noch Klärungsbedarf. "Dabei ist insbesondere zu prüfen, ob Kompromisse, die bereits im Europäischen Parlament getroffen wurden, nicht der Einigung des Ministerrates vorzuziehen sind." So habe der Rat die Testanforderungen bei der Registrierung wieder erhöht. "Insbesondere der mittelständischen Chemikalienwirtschaft drohen hier höhere Belastungen", erklärte Reiche. Zwar sei das Damoklesschwert, das jahrelang über der Chemiewirtschaft schwebte, entschärft, jedoch sollten die Vorschläge des Parlaments in der zweiten Lesung wieder aufgenommen werden.
VCI begrüßt Veränderungen bei REACH
Beim Verband der Chemischen Industrie (VCI) stoßen die Beschlüsse des EU-Ministerrates zur REACH-Verordnung überwiegend auf Zustimmung. Mit Erleichterung reagierte der Chemieverband vor allem darauf, dass der Ministerrat einige Beschlüsse des Europäischen Parlaments zum Zulassungsverfahren von Chemikalien verändert hat, "die für die Branche gravierende Nachteile gebracht hätten". Andererseits könne man beim VCI nicht nachvollziehen, warum der Ministerrat das ausgewogene Registrierungspaket des Parlaments wieder aufschnüren will und damit das Registrierungsverfahren für Chemikalien vor allem für kleine und mittlere Unternehmen teurer und bürokratischer macht.
"Wir begrüßen es nachdrücklich, dass der Ministerrat die Vorgabe einer Zulassungsfrist von fünf Jahren, die Rechtssicherheit und Planbarkeit von Investitionen massiv in Frage stellen würden, entschärft hat", erklärte VCI-Präsident und Bayer-Vorstandschef Werner Wenning. Positiv bewertet der Chemieverband auch die weiter gefassten Erleichterungen für Stoffe, die in der Forschung und Entwicklung eingesetzt werden, um Innovationen zu erleichtern. Zwar bestehe noch immer erheblicher Klärungsbedarf in einzelnen Punkten, betonte der Verband. Insgesamt liege jetzt aber mit den Beschlüssen des Europäischen Parlaments und den wichtigen Veränderungen durch den Ministerrat ein in den zentralen Elementen für die Chemie akzeptables Paket für das REACH-System vor.
Mittelstand enttäuscht
Wesentlich kritischer als der VCI beurteilt hingegen das Aktionsbündnis "EINSPRUCH! (OBJECTION!) - Gegen eine EU-Chemiepolitik der Illusionen" die EU-Ministerratsbeschlüsse zu REACH. Das Aktionsbündnis ist ein Zusammenschluss von mehreren hundert mittelständischen Chemiefirmen aus zahlreichen EU-Ländern, darunter Belgien, Deutschland, Großbritannien, Österreich, Polen, Portugal, Spanien und die Tschechische Republik.
"Durch sein Votum für zu umfangreiche Testanforderungen im Bereich von zehn bis hundert Tonnen hat der EU-Ministerrat ein schweres Hindernis auf dem Weg zu einer mittelstandsgemäßen EU-Chemikalienverordnung aufgepflanzt", befürchtet Erhardt Fiebiger, Sprecher des Aktionsbündnisses. Das EU-Parlament habe in dieser Frage entscheidende Verbesserungen auf den Weg gebracht. "Umso unverständlicher ist es für uns, dass dieser substanzielle Fortschritt für eine vernünftige Chemikalienpolitik jetzt wieder zunichte gemacht werden soll", so Fiebiger.
Völlig unbefriedigend ist nach Meinung der Mittelständler darüber hinaus das mangelnde Verständnis für den globalen Wettbewerb. Denn auch der Ministerrat habe keine Lösung für die Gleichbehandlung von Erzeugnisherstellern innerhalb und außerhalb der EU gefunden. Während die Hersteller von Textilien, Kinderspielzeugen, Bauteilen, Verpackungsmaterialien und vielen anderen Produkten künftig nur noch Chemikalien einsetzen könnten, die REACH-konform sind, könne der Hersteller dieser Produkte außerhalb der EU ungeprüfte Chemikalien einsetzen und das halbfertige oder fertige Produkt in die EU exportieren, ohne REACH beachten zu müssen. "Dem Verbraucherschutz dürfte REACH damit in vielen Fällen einen Bärendienst erweisen", meint Erhardt Fiebiger.
Kritik von Umwelt- und Verbraucherschützern
Enttäuscht vom Abstimmungsergebnis des EU-Ministerrates zeigten sich auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Greenpeace, Die Verbraucher Initiative und die Frauenorganisation WECF (Women in Europe für a Common Future). Der Rat habe den Beschluss des EU-Parlaments gekippt, riskante Stoffe durch sichere Alternativen ersetzen zu müssen. Damit sei die Chance verspielt worden, die Bürger besser vor gefährlichen Chemikalien zu schützen.
Zwar müssten nach dem Ratsbeschluss Unternehmen künftig vor der Vermarktung gefährlicher Chemikalien prüfen, ob Alternativen vorhanden seien. Wenn die Hersteller jedoch darlegten, ihre Chemikalien "angemessen kontrollieren" zu können, dürften gefährliche Chemikalien trotz möglicher Alternativen weiterhin vermarktet werden. Damit verfehle die REACH-Verordnung (Registrierung, Evaluierung und Autorisierung von Chemikalien) eines ihrer wichtigsten Ziele: die Entwicklung sicherer und innovativer Produkte zu fördern. In Europa würden zurzeit mehr als 100.000 Chemikalien eingesetzt, ohne dass ausreichende Informationen über ihr Risiko vorlägen. Nach dem Votum gäbe es für 90 Prozent der Stoffe auch in Zukunft keine ausreichenden Informationen über ihre Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen.
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