Richard A. Kille zu den Ursachen für Fugenbildungen bei Nadelvliesbelägen
4 Schadensfälle - 4 verschiedene Ursachen
150.000 qm reklamierte Nadelvliesfläche mit Fugenbildungen im Nahtbereich hat allein das Büro von Richard A. Kille in den vergangenen Jahren bearbeitet. Bei dieser Größenordnung helfen einfache Erklärungen wie "die Kleber sind zu weich" nach Ansicht des Berufssachverständigen nicht weiter. Auch die Beläge haben sich verändert, ist Kille überzeugt - es gibt aber noch weitere wichtige Einflussfaktoren. Anhand vier realer Fälle zeigt er auf, welche vielfältigen Ursachen zu Fugenbildungen im Nahtbereich verklebter Beläge führen können.
Die lebhafte Diskussion zum Problemfeld Fugenbildungen im Nahtbereich verklebter Nadelvliesbeläge auf der zweiten TKB-Gesprächsrunde "Fußbodentechnik" in Frankfurt bestätigte wieder einmal, dass das Thema der Branche immer noch unter den Nägeln brennt. Erneut wurde darüber spekuliert, inwieweit die neuen, emissionsarmen Dispersionsklebstoffe für entsprechende Schäden verantwortlich sein könnten - die nach Aussage der Klebstoffindustrie zumindest in der Anfangsphase weicher geworden sind.
An mich wurde in der Diskussionsrunde die Frage gestellt, ob sich auch bei den Belägen etwas geändert hat - ob Nadelvlies-Bodenbeläge der heutigen Generation mit den Produkten früherer Zeit noch vergleichbar sind. Meine Antwort: Nadelvlies-Bodenbeläge können nicht mehr so sein wie vor 20 Jahren, weil zwischenzeitlich die Gemeinschaft umweltfreundlicher Teppichboden (GuT) entstanden ist. Vor diesem Hintergrund mussten sich unter anderem die Bindemittel und das Latex ändern. Auch beim Belag hat sich also einiges getan.
Ich bin allerdings nicht der Ansicht, dass die grundsätzliche Ursache für die Entstehung von Fugen entlang der Nahtkanten geklebter Nadelvliesbeläge in den Bodenbelägen selbst begründet liegt. Es gibt vielmehr eine ganze Reihe von Einflussfaktoren, die die Entstehung entsprechender Schäden begünstigen können. Nachfolgend werden anhand von vier realen Fällen verschiedene Ursachen für Fugenbildungen vorgestellt.
Fall 1: Fugenbildung trotz hochfestem Klebstoff
In einer Tennishalle wurde ein qualitativ hochwertiger Nadelvlies-Bodenbelag auf einem Asphalt-Feinbeton verlegt, der vorher als "Porenschluss" gespachtelt worden war. Die Klebung erfolgte mit einem hoch lösemittelhaltigen Kunstharz-Klebstoff. Nach einiger Zeit traten entlang der Nahtkanten Aufstippungen bzw. Aufschüsselungen sowie Fugenbildungen auf.
Im Rahmen der Ursachenforschung zeigt sich, dass der Belag geschrumpft war. Die daraus resultierenden Zugspannungen entlang der Nahtkanten hatten die Fugenbildung verursacht. Kurze Zeit später bildeten sich dann die Aufschüsselungen an den Bahnenrändern bzw. -nähten.
Beim genauerem Hinsehen ließ sich in der Oberfläche des Asphalt-Feinbetons ein Kohäsionsbruch im Verlauf der Bahnennähte feststellen. Die Kräfte, die in Verbindung mit den Zugspannungen des schrumpfenden Nadelvliesbelags auftraten, waren aufgrund der sehr hohen Zugscherfestigkeit des Kunstharzklebstoffs auf die Oberfläche des Untergrundes übertragen worden. Der hochfeste Klebstoff hatte den Schaden also nicht verhindern können.
Fall 2: Belag und Kleber waren "stärker" als der Estrich
In einem öffentlichen Gebäude waren mehrere hundert Quadratmeter Nadelvlies-Bahnenbelag großflächig verlegt und geklebt worden. Das über Warmluft beheizte Gebäude wurde während der Nutzung "untertrocknet" - die relative Luftfeuchte lag bei 35 % und weniger. Vor diesem Hintergrund sind die Belagbahnen zwangsläufig geschrumpft, wobei sich im Verlauf der Nahtkanten Fugen bildeten. Deckungsgleich zu den Nahtkanten zeigten sich klaffende Risse im Zementestrich - kein übliches Schadensbild, das in diesem Fall allerdings flächig auftrat.
Demnach muss das Kräfteverhältnis des Nadelvliesbelags beim Schwinden bzw. Schrumpfen in Verbindung mit der offenbar sehr hohen Scherfestigkeit des Klebstoffs die Festigkeit des Zementestrichs übertroffen haben - in dem sich schließlich Risse bildeten.
Fall 3: Extremer Nahtschrumpf führte zu Bruch in der Kleberfuge
In den Großraumbüros eines Verwaltungsgebäudes zeigten sich an den Längs- und Kopfnähten des verlegten Nadelvlies-Bahnenbelags schon vor der Abnahme extreme Aufschüsselungen. Der Belag war vollflächig geklebt - wirkte jedoch, als sei er lose ausgelegt und erst für die Verklebung vorbereitet worden.
Auf der betroffenen Etage wurde eine sehr niedrige relative Luftfeuchte von lediglich 10,8 % gemessen. Der Belag reagierte mit entsprechend massivem Schwinden bzw. Schrumpfen, wobei extreme Zugscherspannungen auftraten, die zu einem Kohäsionsbruch in der Klebstofffuge führten.
Fall 4: "Schwindfuge" übertrug sich auf den Nadelvlies-Belag
In einem Elektronikgeschäft fanden sich im Bereich der Nahtkanten des geklebten Nadelvlies-Bahnenbelags vereinzelt Fugen bis 5 mm Breite. Beim Öffnen der Konstruktion zeigte sich, dass in unmittelbarer Nähe der offenen Nähte eine Schnittfuge im Betonuntergrund verlief. Diese Schnittfuge hatte sich infolge des Schwindens der Betonfelder geweitet. Dabei wurde der in die Fuge eingedrungene Dispersionsklebstoff, mit dem der Belag verlegt worden war, wie ein Kaugummi auseinander gezogen.
Hier hat die weiche Klebstofffuge also dafür gesorgt, dass die fest am Untergrund haftenden Bahnenränder nicht aufschüsselten - sondern sich "nur" Fugen bildeten. Die "Schwindfuge" zwischen den Betonfeldern übertrug sich praktisch auf den Belag.
Auswertung: Eine alleinige Ursache gibt es nicht
Die vier Fallbeispiele zeigen, dass die Ursachen für Fugenbildungen entlang der Nähte von verklebten Nadelvlies-Bahnenbelägen vielschichtig sind - wobei diese Beispiele nur einen Bruchteil der möglichen Ursachen abdecken.
Auch die Nadelvlies-Bodenbeläge haben durchaus Einfluss darauf, ob sich Fugen bilden oder nicht. Brancheninsider wissen, dass es Belaghersteller gibt, die zweischichtige Nadelvlies-Bodenbeläge mit integriertem Stabilisierungsgewebe - in der Regel aus Polypropylen - produzieren und dem Thema "Fugenbildungen" als potentiellem Anlass für Beanstandungen/Reklamationen dennoch keine Bedeutung zumessen.
Gleichzeitig liegen unzählige Quadratmeter verklebter Nadelvlies-Bahnenbeläge ohne irgendwelche Fugenbildungen vor - obwohl die Klebung mit einem Dispersionsklebstoff erfolgte, der eine "weich-plastische" Kleberfuge aufweist. Die Suche nach einer alleinigen, allumfassenden Ursache für die Entstehung solcher Fugen ist daher wenig zweckmäßig und kaum erfolgversprechend - sie blieb bislang auch ergebnislos.
Wichtige Einflussfaktoren
Mit dem Wissen über die verschiedenen Ursachen für Fugenbildungen in konkreten Einzelfällen der vergangenen Jahre lassen sich allerdings wichtige Einflussfaktoren bestimmen. Vor allem ein Faktor scheint fast immer beteiligt: trockene Luft. Durch das gegensätzliche Klima in Bau- und Nutzungsphase eines Gebäudes - zu hohe Luftfeuchtigkeit in der Entstehungsphase und zu trockene Luft in der Gebrauchsphase - muss es zwangsläufig zu Komplikationen kommen. Denn es ist unbestritten, dass die Nadelvliesbeläge diesen Umständen bis heute nicht angepasst wurden - sogar laut Norm weiterhin extreme Dimensionsänderungen bei Klimaschwankungen aufweisen dürfen.
Gleichzeitig können die emissionsarmen und -kontrollierten Klebstoffe nicht mehr die stramme Klebstofffuge ihrer lösemittelhaltigen Vorgängerprodukte bilden. Das Problem lässt sich aber nicht allein dadurch lösen, dass versucht wird, mit diesen Dispersionsklebstoffen hohe Zugscherwiderstände zu erzielen - oder angestrebt wird, nahezu dimensionsstabile Nadelvlies-Bodenbeläge herzustellen. Hier müssen weitere Faktoren beachtet werden.
4 Punkte zur Vermeidung von Fugenbildungen
Prinzipiell lassen sich vier wichtige Punkte hervorheben, die zu einer Reduzierung oder sogar zur Vermeidung von Fugenbildungen bei verklebten Nadelvlies-Bahnenbelägen beitragen können:
- Schaffung und Einhaltung geregelter klimatischer Bedingungen in der Ausbauphase eines Gebäudes - vor allem größere Luftfeuchte-Schwankungen vermeiden
- Verlegung auf saugfähig gespachtelten Untergründen mit emissionsarmen Dispersionsklebstoffen, die eine stramme Kleberfuge erreichen
- Verarbeitung von Nadelvlies-Bahnenware, die ein deutlich geringeres Maßänderungsverhaltern aufweist, als es derzeit normativ zulässig ist
- eindeutige Anforderungen an die raumklimatischen Bedingungen nach der Nutzungsaufnahme stellen
Wir dürfen zuversichtlich sein, dass die "produkttechnischen" Anforderungen für eine Lösung des Problems durch eine verbesserte Kooperation zwischen Nadelvlies- und Verlegewerkstoff-Herstellern kurz- oder mittelfristig erfüllt werden. Nicht in den Griff zu kriegen scheint hingegen der Part der Bau-/Projektleitung bzw. des Bauherrn/Planers. Diese Seite versucht nach dem Motto "Zeit ist Geld" nach wie vor, die bauphysikalischen Gesetzmäßigkeiten außer Kraft zu setzen. Obwohl offenbar genügend Geld für die Sanierung der später durch Neubau- oder Restfeuchte auftretenden Gebäudeschäden vorhanden ist.
Eine erste Grundlage für die Einbindung des Bauherrn/Architekten wurde mit dem neuen BEB-Merkblatt "Beurteilen und Vorbereiten von Untergründen - Verlegen von elastischen und textilen Bodenbelägen, Schichtstoffelementen (Laminat), Parkett und Holzpflaster" gelegt. Auch wenn die dort enthaltene Forderung nach einem Raumklima von maximal 65 % relativer Luftfeuchte vor, während und nach der Verlegung derzeit noch diskussionswürdig erscheint, ist es wichtig, dass die Verantwortung für die Erfüllung dieser Anforderung nicht den Auftragnehmer trifft, sondern den Architekten/Planer. Hier gilt es, "am Ball zu bleiben". Eine dritte "Gesprächrunde Fußbodentechnik" ist daher ein Muss.
aus
FussbodenTechnik 05/02
(Handwerk)