Spezial funktionale Produkte
Funktionale Produkte brauchen den Profi
Ob Tapeten, Farben, Deko- und Gardinenstoff oder Sonnenschutz - die optische Wirkung allein ist zunehmend nicht das ausschließliche Kriterium für den Kauf der Produkte. Immer häufiger entscheiden Verbraucher auch nach den Zusatznutzen, die die Artikel der Heimtextilien-Branche bieten. Die Hersteller spornen ihre Forschungsabteilungen daher an, die Erzeugnisse mit einem praktischen Mehrwert zu versehen. Inzwischen schützen Tapeten vor elektromagnetischen Strahlen in den Räumen, Farben bekämpfen Bakterien, Stoffe sorgen für frische Luft und Sonnenschutz senkt per Wärmeregulierung die Energiekosten. Funktionale Produkte sind auf dem Vormarsch und bescheren Industrie, Handel sowie Verarbeitern neue Zielgruppen, die vor allem Wert auf Gesundheit und geringe Energiekosten legen.
Einmütig bestätigen die Hersteller, dass Verbraucher nicht mehr nur auf das Aussehen von Produkten aus der Heimtextil-Branche achten. "Der Markt fordert Produkte, die mehr können als dekorative Gestaltungszwecke zu erfüllen. Das gilt ebenfalls für Wandbeläge. Entsprechend entwickelt Erfurt bereits seit Jahren überstreichbare Wandbeläge, die Energie einsparen, Elektrosmog abwehren, Setzrisse sanieren oder Schimmel bekämpfen", meint Lars Jensen, bei Erfurt zuständig für Werbung und PR. "Insgesamt geht es um das Zusammenspiel von Nutzen, Funktionalität und Gefallen", ergänzt Michael Freiberger, Marketingleiter der Marburger Tapetenfabrik. "Klassische Zusatznutzen sind in modernen Gebäuden ein Dauerthema und deshalb auch zukünftig nicht wegzudenken, vor allem wenn dabei auch hohe ästhetische Ansprüche erfüllt werden", pflichtet ihm Christine Mählmann, Produktmangerin beim Textilveredler Junkers & Müllers für den Bereich Sonnenschutz bei.
Ulrich Wiesel bringt zudem die Globalisierung ins Spiel. "Zusatznutzen werden in Zukunft immer wichtiger, um sich von Importartikeln abzuheben", argumentiert der Vertriebsleiter Sonnenschutz - Technische Gewebe für Deutschland, Österreich und die Schweiz beim Textilveredler Bamberger Kaliko. Nach Ansicht von Marketingleiter Axel Knauer von PPG Coatings Deutschland beschäftigt sich nicht nur der Innenarchitekt, sondern zunehmend auch der private Anwender im Rahmen der Einrichtungsplanung intensiv mit Materialien, Produkten und deren Eigenschaften. Daher sei es immer wichtiger, außer Attraktivität auch Zusatznutzen zu kreieren.
Der professionelle Verarbeiter ist gefragt"Wesentliche Schlüssel zum Erfolg dieser Produkte sehen wir in einer differenzierten Marketingkommunikation der Hersteller sowie in der Kompetenz des Profis - dem professionellen Malerbetrieb", betont Knauer. Mit Funktionalprodukten böten die Hersteller diesem die Möglichkeit, sich am Markt zu positionieren, einen Wettbewerbsvorsprung zu finden und diesen kompetent zu besetzen. PPG mit seiner Marke Sigma Coatings setze auf diesem Gebiet zwar noch keinen flächendeckenden Trend. Denn die Nachfrage nach speziellen Funktionen sei von bestimmten Bedarfen wie antimikrobielle Wirkung im Krankenhaus abhängig. Dennoch seien diese Erzeugnisse unentbehrlich. Entsprechend betreibe PPG systematisch Marktforschung und suche konsequent nach neuen Bedarfslagen, innovativen Technologien und Rezepturen, um zukunftsweisende Entwicklungen frühzeitig in marktreife Systemlösungen zu verwandeln.
"Farbe ist nicht nur bunt, sie tut auch aktiv etwas. Sie verbessert die Luft, das Raumklima und die Raumhygiene etwa durch photokatalytisch wirkende Stoffe, die Bakterien und Schadstoffe abbauen und Gerüche vermindern", stellt Knauer eine Funktion von Innenwandfarben heraus. Bei Stoffen ist Schwerentflammbarkeit laut Anke Vollenbröker, Marketingleiterin bei Trevira, inzwischen eine Selbstverständlichkeit. "Gefragt sind weitere Eigenschaften, die diese Funktion ergänzen und neue Marktnischen erschließen", meint sie. Die Zusatzfunktion müsse auf alle Fälle umweltfreundlich und damit gesundheitsfördernd sein.
Unterstützung bekommt Vollenbröker von Reinhard Backhausen, Geschäftsführender Gesellschafter von Backhausen-Textilien: "Speziell Produkte, die die ökologischen, sozialen und ökonomischen Aspekte positiv belegen, werden immer stärker nachgefragt." Ressourcen-Knappheit, Umweltverschmutzung und "unmenschliche Arbeitsbedingungen" in der asiatischen Textilindustrie hätten einen Teil der Stoff-Konsumenten zum Umdenken bewogen. Backhausen will den umweltfreundlich produzierten und recycelbaren Returnity-Stoffen, die die Cradle-to-Cradle-Gold-Zertifizierung und das Ökotex-Standard 11-Zertifikat tragen, einen Beitrag für die Zukunft nachfolgender Generationen leisten.
Mit der "Elefantenhaut" fing es anAußer an gesundheitlicher und umweltschonender Wirkung sind die Verbraucher nach den Erfahrungen der Hersteller auch an energiesparenden und reinigungsfähigen Produkten interessiert. Die Ansprüche seien insgesamt sehr vielfältig, betont Rudolf Kolb, Produktbetreuer in der Caparol-Technik. "Dem Profi-Anwender steht im Farbbereich eine breite Produktpalette zur Verfügung, aus der je nach Objektsituation und vorgesehener Nutzung das passende Produkt ausgewählt und verwendet werden kann." Bereits seit Jahrzehnten arbeite die Industrie mit Erfolg an funktionalen Zusatznutzen von Innenwandfarben. Die Einführung der Latexfarben und des Glanzüberzugsmittels Capaplex, auch Elefantenhaut genannt, hätten in den fünfziger Jahren den Grundstein für die Entwicklung der funktionalen Innenbeschichtungen gelegt.
Trotz dieser rasanten Entwicklung bedienen solcherlei Produkte nach Auffassung von Harald Kranz, Marketingleiter bei Zero-Lack, immer noch lediglich Nischen. Dabei erwiesen sie sich allerdings oft als erfolgreich. Bei Zero-Lack nennen sich die funktionalen Produkte "Farbe mit Mehrwert", was für den Verarbeiter ein wichtiges Verkaufsargument sein könnte. Das bestätigt Klaus Germes, Geschäftsführer Components bei Coulisse, dem Hersteller von Fensterdekorationen. "Insgesamt glaube ich, dass der eigentliche Sicht- und Sonnenschutz in Verbindung mit der ästhetischen Anmutung das Hauptkriterium für die Auswahl sind. Wenn dann noch einer oder mehrere Zusatznutzen dazu kommen können, ist das selbstverständlich eine Hilfe", sagte er.
Skeptischer ist Hendrik Unland. "Unsere Erfahrungen mit Stoffen, die eine außergewöhnliche Zusatzeigenschaft haben, sind sehr ernüchternd", erläutert der Geschäftsführende Gesellschafter von Unland. "Stoffe, die Gerüche filtern sollen oder antibakteriell wirken, werden von Endverbrauchern so gut wie gar nicht nachgefragt und nur in Einzelfällen gefordert." Mit dieser Auffassung vertritt Unland allerdings in der gesamten Heimtextilien-Branche eine Minderheit. Die meisten Hersteller räumen den Funktionsprodukten zumindest gute Chancen ein, andere prophezeien gar eine deutlich steigende Nachfrage, wie Saskia Fraederich, Produktmanagerin Dispersionsfarben bei Sikkens. "Es geht um Material für bestimmte Einsatzgebiete, um Produkte für Spezialanwendungen. Ihre Bedeutung wird zunehmen, da es immer mehr unterschiedliche Anforderungsprofile und vielfältigere Untergründe geben wird. Mit einem Produkt können nicht alle Anforderungen, die es zum Beispiel an eine Innenwandfarbe gibt, erfüllt werden."
Der dekorative Wert reicht eben nicht mehr aus, sind auch der Geschäftsführer des belgischen Zierprofilherstellers Yves Taillieu und der für Deutschland zuständige Vertriebschef Claudio Licata überzeugt. "Wir verbinden deshalb jetzt bei Orac Axxent Dekoration und Funktionalität." Unter den Leisten und Profilen lassen sich Kabel verstecken und in ihnen LED-Leuchtmittel integrieren.
Ein großes Angebot an funktionalen Produkten tummelt sich im Gesundheitsbereich, auch Health Care genannt. So hat Rasch erstmals unter der Bezeichnung Micronia eine Tapete entwickelt, die auf Basis von Silber-Ionen Bakterien und Schimmel nicht nur verhindert, sondern auch abtötet. Dieser Technologie bedienen sich auch der Tapeten-Hersteller Graham & Brown mit seiner "Antibacterial Collection" und die Henkel-Marke Sikkens mit ihrer Innenfarbe Alpha Sano Protex. Weitere Anbieter von Health-Care-Produkten sind Zero-Lack mit der antimikrobiellen Zero Health Tec Innendispersion Remmers mit seinen Schimmel-Saniersystemen.
Bei Trevira können die schwer entflammbaren CS Stoffe mit einer antimikrobiellen Funktion versehen werden. Den Schmitz-Werken/Drapilux ist es sogar gelungen, zwei Funktionen auf CS zusammenzulegen. Aus Drapilux bioaktiv mit antibakterieller Wirkung und Drapilux air mit luftreinigenden Eigenschaften entwickelten sie den Stoff Drapilux all in one. "Damit schaffen wir eine einzigartige Kombination. Für den Healt-Care-Bereich eine Entwicklung, die es bisher auf dem Markt noch nicht gibt, und die in den nächsten Jahren aufgrund der steigenden Hygieneanforderungen voraussichtlich immer mehr an Bedeutung gewinnen wird", ist der Geschäftsführende Gesellschafter Justus Schmitz überzeugt.
Marburg sorgt mit dem neuen EMV-Abschirmvlies seiner Tochter Martech Systems ebenso wie Erfurt mit seinem EMV 80 Carbonvlies für Schutz vor elektromagnetischen Strahlen, die von Sendemasten und Starkstromleitungen ausgehen. Schadstoffe und Gerüche in Wohnungen bauen die Marburger Decke Air Fresh und die Wand- und Deckenfarbe Sto Climasan Color ab.
Caparol verbessert die Raumluft mit der Farbe Capa San, die organischem Schmutz wie Nikotinablagerungen sowie Gerüchen und Bakterien an den Wänden zu Liebe rückt.
Aber auch Erzeugnisse zur Energieeinsparung gibt es inzwischen in hoher Zahl. Hier nimmt im Wandbelagsbereich Erfurt eine Spitzenstellung ein. Mit Erfurt Klima Tec KV 600 wird der Aufwand zur Aufheizung der Wand deutlich reduziert. Erweitert wurde das System durch den Wandbelag Klima Tec 2500+, der zusätzlich Schimmel bekämpft und sich auch in Feuchträumen einsetzen lässt.
Energiekosten sind auch ein Thema der Sonnenschutzanbieter. Mit dem Thermoblocker Kaliko von Bamberger Kaliko können am Fenster Temperaturbarrieren bis zu 25 C aufgebaut werden. Zudem schirmt eine elektrisch leitende Zwischenschicht Elektrosmog ab. Junkers und Müllers verweist im Bereich der Energiekosteneinsparung auf seine Artikelserie Thermotec. Energieeinsparpotenzial bietet auch das Wabenplissee Duette von Hunter Douglas mit seinen Luftpolstern in den wabenförmig konstruierten Kammern. Zudem blockt der Doppelbehang schädliche UV-Strahlen ab und schützt Möbel und Interieur vor dem Ausbleichen. Ein weiteres Thema ist im Stoff- und Sonnenschutzbereich der Schallschutz in Gebäuden. Darüber hinaus spielt sowohl bei Sonnenschutz und Stoffen als auch bei Farben und Tapeten die Selbstreinigung eine große Rolle.
Caparol ist stolz auf seine neue Farbe Premium Color. Selbst bei kräftigen Farbtönen ist die matte Beschichtung weitgehend resistent gegen den Schreibeffekt. Dies wird durch carbonhaltige Füllstoffe erzielt, welche die im Bindemittel verankerten Pigmente durch ihre Härte vor Abrieb schützen. Eine Aufsehen erregende Farbe kommt von Dinova, einer Tochter der Meffert-Gruppe: Dino Lux leuchtet. Damit sorgt das Produkt für Design-Effekte, gibt Orientierung bei Dunkelheit und senkt die Stromkosten durch die Fähgikeit, Licht zu speichern.
Zukunftsweisende TechnologienViele der zusätzlichen Funktionen werden über die Nano-Technologie erreicht, die aber keineswegs der Hoffnungsträger ist, als die sie einst angesehen wurde. "Nanotechnologie bietet sicherlich zusätzlich zu den anderen Möglichkeiten ein sehr interessantes Spektrum für Produktenwicklungen", sagt Saskia Fraerichs von Sikkens und räumt ihr damit die gleiche Bedeutung ein wie anderen. Unterstützt wird sie von Harald Kranz von Zero-Lack: "Nanomaterialien werden auch im Farbensektor weiterhin nützlich und trendy sein. Doch Nanotechnologie war unseres Erachtens nie ein Hoffnungsträger und spielt eine aktuelle Rolle mehr als Marketing-Tool denn als Produktfeature."
Michael Freiberger von Marburg aber sieht das Potenziel von Nanotechnologie bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Die Keramiktapete von der Rolle CC Flex sieht er nur als Beginn der aussichtsreichen Technologie im Tapetenbereich. "Beispielsweise wären Tapeten mit dem selbstreinigenden Lotuseffekt für besonders beanspruchte Wohn- oder Objektbereiche denkbar", meint Lars Jentzen von Erfurt. Allerdings stehe die Entwicklung bei dem Wandbelagshersteller nicht auf der Prioritätenliste.
Nanotechnolgie, Photokatalyse, Pigmente, Bindemittel - es steht eine Reihe verschiedener Technologien, Rohstoffe und chemische Stoffe zur Verfügung, um Tapeten, Farben, Stoffe und Sonnenschutz-Produkte mit Mehrwert zu versehen. Aufgrund dieser Vielfalt sieht Lars Jentzen von Erfurt große Chancen für zusätzliche Funktionen und wagt einen mutigen Blick in die Zukunft: "Dass Wände irgendwann als Leuchtkörper oder überdimensionaler Touch-Screen mit der Möglichkeit, Botschaften zu empfangen, weiterzuleiten und abzugeben fungieren, ist noch Zukunftsmusik. Aber bereits in greifbarer Nähe."
aus
BTH Heimtex 04/11
(Handel)