Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gibt es eine neue Landkarte

Diese neuen Knüpfländer müssen sie sich merken

Nur wenige Importeure waren bis zum Zusammenbruch des Ostblocks auf den Orientteppichimport aus der damaligen Sowjetunion spezialisiert. Um Preis und Vertrieb unter Kontrolle zu halten, hatten die sowjetischen Staatshändler mit Importeuren in einigen Ländern Westeuropas Abnahmeverträge geschlossen, die ihnen diesen Artikel exklusiv in die Hand gaben. Für die Bundesrepublik war es die Deutsch-Sowjetische Teppichhandels GmbH im Freihafen-Hamburg, in London die Firma Kelaty und in Basel das Unternehmen Nasser Zarnegin. Heute, nach der Liberalisierung, kann sich jeder Handelsmann auf diesem Feld tummeln. Einige waren inzwischen im Kaukasus oder in Turkmenistan, um die künftigen Möglichkeiten zu sondieren.

Zum Einkauf gingen die damaligen Exklusivimporteure nicht etwa in die Produktionsstaaten wie das sonst in jedem anderen Ursprungsland üblich ist. Die damaligen Sozialistischen Sowjet Republiken Armenien, Aserbeidjan, Georgien (Russisch: Grusinien) und Turkmenistan waren für den Einkäufer tabu. Der Vertrieb lag allein in russischen Händen und wurde, wie fast alles, zentral gesteuert, anfangs über Leningrad-St.Petersburg, ab Ende der sechziger Jahre dann über Moskau. Die staatliche, sowjetische Außenhandelsfirma Novoexport saß mit ihren Büros in der Uliza Baschylowskaya, unterhielt das Teppichlager aber im Park der Nationen, und zwar für alle ihre Knüpfteppichproduzenten, also einschließlich Armenien, Georgien und Turkmenistan, in dem orientalisch anmutenden Pavillon des Unionsstaates Aserbeidjan.

Die ausschließlich auf Einladung anreisenden Importeure suchten dort die Teppiche aus und kauften sie unbehandelt und ungewaschen gegen US-Dollars "FOT-Free on Truck" Moskau ein. Geliefert wurde aber "CIF" mit einem saftigen Aufschlag von fünf Prozent für diese Dienstleistung. Zwangsversicherer war das ebenfalls staatlich-sowjetische Assekuranzunternehmen Ingostrach, welches sogar das Kriegsrisiko mit deckte. Diese Geldschneiderei spülte noch einige Devisen zusätzlich in die Kassen der chronisch devisenschwachen UdSSR. Den Transport ab Moskau übernahmen finnische Spediteure, deren moderne Trucks sich in Helsinki auf die Autofähre nach Travemünde einschifften und in Hamburg-Freihafen, London oder Basel ihre Ballen auslieferten. Die Vertragstreue der Sowjets war sprichwörtlich, ihre Lieferzeiten immer vertragskonform. Also ein durch und durch glattes und verlässliches Geschäft.

Zwar waren alle Importeure in erster Linie an Alt- und Antikknüpfungen interessiert, doch von denen gab es damals schon recht wenig. Um nun auch ihreNeuknüpfungen mit abzusetzen, hatten die beinharten Monopolkapitalisten eine besonders einschneidende Kondition erdacht: Der Einkäufer bekam ein bescheidenes Kontingent Altware in Höhe von 25% des Orderwertes. Der Hauptanteil von 75% musste neue Manufakturware sein. Verhandeln über ein besseres Mengenverhältnis zur Gunsten der Altknüpfungen war zwecklos. Mit der Sturheit von Staatsbediensteten pochten Borodin und Genossen unbeirrt auf ihre Vertragsklausel und bemerkten schon mal etwas barsch: "Wenn sie auf unsere Konditionen nicht eingehen, werden wir Sie nicht beliefern."

Allerdings waren die neuen, ab Ende der sechziger Jahre zur Hauptsache in Knüpfkombinaten hergestellten "Kaukasen" mit den Bezeichnungen Kasak-Karabagh und Kuba-Schirwan aus der Aserbeidjanischen SSR, den Brücken und der Provenienz Jerewan (Eriwan) Armeniens, den Tibilissis aus Georgien und insbesondere die Bucharas aus der Turkmenischen SSR, seinerzeit in der Bundesrepublik sehr begehrt. Wenn sie dann von Kiskan eine Antikwäsche bekamen, die das Rot in Kupfer verwandelte oder Abadjian in London die Farben antikisierte, war der Verkaufserfolg vorprogrammiert.

Produktionsansätze

Die Zeiten haben sich derart schnell geändert, dass es den betroffenen Staaten bisweilen den Atem verschlägt. Die ehemaligen Gliedstaaten des Sowjetimperiums im Kaukasus und in Turkmenistan sind inzwischen selbständige und selbstbewusste Republiken, die - mehr oder weniger demokratisch regiert - ihren Weg in die Marktwirtschaft suchen. Die mit einer Knüpftradition versuchen nun, an diese anzuknüpfen.

Seit Durchlässigkeit der Grenzen haben sich türkische Einkäufer in den Kaukasus aufgemacht und tragen die letzten Restbestände an alten und antiken "Kaukasen" zusammen. Diese Knüpfungen finden Ihren Weg nach Europa über Istanbul. Das Niveau dieser Arbeiten - meist handelt es sich um Brücken aus den zwanziger bis fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts - lässt allerdings häufig zu wünschen übrig. Sie sind vielfach schon recht traditionsverloren und mit Farbstoffen gefärbt, deren Konsistenz bisweilen Zweifel aufkommen lässt. Dennoch lassen sich darunter vereinzelt Exemplare finden, die durchaus kritischen Dessinansprüchen standhalten.

Zusätzlich ahmt man in der Türkei ganz geschickt altkaukasische Teppiche nach. Um den Eindruck des Antiken zu erwecken, verwenden die Knüpferinnen Wolle von alten,zerschlissenen Kelims, die aufgereppelt werden und anschließend neu versponnen wird. Damit knüpfen sie dann antike Kaukasus-Dessins in der Struktur antiker Schirwans. Etliche gelungene Exemplare waren auf der letzten Domotex auf den Ständen der türkischen Exporteure zu bewundern. Wären nicht die Fransen in so akkuratem Zustand, hätte sich wohl so mancher Fachmann aufs Glatteis führen lassen.

In Aserbeidjan werden seit nunmehr acht Jahren wieder Teppiche geknüpft, allerdings in geringen Stückzahlen. Sie sind bei guter Knüpfung jedoch in meist stumpfen Farben können bislang noch nicht so recht an ihre begehrten Vorfahren anknüpfen.

Aus Georgien sind bisher keine Initiativen zum Teppichknüpfen bekannt geworden.

Im neuen Turkmenistan sind die Qualitäten zwar durchgehend von guter Qualität, aber die Dessins verlieren mehr und mehr den Anschluss an ihre Mustertraditionen. Diesen Dessinverfall zu stoppen, sollte jedoch nicht schwer sein, denn es sind genügend klassische Dessins vorhanden, die als Vorlagen dienen können. Als Stammland der Turkmenen ist diese Republik berufen, den Tekkes, Yomoudhs, Beschirs, Pendehs, Kisil-Ayaks und Kerkis die Bahn zu ebnen, denn der Buchara ist nun einmal der Klassiker unter den Knüpfteppichen und wird nicht umsonst im Englischen als Gentlemans Carpet bezeichnet.

Mit dem Wiederaufleben und Vertrieb eines ihrer ältesten Kunsthandwerks- und Handelsprodukte werden es die Kaukasus-Länder und Turkmenistan jedoch nicht so einfach haben, denn die Märkte sind inzwischen aufgeteilt und insgesamt schwierig. Zudem werden die anderen, bereits auf den Absatzmärkten konkurrierenden Knüpfländer ihre Positionen in einem immer enger werdenden Absatzmarkt den Neuen nicht kampflos überlassen. Speziell in Nord-Pakistan/Afghanistan, werden Repliken geknüpft, die sowohl farblich als auch im Duktus und in der handwerklichen Verarbeitung beispielgebend sind für gelungenen Anschluss an antike kaukasische Vorbilder. Man betrachte nur die gelungenen Chal-Mohammadi-Teppiche im Stil der klassischen Ersaris.

Zwar betrachten wir hier primär die neuen Kaukasus-Staaten und Turkmenistan. Es werden jedoch auch Anstrengungen unternommen, Teppich zu knüpfen in Kirgistan, Tadjikistan und Usbekistan. Diese Staaten können auf ein mehr oder weniger großes, aber auf alle Fälle sehr altes und traditionelles Knüpfkunsthandwerk zurückblicken. Die Susani-Nadelarbeiten der Usbeken sind Legende.

Die neu entstandenen Länder leiden jedoch letztlich unter dem Einfluss des speziell in Deutschland schwieriger gewordenen Orientteppichabsatzes, der dazu führt dazu, dass kaum ein Importeur das Wagnis auf sich nimmt, in weiter Ferne noch wenig stabiler Länder, die sich gerade mal im Übergang zur Marktwirtschaft befinden, Investitionen in die Knüpfindustrie vorzunehmen. Außerdem sind durch das ständig steigende Knüpfaufkommen die Preise zusätzlich unter Druck. Als Beispiel sei die beste Tekke-Buchara-Qualität, der Aschkhabad, genannt: Sein Einkaufspreis beträgt gegenüber den sechziger Jahren gerade noch ein Drittel.

Die neue Seidenstraße und das Traceca-Programm der EU

Anknüpfend an ihre Handelsgeschichte haben die Staaten Innerasiens inzwischen ein langfristig angelegtes Gemeinschaftsprojekt beschlossen: Die Wiederbelebung des uralten Handelsweges der Seidenstraße: mit der Perspektive, die Anrainerstaaten letztendlich in eine riesige Freihandelszone einmünden zu lassen. Die WOT sieht das mit Wohlwollen.

Nicht von ungefähr trafen sich 1998 gerade in Baku, der Boomtown mit den kaspischen Ölquellen vor den Stadttoren, die Präsidenten von Armenien, Aserbeidjan, Georgien, Bulgarien, Rumänien, Moldawien, Ukraine, Kasachstan, Kirgistan, Tadjikistan, Usbekistan und der Türkei, um dieses gewaltige Unterfangen zu paraphieren. Sie unterzeichneten einen weitereichenden Vertrag mit dem inoffiziellen Titel "Neue Seidenstrasse".

Bereits 1993 beschloss die EU in Obereinstimmung mit den genannten Ländern ihr Traceca-Programm - Transport Corridor Europe Caucasus Asia, mit dem Geld und Knowhow zur Verfügung gestellt werden, um diesen Landweg flott zu machen. Auch die USA haben Finanzierungsmittel ausgelobt. Russland allerdings steht abseits und betrachtet diesen Eingriff in seine bisher ureigene Domäne mit unverhohlenem Misstrauen.

Andererseits hat China seinen Beitrag zu Landverkehrsweg bereits vorgeleistet, so dass die Weiterführung in die Ballungsgebiete des Reichs Mitte gesichert ist. In den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eröffnete es zusammen mit Pakistan den Karakorum-Highway durch den Pamir, über den höchsten Pass der Welt. 1995 übergab man den nach Westen durch Xinjian, das ehemalige Ostturkestan, führenden Highway 312 dem Verkehr. Er verbindet die alten Oasenstädte der Seidenstraße und führt direkt durch die berüchtigte, bisher als unbezwingbar geltende Wüste Takla Makan. Exakt übersetzt bedeutet ihr schauriger Name: "Du gehst hinein und kommst nicht mehr heraus!" Auch das gehört nun der Vergangenheit an.

Über all diese Vorhaben, die auch Westeuropa nachhaltig beeinflussen werden, vernehmen wir nur wenig in den Medien, und die Realisierung dieses zukunftorientierten Riesenprojekts wird sicher noch dauern. Aber der Traum eines ungehinderten Landweges vom Atlantik durch Europa und Innerasien bis nach China und ans Gelbe Meer, den schon Djingis Chan träumte und der für kurze Zeit im 14. Jahrhundert unter seinem Enkel Kublai Chan schon einmal Wirklichkeit war, scheint wieder Realität zu werden. Sicher, in erster Linie geht es um den Einfluss auf die reichen Bodenschätze wie Gold, Metalle, Erdgas und Erdöl. Vergessen wir aber nicht: Eins der Produkte, das seit Jahrtausenden auf dieser Transkontinentalroute reiste und reisen wird, ist der Orientteppich.
aus Heimtex Orient 01/02 (Teppiche)