Eindrucksvolles Zeugnis historischer Wandgestaltung
Das Kulturgut Tapete lebt im alten Amtshof Eicklingen
Östlich von Celle gelegen befindet sich in Flotwedel der alte Amtshof Eicklingen. Bei der Restaurierung dieses früher als Verwaltungs- und Gerichtsplatz genutzten historischen Gebäudes spielte die Wandgestaltung mit Tapeten eine besondere Rolle. Sowohl der die Neugestaltung leitende Innenarchitekt Karsten Stumpf als auch sein Vater Heiner Stumpf, Creativer Wohngestalter der Decor-Union, hatten maßgeblichen Anteil daran.
Zur wechselvollen Geschichte des des alten Amtshofes Eicklingen gehörte seine einstige Bedeutung als mächtiger Verwaltungs- und Gerichtsplatz im 17. und 18. Jahrhundert, die dann folgende Nutzung als Wohn- und später als Lehrgebäude und zuletzt als Lager für Teppichboden und Parkett. Seit September 2005 steht das Haus nach einer fachlich behutsamen wie gründlichen Sanierung wieder einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung - und zwar als "Niedersächsisches Informations- und Kompetenzzentrum für den ländlichen Raum", so seine Bezeichnung und Funktion.
Bei der gesamten Restaurierung stand dieser Gedanke im Mittelpunkt: Was an historisch wertvoller Substanz zu erhalten war, soll erhalten werden, zum Beispiel die alten Sandsteinplatten und die Türen. Andere Elemente wurden naturgetreu nachgebildet bzw. reproduziert, so die Tapeten und Wanddekorationen. Und alles, was zur heutigen neuen Funktion des Hauses gehört, wie die Möbel und das Lichtsystem, sind in modernem, schlichtem Design gehalten. Auf diese Weise werden historische wie neuzeitliche Elemente nebeneinander präsentiert, ohne einander zu stören. Im Gegenteil, sie ergänzen sich.
Kleinod ist die Wandgestaltung
Zur repräsentativen Gestaltung von Räumen gehörte seit jeher die Dekoration der Wände. Heiner Stumpf, selbst Mitglied im Verein Deutsches Tapetenmuseum im Kassel, entdeckte unter den Schätzen des Museums die mittlerweile berühmte chinesische Tapete aus dem so genannten Chinazimmer des alten Amtshofes. Dabei handelt es sich um die Darstellung einer "Chinoiserie", also einer auf Papier gemalten chinesischen Landschaft, wie sie im 18. und 19. Jahrhundert in der europäischen Kunst und speziell bei der Raumgestaltung sehr beliebt war. Während sich die Fachleute über die herstellende Werkstatt in Frankreich nicht einig sind - mal ist von Josef Dufour, mal von der Manufaktur Jules Desfossé die Rede -, gilt das Herstellungsjahr 1815 als gesichert.
Auf der linken Seite der Darstellung ist eine so genannte Tempelprozession zu sehen, auf der rechten eine Tee trinkende Gesellschaft mit pagodenartiger Gartenlaube. Alles in zarten Sepia-Tönen gehalten.
Der renommierte Fotograf Manfred Zimmermann fertigte originalgetreue Reproduktionen auf drei Dibond-Platten an, die im Amtshof aufgehängt wurden. Dibond-Platten sind dreischichtige Verbundelemente mit einem Polyäthylenkern und zwei Alu-Deckblechen. Dabei wurde bewußt auf kosmetischen Verschönerungen verzichtet. Die Darstellung vermittelt den Eindruck früherer Pracht mitsamt Flecken und Rissen. In Kassel ist neben der Originaltapete übrigens auch die Untertapete zu besichtigen, und zwar in Form der in Kassel erschienenen Zeitung "Westfälischer Moniteur" in Ausgaben der Jahre 1811 bis 1812. Daher weiß man, daß die Chinoiserie in eben jener Zeit auf eine Wand des alten Amtshofes aufgebracht worden war.
Neben der Chinoiserie sind noch weitere Zeugnisse der Vergangenheit sichtbar gemacht worden. Die Restauratoren stießen auf mehrere Schichten Tapete und Farbe, die jeweils einen Zeitabschnitt und die kulturellen Elemente der verschiedenen Epochen dokumentieren.
Auf Lehmputz befand sich zum Beispiel ein hellblauer Tempera-Anstrich, zur Decke hin durch eine Vorhangmalerei in Grisaille-Technik begrenzt. Es folgten Überklebungen mit gedruckten ornamentalen Mustern. Englische Drucktapeten fand man ebenso wie Goldbrokattapete vom Ende des 19. Jahrhunderts.
Heute sind - wie früher - neben dem roten Zimmer, das blaue und das grüne Zimmer zu sehen. Auch ein so genanntes buntes Zimmer gibt es, alle diese Räume im Ostflügel gelegen. Die Farbigkeit wurde mit Mineralfarben erzielt, die auf die mit Lehmputz ausgestatteten Wände aufgebracht wurden.
Das grüne Zimmer verdankt diese Bezeichnung einem hellen pastellenen Grünanstrich, belebt durch zarte Schablonenelemente sowie feinen Linien, sämtlich in Grün gehalten. Der Wandabschluß wird durch ein Vogelfries und eine Vorhangdrapierung gebildet, deren Ursprung aus dem Jahre 1815 stammt. Das Ganze strahlt behagliche Biedermeieratmosphäre aus.
In der in hellem Grau mit warmroten Unterzügen gestalteten Eingangshalle findet sich eine dekorative Streifentapete in Schwarz-Weiß aus der Kollektion Rivoli von Heinetex.
Die Wandgestaltung des alten Amtshofs Eicklingen ist längst nicht das einzige historische Element des restaurierten Gebäudes, stellt aber in seiner vorzüglichen Wiederherstellung den Glanzpunkt des Ganzen dar. Von der ersten Wanddekoration um 1720 bis zur jüngsten Tapete von 1950 liegt eine große Zeitspanne, innerhalb derer nur sechs Renovierungen der Erstfassung folgten. Ein Zeichen dafür, daß Tapeten in jeder Epoche nicht nur den Zeitgeist widerspiegelten, sondern stets auch etwas Kostbares waren.
Wie oft bei so bedeutsamen Renovierungsobjekten ist das Werk eine Gemeinschaftsleistung. Neben den ausführenden Handwerksbetrieben sind hier insbesondere der Restaurator Paul Uwe Dietzsch, der Architekt Karsten Stumpf und der Creative Wohngestalter der Decor-Union, Heiner Stumpf, zu nennen, dem das Kulturgut Tapete am Herzen liegt.
aus
BTH Heimtex 06/06
(Tapeten, Wandbeschichtungen)