Liberty London
"Teppiche sind Kunst auf dem Boden"
The quintessential London Store", also das typischste, ultimative Londoner Warenhaus. So nennt das hippe Londoner Stadtmagazin Time Out das traditionelle Kaufhaus Liberty - und kürte es gar zum "Store of the Year". Es ist das kühne Statement eines Magazins, das bekannt und begehrt ist bei Londonern, die Ausschau halten nach den neuesten Avantgarde-Boutiquen, den coolsten Nightspots und den angesagtesten Restaurants. Aber verkörpert ausgerechnet ein ca. 140 Jahre altes Kaufhaus den Zeitgeist? Ja, denn es besitzt Kultur, Würde und Authentizität. Es beherrscht scheinbar mühelos den Spagat zwischen Avantgarde und Tradition, und das in allen Abteilungen.
Die Architektur des Gebäudes - Fachwerk im Tudorstil - ist so angelegt, dass es nicht wie ein einziges riesiges Warenhaus aussieht, sondern den Anschein erweckt, es handele sich um eine Aneinanderreihung vieler kleiner Läden. Was ursprünglich notwendiges Übel war - weil von den Grundstückseignern so vorgeschrieben -, erweist sich heute als Glücksfall: Das Ensemble wirkt heimelig und sehr einladend, Schwellenängste kommen gar nicht erst auf.
Betritt man die Teppichabteilung, taucht man ein in eine Welt aus Tausendundeine Nacht. Prachtvolle Knüpfungen auf dem Boden, an den Wänden. Einzigartige antike Stücke aus dem 19. Jahrhundert, die Geschichten erzählen könnten. Ganz seltene Exemplare sind die iranischen Filzteppiche, typisch für ein Gebiet an der Grenze zu Turkmenistan. Daneben kunstvoll geknüpfte persische Teppiche aus Seide und feiner Wolle, marokkanische Kelims. "Die Vorliebe unserer Kunden hat sich etwas verändert zugunsten der Kelims", sagt Paul Daniels vom Verkauf. "Waren es früher gut 100 Kelims, die wir pro Jahr verkauft haben, so sind es jetzt fast 500".
Gleichwohl haben die persischen Teppiche für Liberty ihre Bedeutung behalten. "Der persische Teppich ist nie verschwunden", sagt Bruce Lepere, verantwortlich für den Einkauf. "Für uns bleibt er der wichtigste Teppich. Wir investieren in traditionelle Teppiche. Und wenn unsere Kunden ebenfalls investieren, haben sie ihr Leben lang ein kostbares Stück und können es sogar noch ihren Kindern vererben."
Diese Konsequenz, die Bereitschaft zur Investition, die Pflege von hochwertiger Qualität ist es wahrscheinlich, die Liberty vor dem Schicksal vieler Teppichhändler bewahrt hat. "Viele Teppichhändler haben ihre Geschäfte aufgegeben, auch in England", so Bruce Lepere. "Einer der Gründe war sicherlich die plötzliche mengenmäßige Explosion zeitgenössischer Teppiche. Um ihre Kosten so niedrig wie möglich zu halten, begannen die Händler, maschinell gefertigten Qualitäten zu verkaufen." Und mit Bedauern fügt er hinzu: "Viele Teppichhändler haben die Orientierung verloren, sind ihren Grundsätzen nicht treu geblieben. Ich werde mir keinen getufteten Teppich ins Haus holen. An Modeerscheinungen sind wir nicht interessiert. Für uns sind Teppiche Kunst auf dem Boden."
Auch eine mangelnde Bereitschaft zum Dienst am Kunden stellt Lepere immer wieder fest. "Viele sind zu bequem geworden, wollen etwas erreichen mit möglichst geringem Aufwand, Beratung findet so gut wie nicht mehr statt." Doch gerade die fachmännische Beratung ist bei hochwertigen Teppichen unerlässlich. Und die Kunden, so beobachtet man bei Liberty immer wieder, sind sehr wissbegierig, wollen alles über Alter, Herkunft, Knüpftechnik, die Traditionen des jeweiligen Landes erfahren. "Was unser Verständnis von Kundendienst anbelangt, so würde ich sagen, sind wir eher ein altmodischer Laden", lacht Bruce Lepere. "Und was wir nicht erklären, vermitteln können, das drücken die Teppiche selbst aus. Sie sprechen für sich."
Die Verkäufer der Liberty Teppichabteilung fahren zu den Kunden ins Haus, beraten, machen Vorschläge, welcher Teppich am besten passen würde. "Ich bin immer wieder erstaunt, wie sehr ein Teppich ein Ambiente verändern kann", sagt Paul Daniels. "Uns rufen Kunden noch nach Monaten an und sagen, wie sehr sich die Atmosphäre ihres Hauses durch die Teppiche verändert hat - zum Positiven." Paul Daniels ist - das spürt man - mit Leib und Seele Teppichverkäufer. "Wenn man einmal damit angefangen hat, kommt man nicht mehr davon los", bekennt er. "Und ich lerne jeden Tag etwas Neues dazu." Verkauft wird freilich nicht nur in London und der näheren Umgebung. Engländer, die einen Zweitwohnsitz in Spanien oder Südfrankreich haben, wollen auch dort ihr Heim aufwerten mit einem echten Teppich. Theoretisch könnte man auch über die Liberty Homepage kaufen. "Aber wir bevorzugen es, wenn unsere Kunden ins Haus kommen. Sie müssen die Teppiche auch anfassen", so Daniels. Nicht nur die Optik, auch die Haptik ist also mitentscheidend, ob man sich mit einem Teppich wohlfühlt.
"Wir sind sehr zuversichtlich, was unser künftiges Teppichgeschäft betrifft", beteuert Bruce Lepere. "Die Geschäfte ziehen weiter merklich an. Und schließlich: Ich liebe meine Teppiche!" Was kann da noch schiefgehen?
aus
Carpet Magazin 02/11
(Handel)