Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?
Eine kleine Orient-Warenkunde
Es ist zwar schön, wenn man auf die Frage "Sind Sie ein Orientteppich-Kenner ?" mit "Ja" antworten kann. Doch alles kann niemand wissen. Vieles muss auch der versierte Fachmann nachschlagen. Mit unserer Orient-Warenkunde in diesem Heft möchten wir Ihnen Fachwissen auf eine unterhaltsame Weise vermitteln.Mamlukenteppich - Altägyptische Teppichprovenienz
Eine besondere Stelle in der Geschichte des Orientteppichs nimmt eine Gattung ein, die als Mamlukenteppiche bekannt geworden ist. Keine andere Provenienz hat je ein vergleichbares Design besessen. Sie fallen durch ihr äußerst komplexes, stark geometrisches Muster auf, das von vielen Fachleuten sehr treffend mit einem Blick durch ein Kaleidoskop verglichen wird. Ein zentrales Medaillon dient als Hauptelement. Es ist eingefasst von einem Oktogon, um das wiederum kleinere Oktogone, achtstrahlige Sterne und zahlreiche Dreiecke angeordnet sind. Stark stilisierte Ranken und Blütenmotive ergänzen das Muster. Große Stücke zeigen bis zu fünf Medaillons, die sich auf der Längsachse verteilen. Die Bordüre greift die Musterung und Kolorierung des Innenfelds auf. Die Farben reichen von einem hellen Kirschrot, über Grasgrün bis zu einem leuchtenden Blau.
Über die Zeit der Entstehung der Mamlukenteppiche ist sich die Fachwelt nicht ganz einig, die gängigste Theorie geht davon aus, dass sie vom späten 15. Jahrhundert bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts in Kairo gefertigt wurden. Die Mamluken kamen ursprünglich als Sklaven und Söldner aus Zentralasien und dem Kaukasus in die Sultanate von Ägypten und Syrien. Ende des 13. Jhd. übernahmen sie die Herrschaft in Ägypten und behielten sie bis 1517, als sie von den Osmanen abgelöst wurden. Es gilt ebenso als widerlegt, dass die Teppiche aus dem syrischen Damaskus stammen, als auch, dass die Stücke erst ein Jahrhundert später von den Osmanen geknüpft wurden.
Auch heute werden noch Teppiche im Stile der antiken Vorbilder geknüpft. Vor allem in der Türkei gibt es Produzenten, die sehr ansprechende Qualitäten auf den Markt bringen.
Saph - Reihengebetsteppich
Gläubige Moslems sind angehalten, fünfmal täglich zu beten. Einen besonderen Stellenwert hat das Freitagsgebet, das ein für alle gläubigen Männer vorgeschriebenes Gemeinschaftsgebet in der Moschee ist. Neben der rituellen Waschung ist ein "reiner Ort", zum Beispiel ein Gebetsteppich, Grundlage jedes Gebets. Daher sind Gebetsteppiche in der gesamten islamischen Welt verbreitet und haben einen hohen spirituellen Wert. Die meisten Gebetsteppiche haben ein Format von 80 cm x 120 cm bis 90 cm x 150 cm. Solche Gebetsteppiche werden vor allem zu Hause genutzt. Für sie typisch ist das Mihrab genannte Gebetsnischenmuster, das die Gebetsnische in der Moschee nachbildet, die die Gebetsrichtung gen Mekka anzeigt.
Saphs, also Reihengebetsteppiche, wurden und werden vor allem in Moscheen genutzt. Die noch immer verbreitete Aussage, dass Saphs als Gebetsteppiche für die gesamte Familie dienten, stimmt nicht, da im Islam Männer und Frauen räumlich voneinander getrennt beten. Der türkische Begriff Saph bedeutet Reihe und so zeigen diese Teppiche auch eine Aneinanderreihung mehrerer Gebetsnischen.
Bis auf rein für kommerzielle Zwecke produzierte Stücke, die in praktisch allen Orientteppich-Ursprungsländern gefertigt werden, stammen originale Saphs vor allem aus der Türkei und aus den osttürkischen Provenienzen wie Khotan. Warum sie ausgerechnet in diesen doch weit von einander entfernten Gebieten gefertigt werden und nicht in den zahllosen Provenienzen, die räumlich dazwischen liegen, ist nicht eindeutig geklärt. Es zeigt aber klar eine ursprüngliche kulturelle Zusammengehörigkeit.
Neben geknüpften Reihengebetsteppichen gibt es vor allem aus der Türkei auch sehr ansprechende flachgewebte Saph. Ein besonders schönes Stück ist beispielsweise im Berliner Museum für Islamische Kunst zu sehen. Neuere Saph kommen oft aus dem türkischen Kayseri, wo auch gern Exemplare aus merzerisierter Baumwolle geknüpft wurden.
Schasawan - Nomaden aus dem Norden Irans
Die Schasawan sind eine bedeutende Konföderation türkischstämmiger Nomaden im Nordwest-Iran. Die Nomaden stammen ursprünglich aus Anatolien und zogen im späten 16. Jahrhundert in den Nordwesten Persiens. Vorausgegangen war die Bitte an den Safavidenkönig Shah Abbas, auf persischem Gebiet siedeln zu dürfen. Shah Abbas kam das Anliegen der Nomaden nicht zuletzt deshalb zu pass, weil er Schutz für die Nordgrenzen seines Landes suchte. Der Name der Nomaden-Konföderation Schasawan zeigt die tiefe Dankbarkeit der Nomadenstämme für die Erlaubnis, in Persien siedeln zu dürfen. Schasawan heißt auf deutsch so viel wie "Freunde des Königs / Shah" oder "Die, die den Shah / König lieben".
Berühmt sind die Schasawan vor allem für ihre Flachgewebe. Ihre Gewebe gehören zu den hochwertigsten des Iran. Vor allem feine Soumach, aber auch hochwertige Gebrauchstextilien, wie Mafrasch (rechteckige textile Packkoffer) stammen aus den Händen der Schasawan-Frauen. Typische Farben der Schasawan sind ein tiefes Indigoblau und ein warmes Krapprot. Verbreitet sind feingewebte Tiermotive, wie Kamele, Ziegen oder Pfauen. Erstaunlicherweise gibt es - im Gegensatz zu den andren iranischen Nomadenstämmen - fast keine geknüpften Erzeugnisse, die wenigen bekannten Flor-Teppiche sind außerdem sehr alt. Eine genaue Erklärung, warum die Schasawan aufgehört haben, Teppiche mit Flor zu fertigen, gibt es nicht.
Interessant zu wissen ist, dass die Zelte der Schasawan sich deutlich von den sonst im Iran verwendeten Stangenzelten unterscheiden. Sie ähneln stark den turkmenischen Jurten. Heute leben kaum noch Schasawan vollnomadisch. Die meisten sind Halbnomaden oder sesshaft geworden. Sie siedeln vor allem zwischen Täbris und Teheran, sowie rund um die Stadt Veramin. Ein Teil lebt außerdem im äußersten Norden des Landes an der Grenze zu Azerbaijan.
Säulenteppich - Chinesischer Teppich, der um Säulen dekoriert wird.
Der Säulenteppich weicht in Dessinierung und Konzeption stark von den üblichen Teppichen ab. Es handelt sich um Teppiche, die vor allem in Tempeln und Klostern im lamaistischen / buddhistischen Kulturkreis, also vor allem im Norden Chinas, der Mongolei und Tibet verwendet werden. Ihr schmales Format und die fehlenden Bordüren an den Längsseiten lassen sie durchaus wie Fragmente von Teppichen erscheinen.
Grund für ihr außergewöhnliches Aussehen ist der Verwendungszweck der Säulenteppiche. Sie wurden maßgefertigt, um eine Säule in einem Tempel oder einem Kloster zu verkleiden. Die Länge des Teppichs richtet sich also nach der Höhe der Säule, je höher die Säule, desto länger. Die Breiten der Teppiche variieren daher auch nicht ganz so stark, da die Säulen meist einen Umfang von einem Meter haben.
Ihr Dessin kommt erst dann voll zur Geltung, wenn der Teppich um eine Säule dekoriert wird. Das Muster ist so gestaltet, dass der linke und der rechte Rand aufeinander abgestimmt sind und - werden sie aneinandergelegt - ein durchgängiges Dessin ergeben. Besonders deutlich wird das bei dem Lieblingsmuster dieser Teppiche, dem Drachen. Er schlängelt sich in mehreren Windungen um die Säule. Eine Bordüre oder ein Musterabschluss an den Längsseiten würde einen solchen Effekt verhindern, daher kommen alle Säulenteppiche ohne solche aus. Im Gegensatz dazu finden sich am oberen Enden der Teppiche gern Motive hängender Verzierungen und am unteren Ende ein stilisiertes tosendes Meer mit hohen Wellen und sprühender Gischt.
Das Innenfeld des Teppichs ist meistens in einem kräftigen Orange-Gelb gehalten und mit frei platzierten Wolkenmotiven und buddhistischen Symbolen gestaltet. Der fliegende Drache mit seinen krallenbewährten Füßen und dem aufgerissenen Maul ist in kontrastierendem Blau gehalten. Säulenteppiche wurden immer paarweise geknüpft.
aus
Carpet Magazin 02/11
(Teppiche)