Fachinformation

Iranische Nomaden- und Bauernteppiche

Die iranischen Nomaden- und Bauernteppiche sind eine große Teppichgruppe, die sich mehr von den bekannten städtischen Teppichen des Iran unterscheidet, als es der erste Blick vermuten lassen könnte. Wo genau liegen diese Unterschiede und welche Bedeutung haben sie für den Teppichhandel? Diesen Fragen gehen wir in dieser Fachinformation nach.

Der wohl wichtigste Unterschied zwischen Nomaden- und Bauernteppichen, sowie den städtischen Teppichen liegt im Grund ihrer Herstellung. Während in den Städten Teppiche fast ausschließlich für die kommerzielle Nutzung, also den Weiterverkauf produziert werden, knüpfen die Nomaden und Dorfbewohner die Teppiche vor allem für ihren Eigenbedarf.

Das Leben der Landbevölkerung

Die Landbevölkerung des Iran besteht zum einen aus Nomaden, zum anderen aus der sesshaften Dorfbevölkerung, wobei die Übergänge zwischen beiden Lebensformen heute fließend sind. Die Nomaden ziehen seit Tausenden von Jahren im Iran und den umliegenden Ländern mit ihrem Vieh von Weidegrund zu Weidegrund. Ihr Leben ist hart und entbehrungsreich. Ein großer Teil der Nomaden zieht heute garnicht mehr oder nur im Sommer umher. Sie wurden sesshaft oder zu Halbnomaden. Ein Grund dafür war, den großen Strapazen dieses Lebens zu entfliehen. Darüber hinaus hat der Staat mit zahlreichen Programmen versucht - mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg - aus den nomadisch lebenden Stämmen eine sesshafte und damit leichter zu kontrollierende Bevölkerung zu machen.

Ob nun Nomaden, Halbnomaden oder sesshafte Landbevölkerung: Teppiche und Flachgewebe als Bodenbelag oder als Decke sowie Gebrauchstextilien wie Satteltaschen, Zeltbänder und Kissen fertigen die Angehörigen von Stämmen wie den Ghashgai, Afscharen oder Bachtiaren meist für sich selbst. Dabei leben sesshaft gewordene Nomaden durchaus in Häusern und knüpfen ihre Teppiche trotzdem nach alter Tradition draußen im Garten.

Die Bauernteppiche werden von der traditionell sesshaften Landbevölkerung produziert. Ihre Muster unterscheiden sich zum Teil sehr stark von Dorf zu Dorf. Ein schönes Beispiel dafür sind die Teppiche, die als Hamedan zusammengefasst sind. Deren zahllose Unterprovenienzen unterscheiden sich optisch erheblich. Weitere bekannte Provenienzen von Bauernteppichen sind Malayer, Lori oder Kolyai.

Unterschiede zum städtischen Teppich

Um die Besonderheiten von Nomaden- und Bauernteppichen hervorzuheben, bietet sich ein Vergleich mit städtischen Teppichen wie Täbris, Isfahan, Nain und Ghoum an. In den Manufakturen können die Knüpfer auf alle Ressourcen zurückgreifen, die man benötigt um besonders feine und gleichförmige Teppiche zu fertigen. Bestes Beispiel ist die Mustervorlage. Denn während in der Stadt die Teppiche nach kunstvoll entworfenen und auf Millimeterpapier - jedes Kästchen steht für einen Knoten - exakten Vorlagen geknüpft werden, werden die Teppiche der Landbevölkerung aus dem Gedächtnis gefertigt, manchmal auch nach einer kleinen geknüpften Vorlage, die Waghireh genannt wird. Es liegt auf der Hand, so dass in der Stadt wesentlich komplexere und feinere Muster gefertigt werden können.

Das gilt auch für die verwendeten Materialien. Auf dem Land wird fast nur eigene Wolle eingesetzt, die auch noch selber versponnen wird. In der Stadt kann die Knüpferei Wolle immer gleicher Qualität kaufen. Auf dem Land wird die Wolle in der Regel nach Bedarf gefärbt, also eine bestimmte Menge für einen bestimmten Zeitraum. Ist die Wolle verbraucht, wird neu gefärbt, zum Beispiel im Abstand von ein paar Wochen. Dabei kommt es fast zwangsläufig zu leichten Unterschieden im Ergebnis, sei es, weil die eingesetzten Mengen leicht unterschiedlich sind, die Wolle die Farbe etwas anders aufnimmt oder die Nomadenfamilie zwischenzeitlich weitergezogen ist und wahrscheinlich Wasser mit anderer Zusammensetzung als beim letzten Mal verwendet.

Im späteren Teppich sind Farbflächen also nicht ganz gleichmäßig, es kommt häufig zu Farbsprüngen. Sie werden Abrasch genannt, was nicht als Qualitätsminderung zu sehen ist. Im Gegenteil: Liebhaber schätzen die Lebendigkeit, die dem Teppich so verliehen wird und sehen darin einen Beweis ihrer Ursprünglichkeit. Bei Nachknüpfungen, zum Beispiel aus Indien, wird die Wolle absichtlich so gefärbt, dass es zu Abraschen kommt.

Ein weiterer Unterschied liegt in der Art des verwendeten Knüpfstuhls: Während in der Stadt ein stehender Knüpfstuhl mit quasi beliebiger Größe zum Einsatz kommt, ist es bei den Nomaden ein liegender Knüpfstuhl. Die Größe des liegenden Knüpfstuhls ist begrenzt, denn ansonsten ist ein Transport von einem Weidegrund zum anderen nicht möglich. In der Regel haben die Teppiche ein Maß von bis zu 170 cm x 240 cm, 4 m2 Grundfläche werden selten überschritten. Da der Knüpfstuhl bei den Nomaden darüber hinaus be der Wanderung zu den Weideflächen auf- und abgebaut werden muss, verlieren die Kettfäden des momentan geknüpften Teppichs an Spannung. Der Teppich verzieht sich etwas und wird ungerade.

All diese Eigenschaften der Nomaden- und Bauernteppiche sind nicht als Makel zu sehen, sonder verleihen den Teppichen einen ganz eigenen Charme und eine unvergleichliche Individualität. Was bedeutet das für den Verkauf im Handel? Es sind keine zwei Teppiche identisch - das muss in Werbemaßnahmen klar hervorgehoben werden. Auch bedeutet die Individualität und Vielfalt auf Verkäuferseite erst einmal mehr Lernaufwand als bei städtischen Teppichen und auch der Beratungsaufwand beim Verbraucher dürfte größer sein, da die Stücke eben nicht alle 100%-ig rechtwinklig sind und die Formate alle leicht unterschiedlich sind.

Der Weg in den Teppichhandel

Wie gelangt ein Nomadenteppich eigentlich in den Einzelhandel, wenn die Knüpfer sie ja nur für den Eigenbedarf produziert haben? Mit viel Fleiß und Geduld: Die Einkäufer fahren von Zelt zu Zelt und von Dorf zu Dorf, legen dabei zig Kilometer zurück und fragen die Bewohner nach Teppichen, die sie kaufen könnten. In der Regel handelt es sich dabei um gebrauchte Teppiche, die für den Eigengebrauch gefertigt wurden. Häufig sind die Teppiche beansprucht und stark verschmutzt. Dadurch sind Muster und Zustand nicht klar zu erkennen. Aber erst durch ihren praktischen Einsatz bei den Nomaden reifen diese Teppiche. Neu wären sie für den europäischen Geschmack auch zu schreiend in den Farben. Einkäufer müssen demnach Fantasie und vor allem viel Erfahrung haben. Bezahlt werden die Teppiche sofort, danach werden sie gründlich gewaschen, aufgearbeitet, neu gekettelt, gewaschen und gespannt. Beschaffungsaufwand und Kosten sind also immens.

Aktuell wird die Beschaffung zusätzlich noch schwieriger und es ist absehbar, dass in Zukunft immer weniger Teppiche dieser Produktgruppe in den Handel kommen. Es kehren immer mehr Menschen dem Land den Rücken zu und ziehen in die Stadt. Zusätzlich wird von Jahr zu Jahr weniger geknüpft. Von dem Geld, dass die Bauern und Nomaden für ihre Teppiche erhalten, kaufen sie lieber einen maschinengewebten Teppich, statt selber einen zu knüpfen. Ist dieser aufgebraucht wandert er auf den Müll. Ein "natürlicher" Nachschub an Nomaden- und Bauernteppichen fällt somit weg.
aus Carpet Magazin 02/11 (Teppiche)