Johannes Schulte, Vorsitzender des Verbandes der Deutschen Heimtextilien-Industrie e.V.
"Den Herausforderungen stellen"
Für die Heimtextilienbranche ging es 2006 sehr viel versprechend los: ein positiver Start und Umsatzzuwächse in nahezu allen Produktbereichen nährten die Hoffnung auf eine stabile Konjunkturbelebung im ersten Quartal. In dieser allgemein guten Stimmung fand Anfang Mai in Berlin die Jahrestagung unseres Verbandes statt, die sicherlich eine der gelungensten Veranstaltungen seit Bestehen des Verbandes war. Entsprechend positiv war auch die Resonanz aus der Branche und in der Fachpresse. Allerdings haben wir damit auch die Messlatte für die nächste Jahrestagung - wiederum in Berlin - sehr hoch gelegt.
Ein rekordverdächtiger Sommer und eine fantastische Fußball WM mit dem viel zitierten Klinsmann-Effekt trugen zwar zu einer allgemein guten Stimmung im Lande bei, auf die Umsätze in Industrie und Handel hatte das allerdings keine nennenswerten Auswirkungen. So fand die sich andeutende Konjunkturbelebung des ersten Quartals leider in den Folgemonaten keine Fortsetzung und auch die Fußballweltmeisterschaft hatte keine positiven Auswirkungen auf die Kauflust der Verbraucher, sondern schränkte diese ganz im Gegenteil in zahlreichen Produktsparten eher ein. Das gilt auch für die Heimtextilienbranche, die die schleppende Nachfrage deutlich zu spüren bekam. Auch im weiteren Verlauf des Sommers (Juli/August) wurden weniger Produkte unserer Branche gekauft als noch im Vorjahr. So kommen wir, in der Summe betrachtet, für die ersten acht Monate des Jahres 2006 auf einen durchschnittlichen Umsatzrückgang von 2,8 Prozent, zu dem das schleppende Inlandsgeschäft mit minus 5,1 Prozent überproportional beitrug. Insgesamt können wir also zufrieden sein, wenn das Jahr mit einem Pari zum Vorjahr abschließt.
Es gibt eine ganze Reihe von Ursachen, die in diesem Zusammenhang aufgeführt werden können, lassen Sie mich jedoch hier kurz die aus meiner Sicht entscheidenden äußeren Umstände aufführen, die erheblichen Einfluss auf den Geschäftsverlauf in 2006 hatten. An erster Stelle steht die Tatsache, dass die vornehmlich mittelständisch geprägte Heimtextilien-Industrie weiterhin unter einem extremen Kostendruck steht. Nicht nur minderwertige Importe aus Niedriglohnländern, die zum Teil den Markt überschwemmen, sind die Übeltäter, sondern in erster Linie die in den letzten Jahren exorbitant gestiegenen Rohstoff- und Energiepreise. Ich möchte hier keine Kassandrarufe von mir geben, es ist jedoch nicht übertrieben wenn ich sage, dass dieser Umstand unserer Industrie enorm schadet und zum Teil Existenz gefährdend ist.
Ein Blick auf die Entwicklung der Ölpreise - einer unserer wichtigsten Rohstoffe, insbesondere in der Teppichbodenindustrie - zeigt uns, dass wir es in den zurückliegenden drei Jahren mit einer Preissteigerung von sage und schreibe 340 Prozent zu tun haben. Das ist enorm und von einzelnen Unternehmen gar nicht über einen längeren Zeitraum abzufangen. Bedauerlicherweise ist ein Ende dieser Entwicklung zumindest kurz- und mittelfristig nicht in Sicht. Auch die Energiekosten sind abhängig vom aktuellen Rohölpreis. Der Preisanstieg in diesem Bereich beziffert sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Zeitraum 2000 bis 2005 für Strom um 18,2 Prozent und für die industrielle Nutzung von Erdgas um 39,6 Prozent. Das ist extrem wettbewerbsschädlich, zumal der deutsche Mittelstand weitaus höhere Energiekosten zu verkraften hat als beispielsweise der Wettbewerb in den europäischen Nachbarländern. Schließlich steht auch die europäische Chemikalienpolitik mit der Verabschiedung von "REACh" als nach wie vor drohender wettbewerbsverzerrender und Standort schwächender Faktor im Focus. Ich hoffe sehr, dass dem berechtigten Anliegen der in Europa produzierenden Industrie in der endgültigen Fassung Rechnung getragen wird.
Die großen Wirtschaftsforschungsinstitute gehen dennoch von einer positiven Wirtschaftsentwicklung für 2006 und 2007 aus und auch die Bundesbank meldet im November, dass die Zeichen auf Wachstum stehen. So kann wohl in der Tat die deutsche Wirtschaft für 2006 mit dem höchsten Anstieg des realen Bruttoinlandsproduktes seit Jahren rechnen. Allerdings generiert sich dieses nicht etwa aus dem privaten Konsum, sondern vielmehr aus gestiegenen Investitionen in Bauten und Ausrüstungen.
Ebenfalls im November letzten Jahres überrascht das Münchner Institut für Wirtschaftsforschung Ifo mit der Meldung, dass sich das Wirtschaftsklima wenige Wochen vor der Mehrwertsteuererhöhung überraschend aufgehellt habe und belegt dies mit dem angestiegenen Geschäftsklimaindex, der auf 106,8 von 105,3 Punkten im Vormonat Oktober angestiegen ist. Wie dazu Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn ausführt, haben die 7.000 befragten Unternehmen nicht nur ihre aktuelle Lage positiver bewertet, sondern auch die Geschäftsaussichten für die kommenden sechs Monate.
Lassen wir uns positiv überraschen und, auch wenn es angesichts der Rahmenbedingungen derzeit schwerfällt, an einen nennenswerten Anstieg des privaten Konsums glauben. Denn zu hoch sind nach wie vor die Belastungen für die privaten Haushalte. Extrem gestiegene Benzin- und Energiepreise, Mehrkosten für das Gesundheitswesen und die Mehrwertsteuererhöhung schmälern das verfügbare Einkommen der Menschen, sofern sie denn Arbeit haben, und führen außerdem zu Unsicherheiten. Risikominimierung lautet daher in vielen Familien die Devise für die nächsten Monate - und das schlägt sich besonders stark in einem gebremsten Kaufverhalten nieder.
Dennoch sollten wir die Chancen sehen, die wir als innovative Industrie auch haben. Wenn wir den Trendgurus Glauben schenken dürfen, sind künftig bei Heimtextilien technisch raffinierte und anspruchsvolle Produkte gefragt. Das Konsumverhalten wird sich dann nach dem Motto "Klasse statt Masse" orientieren - und das kann für uns als Branche nur von Vorteil sein. Denn damit profitieren wir als Produktionsstandort, der mit seinem Know-how in der Lage ist, sich solchen Anforderungen an Produkte und die damit verknüpften Serviceleistungen einzustellen. Natürlich muss diese Botschaft auch bis zum Handel vordringen. Qualität ist auf Dauer gefragt.
Das belegt auch eine jüngst veröffentlichte Studie der Unternehmensberatung Mercer, die den Discountern à la Aldi und Lidl ein Ende ihres Wachstums prognostizieren. In Zukunft, so die Handelsexperten von Mercer, zählen nicht mehr ausschließlich Billigpreise, vielmehr werden Auswahl und Qualität des Angebotes zu Schlüsselfaktoren. So haben demnach in der Wahrnehmung der befragten Verbraucher im Lebensmittelbereich die Supermärkte Edeka und Rewe mit ihrer Sortimentsentwicklung und durch ihre Kundennähe deutlich zugelegt. Das könnte für unsere Branche Vorbildcharakter haben und genügend Ansporn liefern, uns auch im kommenden Jahr den unternehmerischen Herausforderungen zu stellen und die innovative Kraft des Standorts Deutschland voll auszuschöpfen.
aus
Haustex 01/07
(Haustextilien)