Health + Care Spezial

Umsatzpotenzial in Milliardenhöhe

Der demographische Wandel und das zunehmende Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung haben auch Auswirkungen auf unsere Branche: Bei einem notwendigen Ausbau von Heimplätzen für ältere und pflegebedürftige Menschen sowie der steigenden Nachfrage nach Dienstleistungen für das körperliche Wohlbefinden müssen Healtcare-Produkte für die Ausstattung von Altenheimen, Krankenhäusern, Arztpraxen, Wellness- und Kur-Einrichtungen den Anforderungen einer anspruchsvollen Klientel genügen. Hygiene, Raumakustik, Rutschfestigkeit und Trittschalldämmung sind nur einige technische Aspekte. Die Ausstattungswünsche reichen von einer freundlich-wohnlichen oder entsapnnenden Atmosphäre bis zum luxuriösen Wohnambiente. Wer sich als Produzent, Raumausstatter und Verarbeiter darauf einstellt, hat in der Zukunft gute Chancen, am Markt zu bestehen. Immerhin liegt allein das Umsatzpotenzial für Alten- und Pflegeheime bei bis zu 1,5 Mrd. EUR bis zum Jahr 2015.

Bei insgesamt schrumpfender Bevölkerungszahl nimmt der Anteil älterer Menschen ständig weiter zu. Das muss aber kein Anlass für Schwarzseherei sein, denn jede gesellschaftliche Veränderung bietet Chancen - auch unserer Branche. So geht die demographische Entwicklung einher mit einem wachsendem Gesundheitsbewusstsein, schon unter jüngeren Menschen. Von beiden Trends können Hersteller von Heimtextilien, Inneneinrichter und Raumausstatter profitieren. Schließlich erfordert der demographische Wandel nicht nur einen Ausbau der Alten- und Pflegeheime sowie den Umbau bestehender Immobilien zu altersgerechten Wohnungen, sondern auch die Nachfrage nach Wellness- und Fitnesseinrichtungen wird steigen. Damit ist das Objektgeschäft im Health & Care-Sektor ein Zukunftsmarkt.

Derzeit gibt es in Deutschland laut Schober Adressen 10.448 Krankenhäuser, in Österreich sind es etwa 770, in der Schweiz etwas mehr als 1.000. Hinzu kommen laut Kassenärztlicher Vereinigung knapp 90.000 Einzel- und Gemeinschaftspraxen. Die Zahl der Kurkliniken liegt nach Berechnungen von Schober in Deutschland bei 913, in Österreich bei 190 und in der Schweiz bei 44. Hinzu kommen in Deutschland 253 Kurheime, 358 Kurhotels und nach Schätzungen des Deutschen Hotelverbands rund 1.000 Wellnesshotels. Auch mit mehr als 12.000 Altenpflege- und Altenwohnheimen (A: 1.000, CH: 1.030) ist Deutschland schon jetzt gut bestückt. Und wer vorbeugend etwas für seine Gesundheit tun möchte, kann das in 10.287 Fitness-Centern (A: 900, CH: 784) tun.

Die Zahl dieser Einrichtungen, die unter dem Begriff Healthcare zusammengefasst werden, wird noch weiter steigen; mit Ausnahme der Krankenhäuser, bei denen es derzeit in Deutschland eine Überversorgung gibt. Für einen Teilbereich belegt das die Studie "Der Markt für die Inneneinrichtung von Alten- und Pflegeheimen in Deutschland" des SN-Fachpresse-Verlags, in dem auch die BTH Heimtex erscheint. Demnach legt auf Basis des Jahres 2005 allein der Bedarf an Alten- und Pflegeheimen bis zum Jahr 2015 um 3.000 bis 4.000 zu. Daraus ergibt sich ein Umsatzpotenzial für Boden- und Wandbeläge, Heim-, Haus- und Pflegetextilien in den Senioreneinrichtungen zwischen 1,3 und 1,5 Mrd. EUR. Dabei macht der Neuanschaffungsmarkt 311 bis 369Mio.EUR aus, während der Renovierungs- und Wiederbeschaffungsmarkt bei 968 bis 1.167Mio.EUR liegt.

Allein das Umsatzpotenzial für Bodenbeläge liegt laut Studie einschließlich Renovierungen bei 375 bis 440Mio.EUR, bei Schwerpunktpreislagen zwischen 10 und 14 EUR/m. Das Umsatzpotenzial für Vorhänge und Gardinen wird auf 145 bis 165Mio.EUR geschätzt. Bei Tapeten geht die Studie bis 2015 von einem Umsatz zwischen 111 und 135Mio.EUR aus, bei Farben von 91 bis 113Mio.EUR.

Chancen für Industrie und Handwerk

Diese Prognosen sind nicht nur für die Industrie ein Anreiz, sondern können auch Planern, Innenarchitekten und Raumausstattern für die Zukunft eine hohe Auslastung sichern. Voraussetzung ist allerdings, dass sie sich spezielles Fachwissen über den Healthcare-Markt mit seinen Anforderungen und Produkten aneignen. "Hier ist ein großes Potenzial für Raumausstatter, um sich als kompetente Planer und Partner zu profilieren", meint Thomas Böckelmann, langjähriger Einrichtungsplaner von Pflegeheimen und heute bei Bodenbelagshersteller Debolon verantwortlich für Strategieentwicklung und Beratung in der Pflegewirtschaft.

Böckelmann rät Raumausstattern zu Ausstellungsräumen oder zumindest Kojen, die sich dem Thema "Einrichtung von Pflegeheimen" widmen und in denen sich Betreiber und Heimleiter über den Markt informieren können. Von Letzteren verlangt der Berater, dass sie sich stärker auf Gesamtkonzepte konzentrieren und diese schon in die Ausschreibungen mit aufnehmen statt ohne Zusammenhang immer nur einzelne Gewerke auszuschreiben. "Bei einer Ausschreibungspraxis, die von Anfang an einen roten Faden durch die Kostengruppen legt, sind die Chancen viel höher, dass stimmige Gesamtkonzepte für Pflegeheime umgesetzt werden", ist sich Böckelmann sicher. Licht, Farbe, Materialien und ihre Haptik, Akustik, Ergonomie und Hygiene müssten mit dem gewünschten Einrichtungsstil eine Einheit bilden.

Diesen ganzheitlichen Ansatz unterstützen auch mehrere Handels- und Industrieunternehmen, die sich zur Health & Home Care Network Group zusammengeschlossen haben. Beteiligte Kooperationspartner sind unter anderem Caparol, die Decor-Union, A.S. Création, Drapilux, Gerflor, Teba, Witex, Ufloor Systems (Uzin), Thermopal und Tretford (Weseler). Mit Unterstützung der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) in Hildesheim definierten sie die vier Farb- und Gestaltungswelten "Präventiv", "Wohlfühlen", "Angstfrei" und "Regenerativ" für Räume im Gesundheitswesen und bilden sie in Musterbüchern ab. (siehe Kasten Seite 29)

"Umfassende Konzepte, die Boden, Wand, Decke und Einrichtung einbeziehen, sind immer mehr gefragt", betont das Netzwerk. Besonders Farben und Materialien prägten das Raumambiente und spielten für das Wohlbefinden von Patienten, Besuchern und Mitarbeitern eine entscheidende Rolle. Nach Meinung von Martina Lehmann vom Caparol-Farb Design Studio sind die vier Farbwelten eine gute Basis, um eine gestalterische Richtung zu bestimmen. So könnten für Praxisräume, Kliniken, Krankenhäuser und Seniorenheime mit geringerem Aufwand gezielt Gesamtkonzepte erarbeitet werden. Die Farbabstimmungen ließen sich auch in anderen Bereichen wie Hotels, Wellnessanlagen, in Büros sowie in Privaträumen einsetzen. Schließlich gehe es auch dort darum, sich wohl zu fühlen. "Unser Konzept wird ständig weiterentwickelt", ergänzt Ulrich Pepper, Key Account Manager der Health & Home Care Network Group.

Bodenbeläge: Unterschiedlichste Anforderungen

Doch ganz gleich, welche Farbwelt die Einrichtung bestimmt, die Funktionalität der eingesetzten Produkte muss gegeben sein. Allerdings sind die Anforderungen je nach Raumtyp sehr unterschiedlich, was sich besonders bei den Bodenbelägen zeigt. Grundsätzlich sollten sie nach der Studie des SN-Fachpresse-Verlags langlebig und kostengünstig zu reinigen sein. Weitere wichtige Eigenschaften sind Trittschalldämmung, Rollstuhleignung, Ableit- und Strapazierfähigkeit. In Gemeinschaftsräumen und im Eingangsbereich kommt noch die Förderung der Orientierung dazu. Die Experten beziehen sich dabei nur auf textile und elastische Bodenbeläge, da Laminat und Holz zumindest im Kranken- und Pflegebereich eine geringe Rolle spielten.

In Bewohnerzimmern und kleineren Gemeinschaftsräumen wird der Wohnlichkeit ausstrahlende textile Boden bevorzugt, der zudem dem Erfahrungshintergrund vieler Bewohner entspricht. Er verfügt inzwischen über zahlreiche Zusatzeigenschaften wie antimikrobielle Wirkung, ist farbecht, wasserundurchlässig und hat eine orientierungsfördernde Dessinierung. "Teppichboden ist zu einem technisch und funktional komplexen und hochwertigen Produkt geworden", heißt es in der Studie, die dem textilen Bodenbelag großes Marktpotenzial bescheinigt. Noch hätten bisher nur wenige Anbieter ihre Produkte auf die Anforderungen der Alten- und Pflegeheime zugeschnitten.

Einer davon ist Anker. Der Hersteller von Teppichböden startete bereits 1993 mit einem konsequenten Healthcare-Marketing. Ermöglicht wurde dies durch die Entwicklung von "Anker-Clinic 292", dem ersten voll desinfizierbaren und flüssigkeitsundurchlässigen Teppichboden aus den strapazierfähigen und leicht zu reinigenden Solution-dyed-Fasern. Hygiene steht auch bei dem waschbaren Textilboden Flotex von Forbo im Mittelpunkt. Er ist ebenfalls aus Solution-dyed-Fasern und darüber hinaus mit einem speziellen Schutz vor Bakterien und Hausstaubmilben ausgestattet.

Den Marktentwicklungen angepasst haben sich auch Hersteller von elastischen Bodenbelägen, denen die Studie Langlebigkeit und kostengünstige Reinhaltung als Vorteile bescheinigt. Aufgrund des starken Budgetdrucks, der auf Betreibern von Alten- und Pflegeheimen laste, würden sie in Zukunft verstärkt nachgefragt, zumal die Zahl intensiv zu betreuender Pflegefälle weiter ansteige. Daher werde einfach zu gewährleistende Hygiene immer wichtiger.

Entsprechend gut sind viele Produkte aufgestellt. Ihre Polyurethan-Oberflächenversiegelungen garantieren ein hohes Maß an Hygiene, da Verschmutzungen leicht zu entfernen sind. Besonders hervorzuheben ist das Naturprodukt Linoleum, das vor allem in Krankenhäusern eingesetzt wird. Seine Oberfläche zersetzt sich ständig, ohne dass die Benutzung eingeschränkt wird. Der dabei anfallende Stoff wirkt gegen Pilz- und Bakterienbesiedlung.

Aber auch der Wohlfühlaspekt und die Orientierungshilfe werden von den Herstellern elastischer Beläge berücksichtigt. Objectflor hat sein komplettes Sortiment an technischen Belägen entsprechend dem verbreiteten Natural Color System einmessen lassen. Über die Farbcodes können Gesamtkonzepte nach Farbgruppen umgesetzt werden, was der Orientierung dient. "Leben und Pflegen" nennt sich die spezielle Kollektion elastischer Bodenbeläge von Debolon. Sie verfügt über eine besonders reflexionsarme Oberfläche, wodurch Spiegelungen auf dem Boden vermieden werden.

Farben: Hygiene garantiert

Gesundheitsfördernde Aktivitäten finden sich auch in den Produkten für Wand und Decke. Sikkens hat ein ganzes Healthcare-Konzept mit antibakteriellen Beschichtungen und Farbdesigns im Sortiment. Jüngstes Produkt ist die Innenwandfarbe Alpha Sanoprotex. Ebenfalls Jagd auf Keime und Bakterien macht Sanaitec Color aus dem Hause Dinova. In die Farbe werden Sterione als Additive eingebracht. Sie bilden Ionen, die die Schädlinge abtöten. Die Kunstharz-Dispersionsfarbe Zero Health Tec verhindert die Ausbreitung von infektiösen Bakterienstämmen.

Unangenehme Gerüche und anhaftende Substanzen wie Nikotinablagerungen haben keine Chance mehr, wenn Wand und Decke mit der Wellness-Farbe Capasan von Caparol beschichtet sind. Und für eine angenehme Raum-Akustik sorgt das Schallabsorber-System Capacoustic aus Ober-Ramstadt.
Bei den Farben im Innenbereich geht es laut Studie vor allem um eine hohe Nassabriebsbeständigkeit, weil die Säuberung dadurch erleichtert werde. Für die Bewohnerzimmer werde üblicherweise auf Farben der Klasse 3 zurückgegriffen, weil diese mehrfach überstrichen werden könnten.

Tapeten: Glasfaser liegt im Trend

Auch Tapeten können mit der entsprechenden technischen Ausrüstung nicht nur optisch der Gesundheit dienen, wie die neue Kollektion "Microna" von Rasch beweist. Die überstreichbare Vlies-Tapete wurde in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut entwickelt und verhindert Schimmelbildung. Eher etwas für das Auge sind dagegen die Motivtapeten Erfurt-On Wall, die aber auch für Orientierung sorgen können, sowie die Kollektion Opulence & Opulence Giulia von Marburg, die sich vor allem für die gehobene Ausstattung von Seniorenresidenzen eignet.

"Tapeten und Farben sind vor allem wichtig für die Farbgestaltung der Räume und Flure sowie der Bewohnerzimmer", heißt es in der Altenheim-Studie. Darüber hinaus sollten Tapeten über hohe Waschbeständigkeit, Stoßfestigkeit und Schwerentflammbarkeit verfügen. Gern würden in Altenheimen überstreichbare Wandbeläge eingesetzt, wobei Glasfaser- die Raufasertapeten verdrängen. Sie ermöglichten vielfältige Dessins, seien rissüberbrückend und zählten zu den nichtbrennbaren Baustoffen. Da Glasfaser aber relativ teuer sei, werde sie die Raufaser auf absehbare Zeit nicht ganz ersetzen.

Gardinen/Sonnenschutz: Mehr als Dekoration

Gute Aussichten haben nach Einschätzung der Experten im Seniorenheim Vorhänge, Gardinen und Sonnenschutz. Sie dienten nicht nur als dekorative Elemente, sondern hätten auch eine Schutzfunktion. Die Studie betont, dass sie licht- und farbecht, maßstabil, knitterarm und schwer entflammbar sein müssten. Viele Hersteller versehen ihre Produkte auch mit einer antibakteriellen Ausrüstung wie Kadeco mit der fungizidbeschichteten Stoffqualität Aqua Tex oder MHZ mit seiner Kollektion "Erlebnisraum".

Die Auswahl an Produkten unserer Branche, die relevant für die Einrichtung von Alten- und Pflegeheimen, Krankenhäusern und Arztpraxen sind, ist groß. Einige Unternehmen haben sich rechtzeitig auf die zu erwartende Steigerung der Nachfrage eingestellt. Sie begreifen den demographischen Wandel zurecht als Chance. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass eine zunehmende Zahl älterer Menschen über immer weniger Rente verfügt. Das verstärkt den Druck auf die Budgets der Heimbetreiber, was sich widerum in der Auswahl der Einrichtungsprodukte niederschlägt.
aus BTH Heimtex 06/11 (Handel)