Sind Sie Orientteppich-Kenner?
Eine kleine Warenkunde
In unserer letzten Ausgabe hieß es wieder: Fachchinesisch für die Orientbranche. Wir haben in unserem Gewinnspiel nach zehn Fachbegriffen aus der Welt des Orientteppichs gefragt und jeweils vier Lösungsmöglichkeiten angeboten, von denen jeweils nur eine richtig war. Haben Sie alle Begriffe gewusst? Hier folgt die Auflösung.
Scheich Safi - Ahnherr einer persischen Königsdynastie
Nach dem Einfall der Mongolen gründete ihr Heerführer Hulagu, ein Enkel Dschingis-Khans, das persische Reich der Ilkhane. Sie regierten ihre Eroberungen von Ardebil (Provinz Süd-Azerbaidschan) aus. Einer ihrer letzten Nachkommen war Scheich Safi, auf den sich Shah Ismael (1501 - 1524), ein Enkel des letzten Ilkhans, als Begründer der Dynastie der auf ihn folgenden Safawiden (Seffewiden) berief. Ihr streng schiitisch ausgerichtetes Haus herrschte von 1501 bis 1722 über Persien.
Diese, teilweise zeitgleich mit der Renaissance in Europa verlaufende Ära, gilt als die kunstsinnigste Persiens. Viele Musterkonzeptionen wurden unter den Safawiden entwickelt oder weiterentwickelt und in der ornamentalen Kunst verankert, so dass diese Epoche bis heute auf die Gestaltung persischer Knüpf- und Webteppiche ausstrahlt.
In Verehrung Scheich Safis, des legendären Gründers der Safawiden-Dynastie, wurde ein prägnantes Teppichmuster Scheich Safi-Dessin getauft. Der berühmteste Teppich mit einer solchen Gestaltung ist der Holy-Carpet, auch Ardebil-Teppich genannt, der in London im Victoria und Albert-Museum ausgestellt ist.
Vlies - besonders weicher, fast samtener Teppichflor
Die Bezeichnung Vlies wird immer wieder gebraucht, um auf einen besonders weichen Teppichflor hinzuweisen. Der Ausdruck ist zwar weit verbreitet, aber dennoch nicht ganz korrekt.
Mit der aus dem Holländischen stammenden Bezeichnung Vlies benennt man das nach der Schur noch ineinander verfilzte, fast einem Fell ähnliche Wollkleid des Schafes. Ein Vlies orientalischer Schafrassen wiegt durchschnittlich 7 kg und ist in qualitativ sehr unterschiedliche Partien aufgeteilt. Im Orient wird unterschieden zwischen: Schulter-, Bauch-, Flanken-, Rücken-, Schenkel-, Nacken-, Kopf-, Lenden-, Kreuz-, Brust-, Fuß-, Schwanz- und Unterwolle, die auch als Flaumwolle bezeichnet wird. Bis zu 10 Wollqualitäten werden so aus ein und dem selben Vlies gewonnen. Alle diese Wollsorten dürfen als Schurwolle bezeichnet werden.
Des Weiteren ist Vlies auch ein textiltechnischer Ausdruck für nicht verwebte, filzartig locker zusammenhängende Fasern und -schichten anderer Materialien.
Sabol - Orientteppichprovenienz
Der Ort Sabol (Zabol) ist Hauptstadt des gleichnamigen Distrikts und liegt im äußersten Südosten Persiens an den Grenzen zu Afghanistan und Pakistan. Früher kamen hier nur die als Seistan bezeichneten Belutsch-Knüpfungen auf den Markt, vereinzelt aber auch Dessins in der Art der Saroughs und Isfahans, die man in den späten 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts dort zu knüpfen begann. Allmählich hat sich ein eigener Duktus herausgebildet, der sich jedoch nach wie vor sichtbar an seine "Paten" anlehnt.
Durch Initiativen der iranischen Regierung wird die Knüpfindustrie in diesem recht isolierten Wüstengebiet seit nunmehr gut dreißig Jahren gefördert. Das Knüpfaufkommen ist in letzter Zeit deutlicher in das Gesichtsfeld des Handels gerückt. Die Teppiche kommen auch als Sahedan (Zahedan) auf den Markt, benannt nach der benachbarten Provinz. Wegen der Abgeschiedenheit dieser Region sind die Löhne niedrig, was sich günstig auf die Preise auswirkt (siehe Werth-Index).
Namakdan - geknüpfte oder gewebte Salztasche
Namak ist das persische Wort für Salz, der Namakdan also eine Salztasche. Salz und die darin enthaltenen, anderen Mineralien sind für die Gesundheit der Tiere der viehzüchtenden Nomaden sehr wichtig, so dass es entsprechend bevorratet werden muss.
Verwunderlich scheint der schornsteinartige Aufsatz auf dem hier abgebildeten, typischen Namakdan der Ghashghai Süd-Persiens, eine Arbeit in Soumakh-Technik. Er hat jedoch seinen ganz speziellen Sinn und findet sich auch bei anderen Stämmen wieder: Durch diesen langen, von allein herunterklappenden Aufsatz, können selbst die langen Zungen der ewig auf Salz versessenen Ziegen, nicht an das kostbare "weiße Gold" gelangen. Bekanntlich sind diese schlauen Tiere wahre Kletterkünstler - ganz besonders, wenn sie Salz wittern.
Merzerisieren - Verfahren zum Bearbeiten von Baumwolle
Der Ausdruck merzerisieren (auch mercerisieren) geht auf den englischen Chemiker John Mercer (17901 - 1866) zurück. 1847 entdeckte er rein zufällig dieses heute immer noch wichtige Baumwoll-Veredlungsverfahren.
Wird Baumwollgarn oder -gewebe unter Spannung in einem 20 - 30 %igen Natronlaugebad behandelt, streckt sich die Faser. Das Resultat ist Merzerisierte Baumwolle, ein Baumwollfaden mit einem seidenartigen Glanz. Seine Färbefähigkeit verbessert sich ebenfalls. Die Zuglast steigt um circa 25 %.
Merzerisierte Baumwolle wird in Teppichen in der Türkei (Provenienzen: Kayserie, Bünyen), in indisch Kaschmir, selten in Pakistan verknüpft und soll den Anschein von Seide erwecken. Bei Nain-Unterqualitäten sind die Musterkonturen meist mit merzerisierter Baumwolle geknüpft.
Da Baumwolle weicher und durchweg kurzstapeliger ist als Schafwolle, eignet sie sich nur bedingt als Teppich-Flormaterial. Durch Belaufen und insbesondere Staubsaugen verfilzt Baumwolle relativ leicht. Im Nachhinein brechen dann die Florfäden. Abgelaufene Kahlstellen sind die baldige Folge.
Bei der im Textilkennzeichnungs-Gesetz (TKG) geforderten Auslobung der Nutzschicht (Flor) ist auf die korrekte Bezeichnung zu achten, nämlich "Baumwolle" oder "Merzerisierte Baumwolle".
Patrone - auf Papier gezeichnete Knüpfmustervorlage
Mit Patrone bezeichnet man in der Web- und Knüpfindustrie die gezeichneten Mustervorlagen. Bei Mustervorlagen für Orientteppiche, in Persien "Nagsch" genannt, werden die Knüpfknoten einzeln per Hand auf eine Art Millimeterpapier aufgetragen. Da die meisten Orientteppiche vierersymmetrisch konzipiert sind, wird nur ein Viertel als Patrone gezeichnet. Die Vorlagen sind häufig farblich neutral gehalten, damit dasselbe Muster für unterschiedliche Farbkompositionen genutzt werden kann. Für die verschiedenen Knüpfdichten kann der Musterentwerfer (Patroneur) auf karierte "Millimeterpapiere" mit unterschiedlichen Maßstäben für verschiedene Knüpfdichten zurückgreifen. Heutzutage werden im Orient auch am Computer erstellte Patronen benutzt.
(s. Abb.)
Djidjim - orientalische Handwebarbeit
Djidjims sind Handwebarbeiten, die im gesamten Orient vorkommen, auch bei Völkern, die keine Teppiche fertigen. In der Türkei werden sie Cicim genannt. Es finden sich auch die Schreibweisen Jajim und Djajim.
Da die Webstühle meist sehr schmal sind, werden mehrere fertige Webstreifen zu einer Decke zusammengenäht. Die Flächen werden dann in den Traditionsmustern der jeweiligen Stämme bestickt und verziert.
Djdjims werden vielfältig verwendet. Ähnlich den Kelims dienen sie zumeist dazu, Sack und Pack und die Haushaltsgerätschaften abzudecken.
Hatschlou - Orientteppich-Muster der Turkmenen
Im Laufe der Zeit haben sich viele falsche Bezeichnungen in die Orientteppich-Fachterminologie eingeschlichen. Eine davon ist Hatschlou, mit der man einen bestimmten Teppich der Turkmenen bezeichnet. Der korrekte, turkmenische Name für dieses Motiv lautet Enssi oder Engsi. Der Begriff Hatschlou soll aus dem Armenischen stammen und so viel wie Kreuz bedeuten, ist jedoch ohne religiöse Aussage.
Die Hatschlous zeigen immer ein Balkenkreuz, das sich über das gesamte Mittelfeld erstreckt und dieses in vier etwa gleich große Felder teilt. Meist befindet sich oben in der Mitte auch ein kleines Dreieckmuster, das an ein Mihrab erinnert. Diese Teppiche hingen einst zur Dekoration innen an den hölzernen Jurtentüren. Es wird vermutet, dass ursprünglich jeder knüpfende Turkmenen-Stamm sein eigenes, spezifisches Hatschlou-Dessin hatte.
Hatschlous werden nach wie vor von den Turkmenen Afghanistans als auch in den Flüchtlingslägern der Afghanen in Nord-Pakistan geknüpft, finden aber auch in den sogenannten Pakistan-Bucharas Verwendung. Die Originale sind immer rot- bis braungrundig. Nachknüpfungen gibt es in allen gewünschten Farben.
Turkbaff - Bezeichnung für einen Teppichknüpfknoten
Turkbaff ist die persische Bezeichnung für "Türkischer Knoten", der auch Gördesknoten oder Symmetrischer Knoten genannt wird. Im Gegensatz zum Persischen (oder Asymmetrischen Knoten) umschlingen beide Knüpffadenschenkel komplett beide Kettfäden. Wenn der Flor in Schußrichtung aufgebogen wird, um von oben in den Grund eines Knüpfteppichs zu schauen, ist erkennbar, ob der Teppich mit Turkbaff oder Sennehbaff geknüpft wurde.
Achämeniden - Gründerdynastie des persischen Reichs
Die persischen Achämeniden herrschten von 559 bis 330 vor Christus. Sie sind die Gründer des Persischen Weltreichs der Antike, das einst vom Hindukusch im Osten bis nach Ägypten im Süden und an die Gestade der Ägäis im Westen reichte. Den Namen ihrer Dynastie führten sie zurück auf Achämenes, einen legendären Ahnherren des 7. vorchristlichen Jahrhunderts.
Da ihr Ahnherr im Iran Djamschid genannt wird, lautet der persische Name für Persepolis Tachte Djamschid (Thron des Djamschid). Diese Bezeichnung existiert auch als Teppichmuster und taucht in den Koliai-Knüpfungen Kurdistans auf. Die Ruinen von Persepolis geben noch heute ein beeindruckendes Zeugnis dieser einstigen Hochkultur.
Entstanden unter Kyros dem Großen (559 - 529 v. Chr.), entfaltete das Perserreich seine Blüte unter Dareios dem Großen (522 - 485 v. Chr.), der für das riesige, heterogene Staatengebilde eine für die damalige Zeit neuartige, weit vorausschauende Verwaltung schuf, so dass es zweihundertdreißig Jahre überdauerte. Alexander der Große (356 - 323), der in der persischen Geschichtsschreibung Alexander der Zerstörer genannt wird, unterwarf das Reich der Perser in drei aufeinander folgenden Schlachten: Granikos 334, Issos 333 und Gaugamela 331 vor Christus. Dabei zerstörte er ihre immens reichen Metropolen Susa und Persepolis. Einige Wissenschaftler vertreten die These, dass im umlaufenden Fries des ältesten Knüpfteppichs der Welt, des in der Eremitage in St. Petersburg ausgestellten Pazyryk-Teppichs, die Prozession der jährlich in Persepolis wiederkehrenden Tributzahlungen der unterworfenen Völker wiedergegeben ist. Zudem finden sich die vierstrahligen Sterne des Pazyryk-Mittelfeldes in einigen Steinmetzarbeiten von Persepolis wieder.
aus
Heimtex Orient 03/01
(Teppiche)