Altersbestimmung von Orientteppichen
Neu - alt - antik
Um die Altersbestimmung von Orientteppichen wird unter Fachleuten oftmals zäh gerungen und manchmal auch erbittert gestritten. Die Entstehungszeit eines Orientteppichs zu bestimmen, ist äußerst schwer, insbesondere bei Antikware. Da das Alter von erheblich wertbestimmender Bedeutung ist, verführt die Einstufung bisweilen auch dazu, Orientteppiche älter zu machen, als sie sind.
ie Erfahrung zeigt, dass über die Einstufung alt und antik erhebliche Unsicherheiten bestehen. Einige Teppiche sind manchmal älter als angegeben, andere wiederum sind als viel zu alt ausgelobt. In Streitfällen hinzugezogene Sachverständige können dies bestätigen. Auch für sie ist eine
Alterseinstufung nicht leicht und fordert ihr gesamtes Fachwissen heraus.
Da insbesondere die für den Handel und den Export hergestellten Orientteppiche marktkonform gestaltet werden, passen sie sich dem jeweils herrschenden Zeitgeschmack an und ändern im Laufe der Jahre ihre Muster und Farbenkompositionen. Bisweilen wandelt sich sogar ihr Duktus, wie beispielsweise beim Gabbeh.
Diese Anpassungen wiederum helfen bei der Alterseinstufung. Beispiele aus jüngster Zeit sind die Loribaffs, die Benam-Dessins im Täbriz, die relativ neue Provenienz Sabol oder die Nain-Dessins aus Kaschmar und Tabas. Auch ein Kaukase der dreißiger bis vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts unterscheidet sich deutlich von Knüpfungen des 19. Jahrhunderts und der Gegenwart.
Bei einigen Manufakturteppichen treten im 20. Jahrhundert Musterveränderungen etwa im Rhythmus von Dekaden auf, beispielsweise beim Kirman. Allerdings können ältere Dessins auch später wieder aufgelegt worden sein, was bei oberflächlicher Betrachtung dann zu Fehlbestimmungen führen kann. Das zeigen derzeit die oftmals sehr gelungenen Turkmenen-, Kasak- und Baghscheich-Interpretationen aus den afghanischen Flüchtlingslägern Nordpakistans. Perfide wird es, wenn - wie in einem anderen Land des Orients geschehen - alte Kelims aufgereppelt und aus dieser Altwolle täuschend echte Antikknüpfungen gearbeitet werden. Es ist noch nicht lange her, dass die ersten imitierten "Ami-Saroughs" indischer Knüpfereien auftauchten. Um all diese Schöpfungen zu erkennen, bedarf es eines ständigen Überblicks und eines in Jahrzehnten erworbenen Sachverstandes.
Vom Zustand oder von gemilderten, also blasseren Farben auf das Alter eines Orientteppichs zu schließen, kann völlig fehlschlagen. Verschleiß, Alterung und Patina ist mit Hilfe ausgefeilter Waschbehandlungen zu erzeugen. Bei diesen Verfahren, Antikisieren genannt, werden gewisse Kunstgriffe angewandt, um einen alten bis antiken Eindruck, das Antikfinish, zu erzeugen. Gewissermaßen ein "Facelifting" im umgekehrten Sinn.
Mit Puristen lässt sich über solche Eingriffe zwar vortrefflich streiten, aber der Markt verlangt nach solchen Einrichtungsstücken, meist sehr aparte Teppiche, denn nur wenige Verbraucher sind bereit, sich ein Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte altes Stück zu leisten. Bei Möbeln ist es übrigens ebenso: Die meisten Barocksekretäre stammen nicht aus der gleichnamigen Zeit, bloß regt sich hierüber niemand auf.
Die Fachwelt bewertet das Antikisieren überwiegend positiv und betrachtet es als gute Möglichkeit, auch kleineren Geldbeuteln den Kauf alt wirkender Teppiche zu ermöglichen. Schließlich wünschen viele Verbraucher ein antikes Flair zu moderaten Preisen. Derart behandelte Teppiche dann aber als Alt- oder gar Antikknüpfungen zu verkaufen, ist schlichtweg Betrug.
Keinesfalls darf von einem ramponierten Zustand auf ein hohes Knüpfalter geschlossen werden. Abgetretene Orientteppiche sind vielmehr sehr kritisch zu sehen, bis abzulehnen. Und längst nicht jedes alte Stück ist ein Juwel, denn auch die Altvorderen knüpften bisweilen richtigen "Murks". Dass solche Teppiche heute dann nur allein auf Grund ihres Alters teurer sein sollen, ist bei distanzierter Betrachtungsweise nicht einzusehen.
Umgekehrt gibt es auch alte bis antike Orientteppiche, die so gut wie nie benutzt wurden und somit noch wie neu wirken. Selbst erfahrene Fachleute können dann unsicher werden und ein derartiges Stück als viel zu jung datieren, das heißt, den Schätzpreis zu niedrig ansetzen.
Ungefähr 95 % des aktuellen Teppichangebotes ist Ware aus den letzten 10 bis 15 Jahren. Folgende Alterseinstufungen wurden bereits 1978 vom Verband der Orientteppich-Experten in Deutschland herausgegeben und haben sich, in Anlehnung an den schnelleren Verschleiß von Textilien, mittlerweile branchenintern durchgesetzt:
Neuknüpfung: 20 Jahre alt bis heute
ältere Ware: circa 20 bis 50 Jahre alt
Altware (Semi-Antik): mindestens 50 Jahre alt
Antik: mindestens 100 Jahre alt
Heutzutage müssen wir bereits davon ausgehen, dass gut erhaltene Altware - fünfzig Jahre auf dem Buckel sind schon allerhand - recht selten ist und schon von daher zu höheren Preisen gehandelt wird.
Manchmal sind arabische Jahreszahlen in einen Teppich eingeknüpft. Doch Vorsicht, ihnen ist nicht unbedingt zu trauen, denn man kann sie manipulieren, um einen Teppich älter zu machen, als er ist.
Moslemische Jahreszahlen kann man sehr genau umrechnen: Das Jahr 1 - gewöhnlich angegeben mit AH (= Jahr nach der Hedschra) entspricht der christlichen Jahreszahl 622 (anno domini), dem Jahr, in dem der Prophet Mohammed von Mekka nach Medina floh. Diese Episode wird Hedschra genannt und ist der Beginn der islamischen Zeitrechnung.
Da im Islam aber in den kürzeren Mondjahren gezählt wird, ist im Laufe der Zeit eine Differenz zu den längeren christlichen Sonnenjahren entstanden.
Die Verschiebungen der beiden Jahreszählungen wird mit folgender Formel auf das christliche Jahr umgerechnet:
Die arabische Hedschra-Jahreszahl ist durch 33 zu teilen und das Ergebnis von der Hedschra-Zahl abzuziehen. Nun wird der geminderten Zahl wieder 622 hinzugezählt (= anno domini).
Ein Beispiel:
AH 1325 : 33 = 40.
1325 - 40 = 1285 + 622 = anno domini 1907.
aus
Heimtex Orient 03/01
(Teppiche)