Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?

Eine kleine Warenkunde

In unserer vorletzten Ausgabe hieß es wieder: Fachchinesisch für die Orientbranche. Wir haben in unserem Gewinnspiel nach zehn Fachbegriffen aus der Welt des Orientteppichs gefragt und jeweils vier Lösungsmöglichkeiten angeboten, von denen jeweils nur eine richtig war. Haben Sie alle Begriffe gewusst? Hier folgt die Auflösung.

Mihrab - Gen Mekka gerichtete Gebetsnische

In allen Moscheen und moslemischen Gebetshäusern ist die Gebetsnische nach Mekka ausgerichtet. Die Kibla genannte Richtung wird vorher genau ermittelt. Diese Nische wird auf Arabisch Mihrab genannt. Die Betenden nehmen Reihe für Reihe nebeneinander Aufstellung und wenden sich, so wie es der Koran fordert, bei ihrer Andacht immer gen Mekka, die den Moslems Heilige Stadt im heutigen Saudi-Arabien.

Im privaten Bereich benutzen viele Moslems für die zu verrichtenden Gebete einen Gebetsteppich als Unterlage. In einem solchen Teppich, der Namaslik genannt wird, ist immer eine Gebetsnische zweidimensional abgebildet, so dass der Betende seinen Teppich genau nach Mekka ausrichten kann. Um die Richtung zu finden, ist in vielen Hotels die Kibla auf der Zimmerdecke mit einem Pfeil in einer Art Windrose angegeben.

Oft werden rechts und links neben dem Mihrab Hände abgebildet. Die fünf Finger symbolisieren zum einen die Heilige Familie Mohammed, Ali, Fatima, Hossein und Hassan, sollen zugleich aber auch als magisches Zeichen den Bösen Blick von diesem sakralen Gegenstand abwehren. Der Böse Blick ist ein im Orient weit verbreiteter Aberglaube, der auf vorislamische Zeiten zurückgeht.


Palmetten - Florales Musterdetail

Palmetten sind floralartige, bis zur Abstraktion neigende Musterdetails, deren Herkunft uralt ist. Sie wirken oft ein wenig querschnittartig. Während der Kunstepoche der Safawiden (1501 bis 1722) gelangten sie zu voller Blüte. Meist erscheinen sie zusammen mit anderen Floralornamenten wie Schah-Abbas-Blüten, Arabesken und Wolkenbändern. Es wird unterschieden nach Blatt-, Fächer-, Kelch-, Kranz-, Scheiben- und Scha-Abbas-Palmetten. Wenn im Zentrum ein Tier abgebildet ist, spricht man von einer Tierpalmette. Eine Eigentümlichkeit stellen die dämonenhaften Fratzenpalmetten dar, die als Abwehr gegen den im Orient weit verbreiteten Aberglauben des Bösen Blick gedacht sind.


Hedschra - Flucht des Propheten von Mekka nach Medina und Beginn der moslemischen Zeitrechnung.

Anno Domini 622 floh der Prophet Mohammed mit einigen Getreuen von seiner Wirkungsstätte Mekka nach Medina. Diese Flucht wird Hedschra genannt und ist zugleich der Beginn der moslemischen Zeitrechnung. Man bezeichnet das moslemische Jahr in christlichen Ländern mit der moslemischen Jahreszahl und dem Zusatz 'nach Hedschra".Das islamische Mondjahr ist um circa ein Drittel kürzer als das christliche Sonnenjahr, was im Laufe der Zeit zu Verschiebungen führt. Will man eine moslemische Mondjahreszahl ins christliche Sonnenjahr umrechnen, muß man die Unterschiede zwischen beiden Zeitrechnungen berücksichtigen. Hierfür gibt es eine Umrechnungsformel, die sich am besten an einem Beispiel erläutern lässt: Die Teilung der Hedschra-Jahreszahl 1325 durch 33,33 ergibt 39,79, aufgerundet 40. Nun wird die Zahl 40 von der Jahreszahl 1325 abgezogen. Das Ergebnis ist 1285. Anschließend werden 622 Jahre hinzugezählt, so dass man das christliche Äquivalent erhält, nämlich 1907.


Talim - Arbeitsvorlage zum Teppichknüpfen

Außer bei Nomaden und Bauernteppichen, die frei nach Eingebung oder nach Vorlage eines alten Teppichs geknüpft werden, indem das Muster Knoten für Knoten auf der Rückseite ablesen wird, werden kompliziertere Teppichdessins sorgfältig und detailgetreu auf sogenannten Patronen, einer Art Millimeterpapier, maßstabsgetreu Knoten für Knoten aufgezeichnet. Die Musterdetails werden dann von dieser Knüpfvorlage abgelesen.

Die hauptsächlich in Kaschmir, Nord-Indien und in Pakistan verbreiteten Knüfvorlagen, Talims genannt, gehen noch einen Schritt weiter und abstrahieren dieses Verfahren. Beim Knüpfen nach Talims wird das Muster auf einer Musterpatrone in eine Art Spezialschrift umgeschrieben, in Zeichen, die für den Knüpfer Knoten und Farben des Musters symbolisieren.

Im indischen Teil Kaschmirs werden solche Talim-Musterschriften sogar intoniert und Knoten für Knoten vorgesungen. Wenn die Knüpfer den letzten, vom Sänger rezitierten Knoten eingetragen haben, antworten sie mit 'hou". In einer Art Sprechgesang entstehen so gleichzeitig an mehreren, nebeneinander aufgebauten Knüpfstühlen musteridentische und farbgleiche Knüpfteppiche.


Sartscharak - Teppichgröße von ca. 0,80 x 1,30 m

Der Sar ist ein altpersisches, nach Landstrichen unterschiedliches Längenmaß, das in Teheran 1,04 m, in Täbriz 1,07 m und in Kirman 1,12 m misst. 1 Sar wiederum ist unterteilt in 16 Gireh. Traditionell werden Orientteppiche nur der Länge nach in diesem alten Maß bestimmt. Die Breite des Werkstücks ergibt sich sowieso aus der festliegenden Arbeitsbreite des Knüpfstuhls. In drei Brückengrößen taucht die Silbe Sar auf: Sartscharak (Deutsch etwa: 1,25 Sar), Saronim (Deutsch: 1,5 Sar) und Dosar (Deutsch: 2 Sar). Bei einer Brückengröße wird also nur jeweils die Längsseite angegeben.


Ardebil - Iranische Knüpfteppichprovenienz

Ardebil ist der Herkunftsort und auch die Grablege der für Persien und die Teppichknüpfkunst so bedeutenden Safawiden-Dynastie (1501 bis 1722). Dieser heute eher unbedeutende Provinzort wurde berühmt durch den Ardebilteppich (Holy Carpet) aus der Moschee von Ardebil, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Auftrag der Ziegler-Company von dem Deutschen Oscar Strauß gekauft wurde.

Die traditionell gemusterten Ardebilknüpfungen sind geometrisch geprägt und stark kaukasisch beeinflusst. Sie sind jedoch sehr gut von ihren Paten zu unterscheiden; durch ihre Knüpfung, ihr Farbspiel beziehungsweise ihre eigenständigen Farbzusammenstellungen sowie auch durch ihre andersartige Florwolle, die nicht so glänzt und trockener ist als die Wolle der Kaukasier. Zudem haben die meisten Ardebils ein Baumwollgrundgewebe. Floral angelehnte Dessins kommen nur in Ausnahmefällen vor und erscheinen dann merkbar geometrisiert.


Isperek - Gelber Naturfarbstoff

Die Pflanze Delphinum Camtocarpum ist eine Art Rittersporn, die vornehmlich in Nordost-Persien, im Chorassan, wild wächst, aber auch angebaut wird. Aus den Stengeln dieser Pflanze wird ein gelber Farbstoff gewonnen, der unter anderem für die Färbung von Teppichknüpfgarnen Verwendung findet. Angereichert mit Kupfervitriol gewinnt man im Iran das Ab-e-sangär, ein Steingrün, das bisweilen in den Bordürendessins antiker und alter Feraghans anzutreffen ist. Grundsätzlich ist festzustellen, dass bei hochwertigeren Knüpfteppichqualitäten Pflanzenfarbstoffe schon seit geraumer Zeit wieder auf den Vormarsch sind.


Eslimi - Vierersymmetrisches Floralmuster mit Arabesken

Das in Persien als Eslimi bezeichnete vierersymmetrische Floralmuster ist in Europa eher als Arabesken-Dessin geläufig. Das rankenartige, meist symmetrisch angeordneten Musterdetail zeigt ein System rotierender, überschlanker Zweige. Es ist wohl das orientalischste aller Muster und entstammt ursprünglich der schon früh im Morgenland gepflegten hohen Kunst der Fayencearbeiten. Es ist zugleich das häufigste aller Floraldessin und ziert vorwiegend folgende Provenienzen: Isfahan, Nadjafabad, Nain, Mesched, Mahallat, Sabsewar, Täbriz, Teheran, Hamadan-Sharbaff, Keschan, Ghoum und Sarough.


Strich - Florneigung

Mit dem Begriff Strich bezeichnet man die Florneigung eines Teppichs, die durch den Knüpfvorgang hervorgerufen wird. Beim Knüpfen wird der Knüpfknoten nach unten angezogen, so dass die Enden, also die Florspitzen, sich zum Teppichanfang hin neigen. Je nach Knüpfung steht der Flor steiler (Beispiel: Bidjar) oder ist flacher geneigt (Beispiel: Ghoum-Seide). Aufgrund dieses Fertigungsablaufs kann man bei Orientteppichen deshalb auch von unten (Knüpfbeginn) und oben und somit auch von recht und links sprechen. Dies ist wichtig zur Beschreibung des Musters oder zur Lokalisierung von Schäden.

Die Neigung bewirkt eine Lichtbrechung, die den Teppich bei Betrachtung gegen den Florstrich dunkler und bei Betrachtung mit dem Strich heller erscheinen lässt. Dies wird ganz besonders deutlich bei Seidenknüpfungen. Der Strich birgt aber auch den Vorteil, dass durch die wie Schuppen aufeinander liegenden Florfäden weniger Schmutz in den Teppichgrund eindringen kann. Bei der Teppichpflege darf der Flor eines Orientteppichs deshalb niemals aufgestellt werden und sollte möglichst nur in Strichrichtung gesaugt werden.


Kokon - Spinnhülle der Seidenraupen; liefert abgehaspelt den Seidenfaden

Der mit bloßem Auge kaum wahrnehmbare Faden, den die Raupe aus einer am Kopf befindlichen Drüse mit kreisenden Bewegungen beim Spinnen ihres Kokons erzeugt, ist nur 15 bis 25 m fein (textiltechnisch ausgedrückt 25 bis 50 cN/tex) und kann bis zu 4.000 m lang werden, misst aber durchschnittlich etwa 1.000 m.

Ein Seidenkokon des Seidenspinners Bombyx mori besteht zu 75 % aus der Eiweißverbindung Fibroin, der eigentlichen Seidensubstanz, und zu 25 % aus Sericin, das als Seidenleim (Seidenbast) den Spinnfaden umhüllt und den Kokon verklebt, so dass seine getrocknete Hülle steif wird. Bei der Garnveredlung wird der Seidenleim entfernt. Der vollständig entbastete Faden wird Cuite-Seide, der teilweise entbastete Faden Souple-Seide und der nicht-entbastete Faden Ecrue-Seide genannt. Durch das Entbasten ergibt sich ein hoher Gewichtsverlust und damit einhergehend auch eine proportionale Verteuerung der Faser, denn 10 bis 11 kg Kokons sind erforderlich, um 1 kg entbastete Rohseide zu erhalten.

Noch vor der vollendenden Metamorphose wird die im Kokon lebende Puppe in Dampf oder Heißwasser abgetötet, da anderenfalls der Falter beim Schlüpfen seinen Kokon aufbeißen und den Faden dabei zerstören würde. Alsdann wird der Kokon abgehaspelt, wobei man um die 800 bis 1.000 m Haspelseide (Griège) erhält. Um das Rohgarn, das Bastseide genannt wird, zu filieren, greift man 8 bis 12 Einzelfäden zusammen. Nur circa 30 bis 60 % eines Kokons werden als Seide erster Qualität verwendet. Der Rest, vor allem die meist lockere, äußere Puppenhülle, auch als Strusen bezeichnet, geht als Bourett- und Schappseide in den Markt. Als Schussgarne werden 2 bis 3 weich zusammengedrehte Rohgarne eingesetzt, Trame genannt. Hartgedrehte Kettgarne heißen Organsin, sehr harte Grenadine und überdrehte Krepp.

Unglaublich staunenswert ist die Elastizität und Reißfestigkeit der zarten, und dennoch so stabilen Seidenfaser: Man hat errechnet, dass sie erst bei einer Länge von 50 km durch ihr Eigengewicht zerreißt.
aus Heimtex Orient 01/01 (Teppiche)