Interview mit Dr. Reinhold Rühl von der Berufsgenossenschaft Bauwirtschaft

"Keine Angst vor der neuen Gefahrstoffverordnung"

Die neue Gefahrstoffverordnung ist 2005 in Kraft getreten und sorgt bei Boden- und Parkettlegern immer noch für Unsicherheit. FussbodenTechnik hat Dr. Reinhold Rühl, Referent bei der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft in Frankfurt/Main, nach den wesentlichen Änderungen befragt. Der ehemalige Obmann der TRGS 610 und 617 gab Entwarnung: Der Verleger muss sich auch weiterhin nur an die bekannten GISCODES halten.

FussbodenTechnik: Herr Dr. Rühl, können Sie einmal zusammenfassen, was die wesentlichen Änderungen der Gefahrstoffverordnung sind?

Dr. Reinhold Rühl: Die wesentlichste Änderung zur alten Gefahrstoffverordnung ist, dass die Unternehmer mehr Freiheiten haben. Es ist nicht mehr so genau und im Detail vorgeschrieben, was sie machen sollen, sondern sie erhalten vielmehr Spielraum. Ein wichtiger Punkt ist auch - und das betrifft die Bodenleger - es sind unheimlich viele Grenzwerte weggefallen. Wir haben keine technisch bedingten TRK-Werte (Technische Richtkonzentrationen) mehr, die wir vor allem für Krebs erzeugende Stoffe hatten. Das hat heftige Diskussionen hervorgerufen, weil die Leute sich natürlich nach diesen Grenzwerten gerichtet haben. Viele andere Grenzwerte sind weggefallen, weil man deren Begründung gar nicht mehr nachvollziehen konnte, so dass wir statt 600 nur noch 200 bis 300 Grenzwerte haben.

FT: Was ist sonst noch neu an der Gefahrstoffverordnung?

Dr. Rühl: Es wird mehr Wert auf den Hautkontakt gelegt. Wir haben uns früher immer nur um die Belastung über den Luftweg gekümmert und diese gemessen. Dabei ist das Hauptproblem im Arbeitsschutz der Hautkontakt. Von dieser Problematik ist die Berufsgruppe der Boden- und Parkettleger allerdings ganz wenig betroffen.

FT: Was sagen Sie Handwerkern, wie sie die Gefahrstoffverordnung einhalten sollen?

Dr. Rühl: Ich sage dann, wenn Ihr nach den GISBAU-Infos bzw. dem entsprechenden GISCODE arbeitet, dann ändert sich für euch gar nichts, weil wir die neue Gefahrstoffverordnung darin umsetzen. Wenn ich bei Innungen Vorträge halte, dann wird von D1-Klebern gesprochen und von den kaum noch verwendeten S-Klebern. Das ist für mich ein Zeichen, dass der GISCODE akzeptiert wird.

FT: Welche Erkrankungen sind denn typisch für Boden- und Parkettleger?

Dr. Rühl: Es gibt z.B. Lösemittelerkrankungen, vor allem neurotoxische Erkrankungen, also Nervenerkrankungen. Neoprenkleber mit Lösemitteln werden ja vereinzelt noch eingesetzt. Wobei man aber sagen muss, das sind zwar hohe, aber doch meistens einmalige und kurze Lösemittelbelastungen. Das kann dazu führen, dass die Verarbeiter kurzzeitig benebelt sind. Eine dauernde Belastung, wie sie nötig ist, um eine Erkrankung zu erleiden, hatten wir früher schon wenig und jetzt fast gar nicht mehr. Vereinzelt haben wir auch Hauterkrankungen, was nicht verwunderlich ist. Schwarze Hände und schwarze Finger sind unter Parkettlegern ein Begriff. Da sie die Riemchen und Parkettstäbe ins Kleberbett reindrücken, kommen sie zwangsläufig mit den Fingerkuppen in den Kleber. Das gibt es u.a. bei Klebern mit Isocyanaten. Ob Isocyanatkleber wirklich ein Problem sind, prüfen wir gerade.

Grundsätzlich können Isocyanate Asthma hervorrufen, es gibt ein Isocyanat-Asthma, aber dafür muss auch was in der Luft sein. Sie können sich theoretisch auch durch eine einmalige Hautverschmutzung so ein Asthma zuziehen. Aber bisher haben Parkett- und Bodenleger solche Erkrankungen nicht.

Der Stoff, der uns am meisten Probleme bereitet, sind Epoxidharze. Wir haben viele Epoxidharz-Allergien, aber Epoxidharze benutzen die Parkett- und Bodenleger in der Regel nur als Voranstrich und dann machen sie es mit der Rolle, ohne Hautkontakt. Typische Bodenleger-Berufskrankheiten sind ganz andere: Viele haben Knieschäden, in der Regel spielen Gefahrstoffe weniger eine Rolle.

FT: Wie können sich Boden- und Parkettleger schützen?

Dr. Rühl: Bislang schreiben die Hersteller in ihren Sicherheitsdatenblättern immer Handschuhe vor. Bislang hat auch die Berufsgenossenschaft das unterstützt. Jeder weiß aber, dass diese Vorschrift in der Praxis nicht funktioniert, weil man mit dem Kleber die Handschuhe beschmutzt und damit nicht vernünftig arbeiten kann. Es gibt inzwischen auch anerkannte Wissenschaftler unter den Dermatologen, die sozusagen ein "Ja" zum Kontakt mit Chemikalien sagen. Das kann natürlich nicht für extrem ätzende Stoffe gelten, aber für Verlegewerkstoffe schon. Wer schon einmal über Stunden Handschuhe getragen hat, weiß, dass das zum Aufquellen und zu Rissen führen kann. Wir haben sogar schon Berufskrankheiten durch das Tragen von Handschuhen. Die Untersuchungen über eine Freigabe der Handschuhpflicht für Bodenleger laufen noch. Ich bin aber zuversichtlich, dass sie fällt.

FT: Wer überprüft eigentlich das Einhalten der Gefahrstoffverordnung?

Dr. Rühl: Die Verordnung ist eine staatliche Regel. Also ist eigentlich die Gewerbeaufsicht dafür zuständig. Aber auch die Berufsgenossenschaften achten auf die Einhaltung der Gefahrstoffverordnung.

FT: Führt die Berufsgenossenschaft Stichproben durch?

Dr. Rühl: Ja, sicher. Meine Kollegen gehen auf die Baustellen. Bodenbelagsarbeiten werden relativ oft überprüft in größeren Schulbauten, in Büros, wo die Kollegen von Anfang an das Werden des Gebäudes miterlebt haben. Wird also jemand bei der Verwendung eines S6-Klebers ohne Schutzmaßnahmen erwischt und hat er die Grenzwerte nicht gemessen, dann wird die Baustelle eingestellt. Nicht in erster Linie wegen der Lösemittel an sich, sondern weil Explosionsgefahr besteht. Meistens ist am nächsten Tag ein Dispersionskleber da und die Arbeiten gehen weiter. Im Wiederholungsfall drohen Bußgelder.

FT: Wie viele Leute gibt es bundesweit, die auf Baustellen kontrollieren?

Dr. Rühl: In der BG der Bauwirtschaft ungefähr 500.

FT: Mit der alten Gefahrstoffverordnung waren die Berufsgenossenschaften nicht so zufrieden. Sie hätte nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Was ist damit gemeint?

Dr. Rühl: Es gab keinen Rückgang von Unfällen und Erkrankungen. Ob das mit der neuen Gefahrstoffverordnung jetzt erreicht wird, weiß ich natürlich nicht. In der Bauwirtschaft verkünden wir überall, es verändert sich für euch durch die Verordnung gar nichts. Ich erwarte mir allerdings Veränderungen von den Herstellern. Also z.B. ein Verzicht auf gefährliche Dichlormetan-Abbeizer. Bei Epoxidharzen wollen wir, dass bei großflächigen Beschichtungen gleich die entsprechenden Handschuhe dem Produkt beigelegt werden. Oder, dass die Hersteller konkrete Handschuh-Fabrikate nennen. Wir beobachten den Trend zu Dispersionsklebstoffen, auch zu SMP-Klebern. Da der Baubereich aber ein traditioneller Handwerksbereich ist, ändern sie nichts von heute auf morgen. Aber es ändert sich etwas, wenn neue Produkte auf den Markt kommen. Und deswegen ist auch mein Job weniger auf Baustellen, sondern ich rede mit den Herstellern. Ein Beispiel ist die Werner Müller Kaltschweißtechnik, die nicht auf Lösemittel verzichten kann. Aus diesem Grund werden ausführliche Informationen in Sicherheitsdatenblättern auf der Grundlage von Messungen für den Verarbeiter bereitgestellt - so etwas unterstützen wir mit offiziellen Expositionsbeschreibungen.

FT: Wenn ich in einem Betrieb als Parkettleger arbeite und ich weiß, dass ständig gegen die Gefahrstoffverordnung verstoßen wird. Was kann ich tun?

Dr. Rühl: Sie können die Berufsgenossenschaft anrufen - auch anonym. Dafür haben wir einen so genannten Bereitschaftsdienst. Vereinzelt kriegen wir auch besorgte Anrufe von Ehefrauen. Wir hatten den Fall, da kommt ein Mann nach Hause, der ist überall rot am Körper. Daraufhin wurde die Baustelle überprüft. Es handelte sich um ein Parkdeck mit Epoxidharzverarbeitung und der betroffene Mann hatte eine massive Allergie. Die Arbeiter haben "rumgesaut", da müssen sie wirklich Handschuhe tragen - und zwar die richtigen. Sehr selten rufen auch Beschäftigte an. Wir haben eher den Fall, wenn von Ärzten die Anzeige zu Berufserkrankungen kommen, dass die Erkrankten darum bitten, den Arbeitgeber nicht zu informieren, weil sie Angst um ihren Arbeitsplatz haben. Ich hoffe, dass es jetzt wieder besser wird, weil es der Wirtschaft besser geht. Grundsätzlich hat jeder Versicherte der Berufsgenossenschaft die Möglichkeit, sich bei uns zu melden.

FT: Im Zusammenhang mit der Gefahrstoffverordnung ist immer die Rede vom Schutzstufenkonzept. Was verbirgt sich dahinter?

Dr. Rühl: Vergessen Sie alles, was Sie dazu gehört haben. Es gibt in der Verordnung so genannte Schutzstufen. Das Wort "Schutzstufenkonzept" taucht gar nicht auf. Und Dr. Klein vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, der Vater der Verordnung, hat mehrfach öffentlich verkündet, dass es ihm sehr Leid tut, dass das mit den Schutzstufen sich so verfestigt hat. Viele haben da so richtig etwas herein interpretiert. Die Schutzstufen sind sehr allgemein für alle Branchen formuliert, das kann ja gar nicht detailliert sein. Es gilt immer Satz: Arbeiten Sie nach GISCODE.

FT: Wie informiert man sich am einfachsten über GISBAU und Wingis?

Dr. Rühl: Wir haben eine CD über Wingis und mittlerweile gibt es auf www.gisbau.de auch Wingis online. Da kann man sich einfach alle Informationen runterladen. Die CD ist aber noch ausführlicher und für die Mitgliedsbetriebe kostenlos.
aus FussbodenTechnik 03/07 (Handwerk)