Interview mit Innenarchitekt Jan Wichers

"Nicht immer alles so schön im rechten Winkel"

Jan Wichers ist ein außergewöhnlicher Innenarchitekt. Nicht nur, weil er seit Gründung seines Studios für Design und Innenarchitektur vor über 30 Jahren in Hamburg überdurchschnittliche Erfolge im In- und Ausland feiert, Top-Referenzen in den Bereichen First Class-Hotels und Gastronomie sowie gehobener Verwaltungsbau und Konferenzzentren vorzuweisen hat und zudem Möbel, Wohntextilien und Lampen für namhafte Hersteller entwirft. Das Besondere an dem charmanten, eloquenten Kreativen ist sein Faible für alte Stammes- und Nomadenteppiche, die er seit nunmehr fast 40 Jahren sammelt und über die er derzeit ein Buch vorbereitet. Carpet XL sprach mit ihm über Teppiche in der Inneneinrichtung.

Carpet XL: Herr Wichers, Sie zählen zu den renommiertesten Inneneinrichtern Deutschlands. Wie würden Sie ihre grundsätzliche Handschrift beschreiben?

Jan Wichers: Vielleicht zurückhaltend modern, moderat modern, klassisch modern. Die Entwürfe von Philipp Starck sind mir beispielsweise viel zu zappelig, da bin ich wesentlich ruhiger und klarer. Ich denke, dass die Dinge langfristig ruhig sein müssen, um damit leben zu können, und nicht immer laut und schreiend - das ist es draußen sowieso.

Carpet XL: Welche Teppicharten setzen Sie bei ihrer Arbeit ein?

Jan Wichers: Wenn es um Orientteppiche geht, nur sehr spezielle. Wenn es um moderne Teppiche geht, dann lassen wir sie von entsprechenden Anbietern herstellen. Wir würden nie aus einem Katalog auswählen, denn für uns ist der richtige Farbton immer von herausragender Bedeutung.

Ein Teppich hat nicht nur einen solitären Wert, sondern er strahlt auf andere Einrichtungselemente aus, auch ein alter Teppich. Nur da bin ich eben sehr eng in dem, was ich mag und was ich nicht mag. Die beiden Kotans mit Vasen-Motiv zum Beispiel, die hier in meinem Büro liegen, die gefallen mir, weil sie zwar etwas Ornamentales haben, aber trotzdem sehr gestrafft, noch geometrisch sind. Sie kommen nicht in einem Paisleymuster daher oder fließen floral irgendwo hin. Noch viel stärker sind die alten Gabbeh, die ich sammle.

Carpet XL: Neben alten Gabbeh sammeln Sie auch noch alte Berber und Dhurry. Was reizt sie an diesen Stücken?

Jan Wichers: Was mich speziell reizt sind die irrsinnigen, unglaublichen Brücken, die sich zwischen alten Stammes- und Nomadenteppichen und modernem Design auf tun. Es gibt beispielsweise einen Rietveld-Stuhl, der die gleichen Zickzacklinien nachzeichnet wie so manch alter Gabbeh.

Ich bin immer kurz vor der Schwelle zu sagen: Das kann ich mir auch an die Wand hängen. Vielleicht kommt das noch, denn ich denke, die haben mindestens die künstlerische Ausstrahlung wie ein auf Leinwand gemaltes Kunstwerk.

Carpet XL: Das Motto dieser Teppiche könnte lauten: direkt aus der Seele auf den Teppich ...

Jan Wichers: Die Knüpfer sind nicht durch eine Kunstschule verbogen. Ihre Ideen fließen in die Teppiche ein und es gibt kein Zurück, es wird weiter gearbeitet und dann kommt etwas Wildes, Unkontrolliertes heraus. Das fasziniert mich. Das ist wie eine permanente Ermunterung, auch etwas zusammenzustellen, was nicht auf den ersten Blick wunderbar harmoniert. Warum nicht einmal eine andere Farbe dazu oder eine Schräge dagegen. Und nicht immer alles so schön im rechten Winkel, sondern einfach einmal sich gegen Normen auflehnen. Das ist Phantasie. Das ist mein Inneres. Deshalb habe ich lange, lange Stammes- und Nomadenteppiche gesammelt und bin heute sehr froh darüber - das ist für mich wie moderne Kunst.

Carpet XL: Kommt es vor, dass ihre Kunden gezielt nach einer Gestaltung mit alten Stammes- und Nomadenteppichen fragen?

Jan Wichers: Ich suche keine stärkere Präsenz damit. Ich nehme manchmal ein Stück aus meiner Sammlung und sage dem Kunden: Ich glaube, ich habe etwas Schönes für Sie. Wenn es ihm gefällt, trenne ich mich davon, weil ich weiß, dass es einen super Platz bekommt. Die Dinge sind heute zu kostbar, zu selten geworden; die besonderen Stücke mit Charakter. Natürlich gibt es wunderschön gearbeitete klassische Orientteppiche - die interessieren mich nur einfach nicht so, mich interessiert mehr dieses Wilde, Unkontrollierte. Und so habe ich sie dann gerne einmal beim Kunden liegen. Diese sind glücklich darüber weil sie so etwas noch nie gesehen haben.

Carpet XL: Arbeiten Sie mehr mit modernen oder mehr mit klassischen Teppichen?

Jan Wichers: Wir arbeiten überwiegend mit modernen Teppichen, setzen aber sehr gerne als richtigen Kontrast, als absoluten Reiz alte Teppiche in ein modernes Umfeld.

Der moderne Teppich ist immer eine Zugabe zur Innenarchitektur, die ich bestimmen kann in der Menge, in der Masse, in der Wichtigkeit, während beim Orientteppich ist es der eine, der da reinpassen muss. Der Orientteppich ist immer das wunderschöne Unikat, das immer alleine ohne Unterstützung leben muss.

Carpet XL: Übernimmt in Ihren Einrichtungen auch einmal ein moderner Teppich eine zentrale Bedeutung?

Jan Wichers: Dann muss es ein ganz außergewöhnliches Stück sein. Ich arbeite zum Beispiel gerade an einem großformatigen Teppich für den Empfangsbereich eines Wellness-Centers auf Sardinien. Der Gast soll, wenn er darüber geht, an Meer und Sandstrand erinnert werden. Geplant ist ein türkis-blauer Teppich aus Seide. Es ist beinahe egal, wie viel dieser Teppich kosten wird. Denn ich lasse dazu die Wände weiß streichen, was vergleichsweise wenig kostet und den Preis des Teppichs relativiert, der dann die Musik macht, den Charakter des Raumes bestimmt. Wichtig ist hier, eine weitere Ebene mit hinein zu bringen: nicht nur über Farbe und Muster, sondern auch über eine besondere Oberfläche Wirkung erzielen.

Carpet XL: Sie erhalten Aufträge aus dem Privat- und dem Objektbereich. Wo liegt Ihr Schwerpunkt?

Jan Wichers: Ich habe zu 80 % institutionelle Auftraggeber, 20 % sind private Auftraggeber. Der Privatauftrag erfordert mindestens 50 % mehr persönlichen Einsatz. Ein Privatkunde will alles genau besprechen, will überzeugt werden. Ich muss zum Bauherrn eine gewisse persönliche Achse aufbauen. Eine Beauftragung im Objektbereich läuft ganz anders ab. Der Bauherr sagt: Ich finde gut, was der macht, dem geben wir noch zwei, drei Dinge mit auf den Weg, dann klappt das. Und trotzdem bemühe ich mich, nicht irgendetwas Anonymes abzuliefern, sondern für den Auftraggeber das Bestmögliche.

Carpet XL: Im Eingangsbereich Ihres Studios steht eine beeindruckende Anzahl an raumhohen Regalen, randvoll gefüllt mit unzähligen Kollektionsbüchern. Wie informieren Sie sich über Neuheiten auf dem Markt?

Jan Wichers: Das ist ein ganz, ganz großes Zeitproblem und zwar deswegen, weil neben dem Thema textiler Boden unzählige andere Dinge zu berücksichtigen sind: Klimatechnik, Brandschutz, Haustechnik, Bäder, Armaturen, Heizkörper. Wir richten ja nicht nur Wohnzimmer ein, sondern gehen direkt in den Rohbau, bestimmen das ganze Gefüge mit.

Das heißt, sehr differenziert aufpassen: Auf welche Messe gehe ich? Wie viele Tage gehe ich? Frankfurt, Paris, Köln, Mailand. Wer will, kann das ganze Jahr auf Messen fahren. Steinmessen in Izmir und Verona. Naturstein ist ein ganz wichtiges Thema für uns, Hartbeläge insgesamt, weil die Alternativen zum Teppichboden zunehmend nach vorne drängeln. Wir planen gerade ein Golfhotel auf Sylt, wo die Böden überwiegend aus Holz sein werden.

Carpet XL: Auf die Holzböden müssen dann aber abgepasste Teppiche ...

Jan Wichers: ... die zunehmend ein ganz wesentlicher Teil der Einrichtung sind. In den Hotelzimmern liegt heute immer ein abgepasster Teppich. Früher war das garantiert Umsatz Teppichbodenbranche.

Carpet XL: Wünschen Sie sich manchmal, dass die Hersteller kreativer sind?

Jan Wichers: Es ist oft genug so, dass nach dem Wunsch des Innenarchitekten produziert wird und daraus Anstöße für weiterführende Kollektionen kommen. Heute wird viel stärker Rücksicht genommen auf das, was der Planer haben möchte. Ich bin sicher, dass ich mir Dinge ausdenken kann, die im ersten Moment vielleicht verwegen klingen, von denen ich aber weiß, ich werde sie realisiert bekommen. Und dann kommt noch etwas dazu: Die Welt wird immer kleiner. Das, was jemand in Neuseeland herstellt, bekommt jeder sofort zu sehen - eine große Material-Reizüberflutung.
aus Carpet Magazin 03/07 (Teppiche)