Das Ende nomadischer Gebrauchstextilien
Nomaden leben weitgehend autark. Sie erzeugen viele ihrer Gebrauchsgegenstände selber aus Materialien, die ihnen die Tiere der eigenen Herde liefern, meist Schafe und Ziegen. Ein Großteil der textilen Dinge des täglichen Bedarfs wird von den Nomaden in den verschiedensten Webtechniken gefertigt.
In unseren Breitengraden werden Textilien ohne Flor überwiegend Kelim genannt. Eigentlich sollte man aber für alle Nutztextilien, die keinen Flor haben, den Begriff Flachgewebe verwenden, da neben der sogenannten Kelimtechnik noch eine große Menge verschiedener Herstellungstechniken existieren. Neben dem Schlitzkelim gibt es den Sumakh, den Cacim (türkisch Cicim), die Suzani (Suzan heißt Nadel auf farsi) und viele weitere verschiedenartige Gewebe, bei denen oft ein flottierender Musterfaden mitgewebt ist. Broschierungen gibt es relativ selten.
Die Zahl der diversen Gebrauchstextilien im Nomadenleben ist groß. Die Bezeichnungen sind je nach Gegend und Sprache verschieden. Die Torba (in der Türkei und im Iran) oder Balesht (in Afghanistan) dient im Sommerzelt aber auch in den Wintersitzen dem Aufbewahren von Lebensmitteln sowie von Kleidern und Wäsche. Heybe oder Chordjin sind Doppeltaschen für den Transport auf Kamel und Pferd. Mit langen schmalen Bändern, die meist gemustert sind, werden die Zeltstangen befestigt. Grobe Gewebe aus Ziegenhaar dienen als Decke des Zeltes. Im trockenen Zustand lassen sie Luft durch und kühlen, bei Regen ziehen sie sich zusammen und schützen. Die Sofreh wird am Boden ausgebreitet und darauf werden die Speisen aufgetragen. Das frische Brot wird in ein Brottuch Nandan (Nan heißt Brot) eingewickelt, um es warm zu halten. Mit dem Namakdan (Namak bedeutet Salz) werden die Herden mit Salz versorgt. Kleine Taschen (Canta) dienen der Aufbewahrung von Schmuck. Mit Satteldecken in Kelimtechnik werden die Pferde bei Festen geschmückt. Größere Flachgewebe dienen als Abteilung im Zelt, werden aber auch am Boden genutzt. Die Suzani ist oft ein Brautgeschenk. Diese Aufzählung erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.
Viele dieser Dinge dienen bei der tagelangen, beschwerlichen Reise zur oder von den Sommerweiden oft über Hunderte Kilometer als Transportmittel auf Kamel, Maultier und Esel.
1981, zwei Jahre nach der Revolution im Iran, habe ich mit Wilfried Stanzer, der den Text für das Fachbuch "Kordi" schrieb, den Osten des Irans nahe der Grenze zu Turkmenistan besucht. Wir betrieben ethnologische Forschung bei den Kurden Ostpersiens und ich fungierte als Übersetzer. Die Gegenstände in den Nomadenlagern waren damals noch gänzlich textiler Struktur. Die jahrhunderte alte Tradition zu erleben, war für uns hoch interessant.
Bereits ein Jahr später wurde es üblich, die Strecken mit Lkw und Traktor zu bewältigen. Nun bediente man sich eiserner Kisten und Truhen, deren Beförderung auf Tieren schlichtweg unmöglich ist. Einzig allein die Schafe und Ziegen machen die langen Reisen noch zu Fuß. Wie lange wird es dauern, bis auch sie mit Lastkraftwagen befördert werden?
Damit ist es mit der textilen Volkskunst auf einen Schlag vorbei - sie stirbt aus. Natürlich versucht man da und dort, diese Volkskunst zu imitieren. Dabei denkt man aber nur an Verkauf und Gewinn und es ist nicht verwunderlich, dass diesen Dingen dann Herz und Flair fehlen.
(von Fritz Langauer, geschäftsführender Gesellschafter der österreichischen Oritop GmbH)
aus
Carpet Magazin 04/11
(Teppiche)