Hotelboom bietet Heimtextil-Branche gute Perspektiven
Deutschland steigt weiter in der Gunst der Reisenden - sowohl aus dem In- als auch dem Ausland. Das dokumentieren die steigenden Umsätze im Übernachtungsgewerbe. Um den Gästen für ihren Urlaub eine passende Bleibe zu bieten, werden immer mehr Hotels modernisiert, erweitert und neu gebaut. Für Anbieter von Heimtextilien, Objekteure, Raumausstatter, Maler und Innenarchitekten bietet sich jetzt die große Chance, den Boom für sich zu nutzen. Wer auf der Erfolgswelle ganz oben mit schwimmen will, dem raten Experten allerdings, sich den schnell verändernden Ansprüchen der Hotelgäste und damit der Hoteliers zu stellen.von Cornelia KüselDer Hotelboom in Deutschland hält an. Für die nächsten drei Jahre sind zwischen Ostsee und Alpen 498 Neu-, Um- und Ausbauten geplant - vor allem im 3- bis 4-Sterne-Bereich. "Werden alle Investitionsprojekte auch realisiert, drängen bis 2014 weitere 66.000 Hotelzimmer auf den deutschen Markt", teilt der Deutsche Hotelverband (IHA) in seinem Branchenreport Hotelmarkt Deutschland 2012 mit. Eine gute Nachricht für die Heimtextil-Branche. Sie wird in erheblichem Maß von den Bauaktivitäten im Beherbergungsgewerbe profitieren - vor allem dann, wenn Industrie, Planer und Handwerker auf die sich schnell verändernden Bedürfnisse der Hotelgäste eingehen. Als Stichworte nennt Stephan Gerhard, Gründer und Geschäftsführer der Treugast Solutions Group, in einem Gespräch mit BTH Heimtex Funktionalität kombiniert mit Design, demografischen Wandel, Nachhaltigkeit und die Femininisierung der Gesellschaft.
Hotels mit steigenden UmsätzenDie Investitionsfreude der Hotellerie basiert vor allem auf gestiegenen Umsätzen. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden erzielten Hotels, Hotels Garni, Gasthöfe und Pensionen 2011 einen Nettoumsatz von 18,6 Mrd. EUR und setzten damit 3,9% mehr um als im Vorjahr. Aktuell setzt sich die gute Entwicklung fort. Im März 2012 erzielte die Branche einen Umsatzzuwachs von nominal 5,5% und real 2,4% gegenüber März 2011. Zu diesem Plus hat laut Fritz G. Dreessen, Vorsitzender des IHA, allerdings nicht allein die anziehende Konjunktur beigetragen, sondern auch die Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Beherbergungsleistungen auf 7%.
Der Hotelverband rechnet für dieses Jahr erneut mit einem Anstieg von 1 bis 2% bei den Übernachtungen in Deutschland. "Trotz eines schwierigen weltwirtschaftlichen Umfelds stehen die Chancen für ein erfolgreiches Jahr 2012 gut", ist sich Dressen sicher. Gestützt wird seine Prognose auch vom Investmentmarkt für Hotels. "Trotz eines schwachen Starts im ersten Quartal gehen wir von einem guten bis sehr guten Hotelinvestmentjahr aus", sagt Thorsten Faasch, Leiter Investment bei Jones Lang LaSalle Hotels Deutschland. Beeinflusst würden die Verkäufe durch die allgemein gute Marktlage in Deutschland sowie die anhaltenden Restrukturierungen der Bankenbestände. "Das Vorjahresergebnis von rund 1 Mrd. EUR dürfte auch 2012 erreichbar sein, etwa zu einem Drittel durch Portfoliotransaktionen und zwei Drittel Einzeltransaktionen", sagt Faasch voraus. Dabei hätten die Investoren Hotelimmobilien in nahezu allen Segmenten in Kern-, aber auch Zweitmärkten auf dem Bildschirm.
Der Bodenbelagshersteller Anker spürt die anhaltende Aufwärtsbewegung auf dem Hotelmarkt deutlich. "Wir registrieren viele Neubauten größerer Häuser und bei den kleinen bis mittleren zahlreiche Renovierungsmaßnahmen, die Anlass zu positiven Erwartungen geben", meint Xenia Henschke, Key Account Managerin für Hotels bei Anker Teppichboden. Stephan Gerhard erklärt den Boom vor allem mit der kräftigen Konjunktur und der wiederentdeckten Liebe der Deutschen zum Urlaub im eigenen Land. So ziehe der Strand an der Ostsee viele Besucher an, Hamburg generiere mit seiner Hafencity steigende Nachfrage nach Übernachtungen und in Berlin werde der neue Flughafen - wenn er denn endlich fertig ist - für einen weiteren Gästeschub sorgen. "Das Reiseland Deutschland wird bei den Gästen aus dem In- und Ausland immer beliebter", betont Fritz G. Dreessen. Im Trend lägen Städte- und Wellnessreisen, aber auch der Geschäftsreiseverkehr und Tagungstourismus.
10 Mrd. EUR Investitionen geplantAuf diese positive Entwicklung reagiert die Branche trotz Überkapazitäten mit einem regelrechten Bauboom und Gesamtinvestitionen von rund 10 Mrd. EUR in den kommenden drei Jahren. "Bereits seit 2006 ist eine kontinuierliche Steigerung der Investitionstätigkeit in der deutschen Hotellerie zu beobachten", heißt es im Branchenreport.
Allerdings gab es leichte Verschiebungen bei den Kategorien. Der Schwerpunkt der Hotelplanungen lag im vergangenen Jahr zwar immer noch im 4-Sterne-Segment, doch sank der Anteil leicht von 45% im Jahr 2010 auf 44%. Dagegen stieg die Zahl der Projekte im Bereich 1- bis 3-Sterne. Ihr Anteil liegt bei 47%. Die 5-Sterne-Kategorie musste Federn lassen, ihr Anteil sank von 12 auf 9%.
Nach Beobachtungen von Stephan Gerhard spiegeln diese Zahlen wider, dass sich die Polarisierung zwischen dem Luxus- und dem unteren Segment abgeschwächt hat. Zwar werde noch in beide Bereich investiert, aber die Mittelklasse werde immer stärker. Gerhard begründet dies mit dem Investitionsstau in den traditionell privat geführten Hotels der Mittelklasse, die zunehmend von Ketten übernommen und modernisiert würden. Hier finde ein Verdrängungswettbewerb statt. Wie Markus Beike, Geschäftsführer Deutschland des Beratungsunternehmens Christie +Co. in Frankfurt mitteilt, beträgt der Anteil mittelständischer Hotels am gesamten deutschen Hotelmarkt 90%, was rund 20.000 Betrieben entspricht.
Die auf den neuesten Stand gebrachten Mittelklasse-Häuser stellen eine günstige Alternative zu den 4-Sterne-Hotels dar, hebt Stephan Gerhard hervor. Aber auch moderne Budget-Hotelketten wie Motel One und Ibis hätten die Ansprüche angehoben. Entsprechend erwarteten die Gäste heute insgesamt eine deutlich hochwertigere Einrichtung als noch vor zehn Jahren - zumal sie vielgereist seien und wüssten, was zu welchem Preis machbar sei. Die Globalisierung entfalte ihre Wirkung. "Hochwertige und strapazierfähige Materialien haben für das Design eines Hotels oberste Priorität", stellt auch Manuela Beiter, Marketingleiterin bei den Alligator Farbwerken, fest.
"Die Gäste sind eben anspruchsvoller geworden", bringt es Stephan Gerhard auf den Punkt. Das fange beim Vorhang an, der nicht nur optisch ansprechend und von haptischer Qualität, sondern auch lichtschützend sein müsse. Alle Heimtextilien sollten Allergiker-freundlich sein, Teppichböden schallschluckend, Wand und Decke geruchsabsorbierend. Multifunktionale, effiziente Materialien mit einem Mehr an Optik und Haptik würden erwartet. Das Hotel müsse immer ein bisschen besser sein als das eigene Zuhause. "Denn Hotellerie hat auch etwas mit Emotionen zu tun", meint Gerhard. Das reine Funktionszimmer habe ausgedient, die Kombination von Zusatzfunktion und Design spiele eine entscheidende Rolle.
Gäste mögen es individuellAllerdings hat nach Ansicht des Hotelexperten jeder Gast eigene Ansprüche und Vorstellungen. Individualität liegt voll im Trend. Daher werde heute nicht mehr von Ziel-, sondern von Stilgruppen gesprochen. Es gebe Hotels speziell für Homosexuelle, Häuser für Gäste mit und ohne Kinder, ökologisch einwandfreie Baumhäuser und Business-Hotels mit und ohne Schreibtisch im Zimmer. "Für jeden Anspruch ein Angebot", weiß Gerhard.
"Auch wir beobachten, dass im Hotelbau der Trend zur Individualität vorhanden ist", sagt Trui Depuydt, Leiterin Geschäftsbereich Objekt bei Parador. Gerade in Städten entstünden viele moderne, auch design-orientierte Hotels, in denen das gesamte Interieur aufeinander abgestimmt sei und eine bestimmte Zielgruppe ansprechen solle. Dabei setzen die Häuser nach Auskunft von Johnnes Schulte auf Farbe - bei Accessoires und Möbeln, auf den Wänden und auf dem Boden. "Das strikte Stildiktat ist out", betont der Geschäftsführer von Vorwerk Teppich. Der neue, lebendige Geist äußere sich durch den Einsatz kräftiger Farben, prägnanter Muster und das Nebeneinander verschiedenster Materialien.
Dabei kommt nach Ansicht von Harald Kranz, Marketingchef bei Zero-Lack, dem Foyer eine besonders große Bedeutung zu: "Das Entree ist die Visitenkarte des Hotels." Wie das Team vom Caparol Farbstudio ergänzt, gilt eine ansprechende Optik für alle Hotelbereiche. "Nur ein Raum, bei dem alle raumprägenden Faktoren stimmig zusammenwirken, ergibt ein harmonisches Bild." Vor der Gestaltung müsse überlegt werden, welche Ausstrahlung gewünscht werde.
Doch ganz gleich, ob Auffächerung nach Stilgruppen oder der Hang zur Individualität: Nachhaltigkeit darf nach Ansicht von Stephan Gerhard nicht vergessen werden. Sie sei ein ganz großes Thema, bestätigt Johannes Schulte: "Hotels werden grün. Immer mehr Hoteliers suchen nach Möglichkeiten, Ressourcen einzusparen und umweltfreundliche Materialien einzusetzen." Diese kommen auch dem Bedürfnis nach Wohngesundheit entgegen, fügt Ewald Fischer, Verkaufsleiter Haro Deutschland hinzu. Er verweist darauf, dass natürliche Materialien wie Holz auch in Gästezimmern für Allergiker eingesetzt werden können.
Demographischer Wandel ist ein MegatrendIm Kommen sind nach den Erkenntnissen von Stephan Gerhard im Zuge der Femininisierung der Gesellschaft zudem Hotels, die sich stärker auf die Bedürfnisse von Frauen ausrichten. "Der Prozess ist zwar noch im Anfang begriffen, weil Hotels stark von Geschäftsreisenden geprägt sind und im Business sind weniger Frauen", sagt er. "Doch Frauen stehen mehr und mehr im Fokus. Das bedeute mehr Design, mehr Haptik und besondere Farbgebung." Der Schlüsseltrend aber, davon ist Gerhard überzeugt, ist der demographische Wandel. "Er lässt sofort an 50plus, Over Sixty und andere seniorengerechte Angebote denken. Doch dieser Ansatz allein greift zu kurz, die Veränderung der Bevölkerungsstruktur beinhaltet noch weitere Aspekte: Kinder und Jugendliche beeinflussen immer mehr die Kaufentscheidungen der gesamten Familie." Der Experte spricht sich dafür aus, die verschiedenen Zielgruppen von Jung und Alt im Hotelbetrieb stärker zu integrieren. Für den Planer bedeute dies, schon vor dem Bau mögliche Umbauten und Umnutzungen in Betracht zu ziehen. "Bauliche Standardisierung war gestern. Die Zukunft braucht Flexibilität und Nachrüstbarkeit", ist Gerhard sicher. Die Megatrends stellt Treugast im neu strukturierten Trendgutachten Hospitality 2012/13 vor.
Corinna Kretschmar-Joehnk zu Trends in der Hotelausstattung
"Die behaglichen Erdtöne sind am gefragtesten"
Corinna Kretschmar-Joehnk führt mit ihrem Mann Peter Joehnk das auf Hoteldesign spezialisierte Innenarchitektenbüro Joi-Design in Hamburg. Sie weiß, welche Trends derzeit in der Hotellerie angesagt sind.
BTH Heimtex: Was ist derzeit angesagt bei Hotel-Einrichtungen?Corinna Kretschmar-Joehnk: Emotionalität und Haptik, Intimität/Privatheit, Unverwechselbarkeit/Individualität und Rückbesinnung. Es sind ja nicht nur kurzlebige Trends bestimmter Farben, sondern gesellschaftliche, soziale Trends, die das Design bestimmen - und die Hotels, die diese Strömungen mit ihren Designern frühzeitig erkennen und nutzen, sind besonders erfolgreich.
BTH Heimtex: Wird der Wunsch nach Individualität künftig noch größer?
Kretschmark-Joehnk: Ja, auf jeden Fall. Besonders spannend wird sein, wie die großen Hotelketten mit diesem gesellschaftlichen Trend nach persönlicher Freiheit und Individualität umgehen werden. Eine Folge ist jetzt schon unübersehbar: Die großen Konzerne bringen fast täglich neue Hotel-Marken auf den Markt, so dass man selbst als Insider kaum noch nachvollziehen kann, wer hinter welcher (Individual-)Marke steht.
BTH Heimtex: Wie gehen Inneneinrichter auf die speziellen Bedürfnisse von Frauen ein?Kretschmar-Joehnk: Bei Joi-Design arbeiten 35 Frauen und nur 5 Männer. Da setzen sich Bedürfnisse von Frauen auch in der Planung auf jeden Fall durch. Es ist offensichtlich, dass Frauen ein größeres Sicherheitsbedürfnis haben als Männer, dass Frauen keine Absacker- (Abschlepper-)Bar brauchen, dass Frauen mehr Wellness zugeneigt sind, bewusster essen, modisch sensibler sind und Designtrends kennen, sich schminken und stylen wollen und das möglichst nicht am nassen Waschbecken - und dass Frauen anspruchsvoller sind. Sie erwarten außer Funktionalität auch einen seelischen, emotionalen Mehrwert im Hotel.
BTH Heimtex: Welche Farben sind in Hotels am gefragtesten?Kretschmar-Joehnk: In der Innenarchitektur geht es etwas gemäßigter zu als in der Mode, weil die Einrichtung ja etwas länger halten soll als eine Saison. An der Hochbau-Architektur ziehen Farbtrends dagegen offensichtlich völlig unbeeindruckt vorüber. Dort baut man seit 50 Jahren in Schwarz-Weiß und in den letzten Jahren ist immer mal ein beliebiger Farbakzent dazu gekommen. Für unseren Bereich des Hoteldesigns sind es immer noch die behaglichen Erdtöne, inzwischen zunehmend kombiniert mit den eleganten Farbwelten des Rot-Violett-Bereichs. Zu beobachten ist aber auch wieder mehr Mut. Man greift auch einmal zu Orange und Grün, ohne dass es aussehen muss wie ein 70er Jahre Retro-Design.
BTH Heimtex: Welche Sterne-Kategorie ist die wichtigste?Kretschmar-Joehnk: Die Musik spielt im Moment ganz oben und noch lauter ganz unten. Aber die breite Masse der Hotels sind die 3- bis 4-Sterne-Häuser. Von der Tendenz her ist allerdings zu beobachten, dass heute 2-Sterne-Hotels mit 4-Sterne-Komfort angeboten werden oder dass die Sternekriterien von neuen Marken ignoriert werden.
aus
BTH Heimtex 06/12
(Tapeten, Wandbeschichtungen)