Helmut Becker: Schadensfall aus der Praxis

Massivdielen, Wasserlack, Abrissfugen

22 mm dicke und 130 mm breite Fichte-Hobeldielen, auf Lagerholz geschraubt, sollten eigentlich für die Ewigkeit halten. Das jedenfalls erwartete ein Bauher, der solche Dielen in seinem Dachstudio verlegen ließ. Feingeschliffen und zweimalig mit 1K-Wassersiegel behandelt, wurde der Boden mängelfrei übernommen.

Schadensbild

Doch etwa zwei Monate nach Fertigstellung, mit Beginn der Heizperiode, fielen den Bauherren unregelmäßig verlaufende Fugen im neuen Boden auf. Der hinzugezogene Sachverständige stellte fest, dass es sich hier um bis zu 10 mm breite Abrissfugen handelt. Kanten waren abgesplittert, zum Teil wurden auch Faserausrisse dokumentiert. Die Schäden waren so gravierend, dass es aufgrund der Verletzungsgefahr nicht mehr möglich war, ohne Schuhe über die Dielen zu gehen.

Dass es im Rahmen einer üblichen Nutzung des Wohnbereiches aufgrund unterschiedlicher raumklimatischer Bedingungen zu Holzfeuchteänderungen kommen kann, ist unvermeidbar. Diese Änderungen müssten aber von einem Holzfußboden entsprechend kompensiert werden, ohne dass es dabei zu Schäden oder gar Zerstörungen kommt. "Normale" Verformungen wie Schüsselungen, Wölbungen oder Fugen bringt das hygroskopische Verhalten von Holz mit sich. Allerdings sollten bei geklebtem Parkett oder Massivdielen keine Ablösungen vom Untergrund oder wie in diesem Fall bei geschraubten Massivdielen keine Absplitterungen und Ausrisse im Nut- und Federbereich entstehen.

Schadensursache

Unregelmäßig verlaufende Fugen und dazwischen fugenlos liegende Dielen deuten auf Seitenverleimung hin. Eine genauere Überprüfung der geschlossenen Längsstoßbereiche zeigte dann auch, dass die V-förmigen Einkerbungen der gefasten Kanten mit Siegellack vollgelaufen waren, was zu einer ungewollten Seitenverleimung der Dielen führte. Der Fehler lag aber nicht nur in der Anwendungstechnik, sondern auch in der Auswahl des Wasserlacks.

Schadensbehebung

Hier ist eine Komplettsanierung erforderlich. Für die abschließende Oberflächenbehandlung sollte Öl, Öl/Wachs oder ein Ölkunstharzsiegel eingesetzt werden.

Fazit

Optimal wäre es laut Gutachter gewesen, eine die Seitenverleimung minimierende Grundierung aufzutragen, bevor die Versiegelung dünn und ohne Überschuss mit einer Rolle aufgebracht wird. Dabei ist unbedingt darauf zu achten, dass sich in den keilförmigen Vertiefungen zwischen den Dielen kein Lack sammelt. Außerdem sollten zwischen den Versiegelungsgängen entsprechende Trocknungszeiten eingehalten werden. Zudem bestehe bei der Verlegung solcher Massivdielen eine besondere Aufklärungspflicht gegenüber dem Bauherren. Vor allem, wenn ökologische Wasserversiegelungen verarbeitet werden, müssten auch Hinweise zum Raumklima erfolgen, und zwar unter Berücksichtigung der derzeit geltenden Normen und Richtlinien.


Der Autor

Fußboden-Gutachter
Helmut Becker öbv Sachverständiger für das Estrich- und Parkettlegerhandwerk sowie für Bodenbeläge
Professor-Lübeck-Straße 8
36088 Hünfeld
Telefon: 06652/2309
Telefax: 06652/748778
www.gutachter-becker.de




Leserbrief von Heinz Kiefel, bei Tilo zuständig für Produktentwicklung und Qualitätsmanagement zum Gutachterbeitrag

"Unkontrollierte Rücktrocknung führt zu Fugen und Blockabrissen"

"Als Parketthersteller - und was mich betrifft Holzfachmann, Bodenleger, Werksgutachter - interessiert uns die Fachpresse im allgemeinen sehr.

Allerdings legen wir keinen großen Wert darauf, uns in der Fachpresse zu präsentieren (mal von Werbung / Marketing abgesehen). Als Techniker sind wir im Thema, am Puls der Zeit und noch weiter vorne als jeder der einschlägig bekannten Gutachter, da wir die ganze Bandbreite live erleben, auch oder besonders was die Herstellung der Produkte angeht - was Gutachtern (i.d.R. bestellte Handwerksmeister) weitgehend verborgen bleibt.

Sollten Artikel mal nicht ganz fachlich richtig sein, nehmen wir das zur Kenntnis und lassen es gut sein. Beim Artikel "Massivdielen, Wasserlack, Abrissfugen" kann ich allerdings nicht an mich halten. Gutachter sollten Ursachen herausfinden, verschiedene Ursachen gewichten können und dann zu einer ausgewogenen Beurteilung kommen. Unabhängig wie die Aufgabenstellung ist, sollte stets die Gesamtsituation mit erläutert werden und daraus die Relevanz der Aufgabenstellung oder auch der vermeintlichen Ursache gezogen werden.

Ein Fichteboden, lackiert, im Dachgeschoss, geschüsselt, extreme Fugen... - was soll da die Diskussion über Seitenverleimung? Was ist denn hier wirklich relevant?

Nadelholz kann langfristig nur sinnvoll als Fußboden dienen, wenn es gebürstet ist, die weichen Jahrringe also abgetragen werden und die harten Jahrringe die eigentliche Nutzschicht bilden. Dass dann andere Oberflächenmaterialien als Lack zu empfehlen sind, liegt auf der Hand. Die deutliche Schüsselung und die für mich extreme Fugenbildung ist eine Frage der Rücktrockung, aber auch der Trocknungsqualität. Und Trocknungsqualität heiß nicht zuerst, welche Holzfeuchte vorliegt, sondern ob die Holztrocknung fußbodentauglich durchgeführt wurde - das ist ein Thema für absolute Insider, für den Fußbodenhersteller ist das aber elementar-, dann natürlich auch die richtige Einbauholzfeuchte und nicht zuletzt Heizung, Luftfeuchte, Nutzung usw.

Bei Blockabrissen, Schüsselungen, Fugen usw. ist doch zuerst die Frage zu stellen: Woher kommt die starke Rücktrocknung? Ohne starke Rücktrocknung keine Fugen, keine Block-abrisse, keine Schüsselung. Der gezeigte Boden ist auch ohne Seitenverleimung nicht akzeptabel. Das zum Thema Relevanz. Wenn an den Gutachter die Frage gestellt wurde, ob Seitenverleimung vorliegt, dann ist er selbstverständlich an diese Fragestellung gebunden, aber ob Seitenverleimung vorliegt oder nicht ist doch für den wirklichen Schadensfall nicht relevant.

Wir erleben es manchmal, dass findige Anwälte im Vorfeld einen Schuldigen aussuchen (der den Schaden zu zahlen hat), dann die Fragestellung an das Gericht entsprechend geschickt stellen, das Gericht diese Fragestellung an den Gutachter weiterreicht, sich dieser in der Fragestellung gefangen sieht, die Gesamtsituation aus dem Auge verliert und nur auf die Fragestellung eingeht. Da versteht es sich von selbst, dass dann unsinnige Entscheidungen vom Gericht gefällt werden. Das soll nicht heißen, dass das hier der Fall ist, das ist kein Angriff auf den Gutachter, dazu kenne ich die eigentlichen Umstände nicht. Diese Erfahrungen habe ich erwähnt, weil hier wie vorgenannt Wirkung und Ursache nicht wirklich in Relation stehen. Wir als Hersteller und ich persönlich haben keinerlei Verbindung zur Bausituation, zum Produkt, zum Schadensbild, wir führen weder solche Bodendielen noch Versiegelungen, uns ist nur an einer fachliche korrekten Berichterstattung gelegen, weil wir das ParkettMagazin schätzen."
aus Parkett Magazin 03/12 (Handwerk)