Frank Rehme
Handeln in einer veränderten Gesellschaft
Es gibt neue Kundengruppen, die außerdem ein neues Kaufverhalten an den Tag legen. Vielleicht muss man deshalb Kunden nicht mehr nach ihrem Verhalten, sondern nach ihren jeweiligen Einkaufssituationen segmentieren: steht er zeitlich unter Stress oder hat er Urlaub? Außerdem werden die Menschen heute anders älter als noch vor ein paar Jahrzehnten. Darüber hinaus treten Player auf den Markt, mit denen man als etablierter Marktteilnehmer ursprünglich nie gerechnet hat. Eine vielfach bekannte Feststellung, die Frank Rehme, Innovation-Manager der Metro-Gruppe, wiederholte. Fazit - der Handel kann im 21. Jahrhundert nicht mehr mit den Rezepten von gestern arbeiten. Die ganze Branche der Lexika-Anbieter, selbst die der digitalen Enzyklopädien, ist praktisch durch Wikipedia hinweggefegt worden. Synergien werden geschlossen, die man nie für möglich gehalten hat. Beispielsweise die Postbank, die durch die Kooperation mit Shell mehrere 100 Auszahlungsstellen dazu gewonnen hat.
Entsprechend stehen dem Verbraucher jetzt ganz andere Möglichkeiten des Konsums zur Verfügung und via Twitter, Facebook und anderen sozialen Netzwerken hat er eine ganz andere Markttransparenz. "Das Reh hat nun die Flinte', so Rehme. Schlecht für den Jäger. Man muss daher im Umgang mit seinen Kunden sehr vorsichtig sein. Wie man es nicht machen sollte, zeigte die Fluggesellschaft United Airlines. Sie hatte Dank ihres ignoranten Beschwerdemanagements wegen einer zerbrochenen, sehr teuren Gitarre einen enormen Image-Verlust zu beklagen. Der geschädigte Musiker blitzte dort nämlich ziemlich ab und stellte flugs einen flotten Song ins Internet mit dem eindeutigen Titel "United breaks guitars'. Bis heute hat dieser Musikclip mehr als 12 Millionen Klicks bekommen.
Der Kunde erwartet heute beim Shopping mehr als nur das bloße Produkt. Es soll auch mit Werten hinterlegt sein. Nicht zuletzt wegen seines schlechten Images ging Schlecker pleite. Laut Rehm wird grundsätzlich keine Entscheidung rational getroffen, es sind vielmehr emotionale Gründe, die für oder gegen einen Kauf sprechen. Wer somit das limbische System im Hirn des Kunden richtig anspricht, hat gewonnen. Und in diesem Punkt habe der stationäre Handel einen klaren Vorteil gegenüber dem E-Shopping, seien es angenehme Gerüche oder andere Sinneseindrücke, die ohne den Umweg über das Großhirn einen Kaufimpuls auslösen. Der Schuss kann aber auch nach hinten losgehen, wenn man die Wirkung des limbischen Systems unterschätzt. Der erste Eindruck ist der bleibende, und wenn der negativ ist, bekommt man als Einzelhändler ein Problem: Der potenzielle Kunde schreckt zurück wie vor einer Klapperschlange und geht laufen. Rehmes Ratschlag daher: Identifiziere Deine Klapperschlange. Das kann ein übervoller Ascheimer am Eingang sein oder auch nur eine zertretene Frucht am Boden des Obststandes. Der Erfolg einer Ware hängt vom Kontext drumherum ab, der Präsentation.
Was möglich ist, wenn man den Kunden richtig anspricht, zeigte Rehme an verschiedenen Beispielen. Niemand würde für ein Kilo Kaffee 30 Euro oder mehr ausgeben, es sei denn, das Pulver befindet sich in praktischen, portionierten Alu-Kapseln. Dann schiebt man auch den Gedanken der Nachhaltigkeit schnell zur Seite. Oder Porsche: der 911er ist ein Auto, das man eigentlich nicht braucht, dennoch übt er vorzugsweise auf Männer eine große Begehrlichkeit aus. Oder Hollister: In dunklen, intensiv bedufteten Geschäften gibt es Freizeitkleidung zu vergleichsweise hohen Preisen. Dennoch gelingt es dem Unternehmen, dass Leute geduldig 30 Minuten oder länger vor dem Geschäft anstehen, bevor sie gnädig eingelassen werden. Wie man den Kunden verblüfft und schnell auf seine Seite zieht, demonstriert der Versender Zappos. Dessen Claim lautet "powered by service'. Und das beweist das Unternehmen unter anderem, wenn es einmal einen Artikel nicht liefern kann. Die Mitarbeiter der Hotline empfehlen dann nämlich einen Mitbewerber, wo der Kunde den Artikel zum günstigsten Preis bekommen kann. Den Umsatz hätte man wahrscheinlich sowieso nicht gemacht, aber so hat man mit einem Schlag die Sympathie des Kunden für alle Zeit gewonnen - wenn man nicht einen entscheidenden Fehler begeht, wie ihn United Airlines begangen hat.
aus
Haustex 08/12
(Handel)