Matthias Schranner

Verhandeln im Grenzbereich


Matthias Schranner war bis 2000 Verhandlungsführer und Ausbilder für Verhandlungsführung beim Bundesministerium des Innern. Dort war er für schwierige Verhandlungen in Situationen wie Kidnapping und Geiselnahmen in einer Spezialeinsatztruppe verantwortlich. Die dort gesammelten Erfahrungen gibt er jetzt weiter als Vorstandsvorsitzender des Negotiation Institutes und Dozent der Uni St. Gallen.

Verhandlungen, so Schranner, gibt es in allen Lebenslagen, ob beruflich oder privat. Dass es dabei interessante Übereinstimmungen und Verhaltensregeln gibt, die allgemein gültig sind, vor allem dann, wenn es schwierig wird, schilderte Schranner anschaulich. Schranner liebt nach eigenem Bekunden Verhandlungs-Sackgassen, denn dort könne man sehen, wie Verhandlungen wirklich funktionieren. Eine solche erlebte er vor einigen Jahren noch als einfacher Polizist im Streifendienst. Er erhielt einen Anruf, in dem eine Frau mitteilte, dass sich ihr Nachbar gerade vor ihren Augen erschossen habe. Als Schranner mit seinem Kollegen dort eintraf, kam ihnen ein Mann entgegen, der urplötzlich auf sie schoss und in eine Wohnung floh. Die beiden folgten ihm vorsichtig, die Waffe im Anschlag, und fanden ihn im Wohnzimmer stehend, die Pistole auf eine Frau gerichtet. Er schrie: "Raus, oder ich schieße!'

Anhand dieses Beispiels spielte Schranner verschiedene Verhaltensmaßnahmen durch. Als nicht klug erweisen sich gewiss die Gegendrohung, also zusätzlicher Druckaufbau, der Rückzug, zu schießen, der Appell an die Vernunft, die Verwendung von Humor zur Deeskalation. Also bleibt erst einmal nur, stehen zu bleiben. Nun geht es darum, geschickt in eine Verhandlung zu kommen und nicht bloß mit dem Geiselnehmer zu reden. Schließlich brauchte Schranner die Kooperation des Geiselnehmers, um die Sache zu einem guten Ende zu führen und die Geisel zu befreien. Der Vorteil Schranners: Der Geiselnehmer weiß zumindest im Unterbewusstsein, dass er auf den Polizisten angewiesen ist, um lebend aus der Sache herauszukommen. Schranner: "Eine Verhandlung hat immer zwei Elemente: es gibt einen klassischen Konflikt und es liegt eine gegenseitige Abhängigkeit vor.'

Schwenk zur Lebenswelt eines Bettenfachhändlers: Es tritt jemand ins Geschäft ein und erklärt, er habe das Bettsystem des Händlers im Internet zehn Prozent billiger gefunden. Er würde jetzt hier kaufen, wenn er die zehn Prozent Rabatt bekäme. Sobald jemand drohe, so Schranner, sei dies ein Zeichen, dass er die Gegenseite unbedingt braucht. Denn wer droht, befindet sich immer in einer schlechten Position. In einer vorteilhaften Situation ist eine Drohung schließlich nicht nötig. In solch einer Situation mit Vernunft zu kommen, etwa dem Geiselnehmer zu erklären, dass seine Handlung strafbar sei, bringt gar nichts. Folgerung: In einer Verhandlung darf man nicht auf seinem Recht bestehen, Recht haben wollen. Wer ums Recht haben verhandelt, wird scheitern, prophezeit Schranner, weil auch die Gegenseite der Meinung sein dürfte, im Recht zu sein. Besser ist es, strategisch zu verhandeln, auch nicht emotional. Emotionen bedeuten auch gerne Stress. Und für Stress hat der Mensch seit Urzeiten drei verschiedene Strategien: sich tot stellen, beziehungsweise ignorieren, fliehen oder angreifen. In der Regel gibt es Typ bedingt bei den Menschen nur eine Möglichkeit der Reaktion, entweder fliehen oder angreifen. Die Entscheidung trifft man nicht rational, sondern instinktiv. Das große Problem dabei ist, wenn man sich ärgert, was in einer Verhandlung durchaus vorkommen kann, ist man auch blockiert. Damit hat man fast schon verloren.

Übertragen auf die Rabattverhandlung, geht der Fluchttyp auf das Ansinnen ein. Um das Gesicht nicht zu verlieren, versucht er einen Kompromiss zu erreichen und schlägt einen geringeren Rabatt vor. Das ist ein klares Signal für den anderen, dass da noch mehr geht. Also, so Schranners Rat, nie einen Kompromiss vorschlagen. Kontraproduktiv wäre es auch, eine übergeordnete Instanz zur Hilfe zu rufen, etwa den Chef. Das würde die Verhandlungen zu einem so genannten Drama-Dreieck erweitern, mit der Folge, dass der Prozent-Jäger sich gegen den Chef wendet, der im Laufe der Verhandlungen auch beschädigt wird. Und der Mitarbeiter hat sein Gesicht verloren. Wie reagiert nun der Angriffstyp? In der Regel will er die Gegenseite überzeugen und redet zu viel. Dann kann es leicht passieren, dass man sich um Kopf und Kragen redet. Schranners Tip für den Angriffstyp: Einfach den Mund halten und abwarten, versuchen, den Schnäppchenjäger kommen zu lassen. Verhandeln ist ein Machtkampf. Parate Antwort wäre: "Schwierig...' oder "interessant...'. Ein Kollege Schranners sagte immer "aha'. Er erinnert sich an den Anruf eines Selbstmord-Kandidaten, der drohte, sich vom höchsten Punkt Münchens zu stürzen. Dessen kaltblütige Antwort: "Aha...' Die Kunst des Verhandelns liegt darin, sich nicht hineinziehen zu lassen und die Strategie der Gegenseite nicht anzunehmen. Im Falle des Geiselnehmers wäre also die richtige Strategie, ihn sich beruhigen zu lassen. Adrenalin wirkt nur für ein paar Minuten, dann verfliegt die Wirkung, und man kann wieder etwas klarer denken. Allerdings kommen in einer Verhandlung immer wieder neue Adrenalin-Schübe, zu verhandeln bedeutet also ein emotionales Auf und Ab.

Um gut durch eine Verhandlung zu kommen, sollte man sich am Beginn nicht auf eine Sache festlegen. Sonst hat man am Ende der Verhandlung wahrscheinlich sein Gesicht verloren. Richtige Antwort: "Schwierig.' Dann muss man so lange schweigen, bis die Gegenseite es nicht mehr aushält und ihrerseits spricht. Danach versuchen, die Forderung der Gegenseite positiv umzuformulieren, eine Drohung zu minimieren: "Schwierig, aber danke, dass Sie mir die Möglichkeit geben darüber zu reden. Schauen wir doch mal, wie wir eine gemeinschaftliche Lösung finden.' Danach ist eine klare Taktik hilfreich, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Und nicht ärgern, denn wer sich ärgert, verliert die Handlungsmacht und kann leicht manipuliert werden. Auch die Pflege von Eitelkeiten, Geltungsbedürfnis ist gefährlich. Nie Druck aufbauen oder gar drohen, denn wer droht, muss es durchziehen, oder er verliert das Gesicht.

Außerdem sollte man vermeiden, dass die Gegenseite sich in eine Sackgasse manövriert. Der Geiselnehmer hatte sich in so eine klassische Sackgasse manövriert: Entweder die Polizisten gehen raus, oder er schießt. Die Situation entschärft man fürs Erste, indem man die Gemeinsamkeit betont, schließlich können die Polizisten auch nicht so einfach das Feld räumen. Und dann versucht man erst einmal, die Sachlage zu klären. Im Falle des Geiselnehmers stellte sich heraus, dass er niemanden erschossen hatte, es handelte sich objektiv gesehen um eine Falschmeldung. Und da er gerade einen neuen Job nach langer Arbeitslosigkeit angetreten hatte, wollte er trotz des Polizeieinsatzes unbedingt am nächsten Morgen wieder zur Arbeit gehen können. Schranner bot ihm darauf hin an, ein gutes Wort beim Staatsanwalt einzulegen, dass er nicht ins Gefängnis muss, sondern erst einmal weiterarbeiten kann, wenn er jetzt die Waffe abliefert und aufgibt. Das war erfolgreich und der Geiselnehmer seiner eigenen Frau überreichte Schranner eine Schreckschusspistole.

Zusammenfassend: 1. Zu Beginn einer Verhandlung nie festlegen und erst einmal Informationen einholen. 2. Keinen Kompromiss anbieten. 3. Nie nachgeben, ohne eine Gegenleistung erhalten zu haben. 4. Drohungen minimieren und 5. versuchen, mit einer gewissen Leichtigkeit und Ziel orientiert durch eine Verhandlung gehen, nie emotional. 6. Sie sollten Verhandlungsspielraum aufbauen, indem Sie Ihre Forderungen erhöhen. 7. Am Ende braucht man ein "Zuckerl' für die Gegenseite, damit diese ihr Gesicht wahren kann. Das soll auch im Privatleben funktionieren.
aus Haustex 08/12 (Handel)