Witzig & skurril
Was unseren bekanntesten Sachverständigen so alles passiert
FussbodenTechnik arbeitete in den vergangenen 15 Jahren immer eng mit den Sachverständigen der Bodenbranche zusammen und wird dies auch in Zukunft tun. Anlässlich des Jubiläums von FussbodenTechnik fragten wir nach witzigen und skurrilen Schadensfällen. Das Ergebnis sind außergewöhnliche Fälle, wie man sie so sicherlich noch nicht gehört hat. Freuen Sie sich auf zehn Anekdoten der Sachverständigen Norbert Strehle, Heinz-Dieter Altmann. Richard A. Kille, Siegfried Heuer, Peter Schwarzmann und Joachim Barth.
Heinz-Dieter Altmann"Bringen Sie gleich einen Rasenmäher mit"
Den Sachverständigen Heinz-Dieter Altmann bringt so leicht nichts aus der Ruhe. Wenn allerdings der Roggen aus dem Estrich wächst, dann kann man schon mal die Fassung verlieren. Diesen und zwei weitere skurrille Schadensfälle schildert der Obmann des BEB-Arbeitskreises Sachverständige.
Roggen wächst im EstrichWir hatten Ende der 70er Jahre an eine Baustelle des Wohnungsbaukombinates Leipzig einen "Fließanhydrit für Estriche" geliefert. Etwa zwei Wochen danach erhielt ich einen Anruf des Oberbauleiters. Nach seinem Namen und dem Hinweis, dass er eine Reklamation hätte, ging es los: "Seit wann liefert ihr euer Bindemittel mit Getreide aus. Bei mir wächst Roggen im Estrich. Ich erwarte Sie morgen auf der Baustelle - und bringen Sie gleich einen Rasenmäher mit."
Durch konsequentes Qualitätsmanagement hatten wir damals eine sehr niedrige Reklamationsquote. Wenn es um stoffliche Probleme ging, landeten diese immer in meiner Abteilung. Also fuhr ich am nächsten Tag nach Leipzig. Dort sprossen tatsächlich in mehreren Wohnungseinheiten Getreidepflanzen im Estrich, zum Teil sogar relativ dicht. Jetzt war guter Rat teuer. Nicht wegen der Sanierung, die war problemlos durch Abbohren bzw. Herausschneiden von größeren Flächen und deren Ersatz möglich, sondern wegen der Beantwortung der Frage, wo das Getreide herkam.
Der Fall konnte gelöst werden: Das Silofahrzeug war vorher im Rostocker Hafen und hatte dorthin Getreide geliefert. Der Fahrer hatte es nicht intensiv gereinigt, so dass noch Reste des Getreides, immerhin im Zentnerbereich, im Fahrzeug verblieben waren. Bei uns wurde von da an beschlossen, dass kein Fahrzeug mehr ohne Kontrolle beladen werden durfte.
In Mexiko ist es warmEin Architekt rief mich Ende Januar an und bat um eine Begutachtung in einem hochwertigen Haus. Vor dem Gebäude informierte er mich, dass die Dame des Hauses zur besseren Gesellschaft der Stadt gehöre und durchaus "etwas schwierig bis unberechenbar" sei. Nach dieser Vorwarnung klingelten wir. Es ging nach der Begrüßung auch gleich gut los: "In diesem Haus ist geschludert worden." Keiner der Handwerker hätte Ahnung gehabt und die Bauleitung wäre katastrophal gewesen. Der Architekt wurde immer kleiner.
Vor Ort zeigte sich folgendes Bild: Im Naturwerksteinbelag hatten sich in vier Räumen Risse bis zu 3 mm Breite gebildet, die auch im Calciumsulfat-Fließestrich zu finden waren, in dem eine Warmwasser-Fußbodenheizung installiert war. Die Randfugen waren gedrückt, aber vorher frei gewesen. Am eingebauten Kamin war eine in etwa ähnliche Situation gegeben. Das konnte aber nicht die tatsächliche Schadensursache gewesen sein, denn der Schaden war erst in der fünften Heizperiode entstanden. Auf meinen Hinweis, dass sich solche Risse nur unter lautem Knall bilden, kam dann von der Dame folgender Satz: "Was denken Sie denn? Das hat geknallt, als ob jemand eine Pistole abgeschossen hätte. Wir haben im Bett gesessen, obwohl wir erst gegen 3 Uhr nachts ins Bett gekommen sind und vom Rückflug noch hundemüde waren."
Sie waren im Urlaub? "Ja, vom 28. Dezember bis zum 16. Januar waren wir in Mexiko." Damit war die Schadensursache klar: Da eine gute Hausfrau energiebewusst ist und messerscharf geschlussfolgert hatte, dass es in Mexiko warm sein würde, wurde die Heizungsanlage im deutschen Eigenheim auf Frostschutz runter geregelt. Die Außentemperaturen waren aber am Ende des Jahres über einen Zeitraum von mehr als 14 Tagen auf Werte zwischen -15 bis -22 C gesunken. Als das Ehepaar aus dem Urlaub nach Hause kam, war das Gebäude stark ausgekühlt. So wurde die Heizung per Handbetrieb voll aufgedreht.
Die sich einstellenden Vorlauftemperaturen bis zu 70 C führten innerhalb von wenigen Stunden zu derart hohen Spannungen in der Fußbodenkonstruktion, dass es zu den vorgefundenen Schäden kam. Nicht der Architekt, sondern die Hausfrau war schuld. Danach war ich nicht mehr ihr Freund, was ich aber locker wegstecken konnte, weil ich nicht zur besseren Gesellschaft der Stadt gehörte.
Das Hochwasser warsEin öffentliches Gebäude wurde umfangreich saniert. Unter anderem wurde im Saal die komplette Fußbodenkonstruktion erneuert. Dazu wurden unter dem Estrich zuerst eine Bauwerksabdichtung und anschließend eine stabile Wärmedämmung mit 100 mm Extruderschaum verlegt. Anschließend wurde im Februar 2002 ein Zementestrich in der Festigkeitsklasse ZE 30 mit einer Nenndicke von 65mm eingebaut. Damit erstens die Festigkeit und zweitens eine bessere Trocknung gesichert werden, wurde dem Estrich ein Zusatzmittel eines Markenherstellers beigefügt.
Vor Beginn der Parkettarbeiten ermittelte der Verleger eine Estrichfeuchtigkeit mit Werten zwischen 1,7 bis 1,9CM-%. Von der Bauleitung bestätigte Messprotokolle wurden vorgelegt. Ende Juni erfolgten die Parkettarbeiten. Man entschied sich für eine Hochkantlamelle, Eiche, mit einer Breite von 20 mm und einer Höhe von 18 mm. Mitte Juli wurde das schadensfrei liegende Parkett geölt. Ende August reklamierte der Bauherr eine Vielzahl von Rissen im Parkett. Der Ortstermin ergab folgende Fakten:
-Die Hochkantlamelle war mit einem Pulverklebstoff verklebt, der Haftverbund zwischen Estrich und Holz war extrem hoch.
-Die Risse im Estrich hatten Rissbreiten zwischen 1 mm bis zum Teil 4 mm, wobei der Abstand der Risse meist zwischen 80 bis 100 m lag.
-Die Risse liefen parallel zur Länge der Parkettstäbe.
-Die Restfeuchte des Estrichs lag bei 1,8 CM-%.
-Die Randstreifen hatten in der Dämmung ihre volle Breite von 10 mm, waren aber im Bereich des Zementestrichs auf etwa 2,5 mm zusammengedrückt.
Das Schadensbild ist bei Zementestrichen nicht üblich, denn durch die Schwindprozesse in einem Zementestrich ergibt sich immer etwas "Luft" zwischen Estrich und Randstreifen. Ein derartiges Erscheinungsbild weist immer auf extremen Quelldruck des Holzes hin. Also wurden die Estrichfestigkeiten im Rahmen einer Bestätigungsprüfung untersucht. Ergebnis: Es handelte sich um einen sehr guten ZE 30. Schließlich recherchierten wir die Holzfeuchten und die bauklimatischen Bedingungen.
Die Holzfeuchte ermittelte der Parkettleger beim Einbau elektronisch. Sie lag bei 9 %. Fündig wurde man bei den bauklimatischen Bedingungen: Im Gebäude war bei den Umbauarbeiten eine Klimaanlage installiert worden. Diese absolvierte ihren Funktionsnachweis vom 29. bis zum 31. Juli 2002 unter Maximallast. Bei Außentemperaturen von über 30 C wurden Innentemperaturen von 15 bis 17 C erreicht. Die relativen Luftfeuchtigkeiten lagen dabei unter 35 %.
Unter diesen Bedingungen sind noch keine Probleme aufgetreten. Diese entstanden in dem Moment, als nach dem Probelauf die Türen und Fenster geöffnet wurden und der Innenausbau weiter ging, denn zu diesem Zeitpunkt hatte die Elbe ihr Jahrhunderthochwasser. Bei Tagestemperaturen über 31 C stellten sich relative Luftfeuchten bis zu 95% ein.
Da geölte Eichenhölzer sofort auf Feuchtewechsel reagieren, stiegen die Holzfeuchten schlagartig von 9 % auf über Darre gemessene 14 % an. Der dabei entstehende Quelldruck war deutlich höher als die Estrichfestigkeit, speziell die zentrische Zugfestigkeit, die bei Zementestrichen mit dem bekannt hohen Porengehalt bei Werten von unter 1 N/mm liegt. Der Quelldruck von Eichenholz erreicht aber leicht Werte von 2,5 N/mm und mehr, wenn die Holzfeuchte von 9 auf 14 % ansteigt. Dazu kommt die Besonderheit, dass der Quelldruck gegenüber der Holzfeuchte sehr schnell ansteigt. Dieser Effekt wurde früher über Jahrhunderte zum "Sprengen ohne Sprengstoff" von Blöcken in Steinbrüchen genutzt.
Die ungünstigen bauklimatischen Bedingungen in Verbindung mit der schubfesten Verklebung der Hochkantlamelle durch einen Pulverkleber, der alle entstehenden Spannungen sofort 1:1 auf den Untergrund übertragen hat, haben zum Schadensbild geführt. Dabei waren die Estricharbeiten und die Parkettverlegung nach den Regeln des Fachs ausgeführt worden. Es ist deshalb für einen Sachverständigen zwingend erforderlich, sich die klimatischen Rahmenbedingungen genau anzuschauen, um die tatsächlichen Schadensursachen ermitteln zu können.
aus
FussbodenTechnik 06/12
(Handwerk)