Von den eigenen Wänden bis zur Stadtplanung
Reise in die Welt des New Living
Die Gesellschaft ändert sich rapide. Und mit ihr der Kunde. Wie sehen seine Bedürfnisse aus? Was kann die Fußbodenbranche daraus ableiten? Harry Gatterer, Geschäftsführer Zukunftsinstitut Wien, nahm die Teilnehmer am 5. Zukunftssymposium des GD Holz mit auf eine Reise in die Welt des New Living. "Wie wir leben und wohnen, vom persönlichen Heim bis zur Stadtplanung" lautete sein Thema.Die Digitalisierung der verschiedensten Bereiche schreitet voran. Die großen Server verbrauchen schon 2 % des weltweiten Strombedarfs und an der New Yorker Börse wird eine Aktie im Durchschnitt nur 20 Sekunden gehalten. Mode und Produkte verändern sich rasch, gesellschaftliche Faktoren und die Natur dagegen eher langsam. Das ist eine Grunderkenntnis. Wie und wo jemand lebt, wird im 21. Jahrhundert zur zentralen Frage des Menschen. Sie entscheidet über sein Einkommen, seinen Lebensstil, seine Möglichkeiten. Fast alle Ecken der Welt sind erreichbar und trotzdem fahren Verbraucher heute nicht mehr so weit zum Einkaufen. Die "grüne Wiese" als Standort verliert ihren Reiz. Selbst Ikea geht schon in die Zentren von Städten. Urbanisierung, kurze Wege zur Arbeit, Home Office, Frauenquote - das sind Megatrends, die in der Verknüpfung wirtschaftliche Auswirkungen haben.
Die Lebenserwartung bei Frauen ist auf 83 Jahre gestiegen, das Heiratsalter seit 1970 von 23 auf 31 Jahre und die Scheidungsrate von 18 % auf 49 %. Das hat großen Einfluss auf die Baubranche. Konnte man früher mit "Bauen für die Ewigkeit" werben, so hat die Zugkraft des Argumentes längst eingebüßt. Einbauschränke, lebenslang verankerte Parkettböden - das imponiert Menschen nicht, die wissen, dass die Hälfte aller Beziehungen in die Brüche geht und eine Wohnung oder ein Haus kein Dauerdomizil ist. "Individualisierung' ist das Stichwort und Menschen wollen die Freiheit der Wahl nutzen. Single-Haushalte im wirtschaftlichen Kalkül auszuschließen, ist falsch.
Werte ändern sich. Bis in die 1960er Jahre standen Fleiß, Pflicht, Familie, Frömmigkeit, Treue und Nutzen ganz oben. Bis in die 80er hatten Lust, Eros, Spaß und Materielles den Weg zur Ich-Gesellschaft gebahnt. In den 90ern dann wurde Wert gelegt auf Erfahrung, Freundschaft, Engagement, Spiritualität und Natürlichkeit. Jede Generation wird auf eigene Weise geprägt und hält daran fest. Die ältere ist mit Radio und Zeitung aufgewachsen, die nächste Generation mit dem Fernsehen und heute sozialisiert das Internet den Nachwuchs.
Die Landkarte der Zukunft ist eine digitale Karte, die sich je nach Bedarf verändert. Als Pop-up Office werden Büros kurzzeitig irgendwo installiert und wieder aufgelöst. Und selbst "Pop-up Stores gibt es schon, Geschäfte, die nur beschränkte Zeit an einem Ort sind und dann woanders aufmachen. Das hat durchaus einen Werbeeffekt. Zeit wird verknappt und macht die Sache interessant.
Zeitmanagement heute heißt: Es wird weniger geplant, Entscheidungen werden spontaner und ad hoc getroffen. Menschen befinden sich in einem permanent unfertigen Zustand, sind immer offen für Veränderungen. Raum ist weniger wichtig, denn Arbeit kann digital von jedem Ort aus erledigt werden. Trotzdem oder gerade deshalb träumen Verbraucher davon, in kleineren Strukturen zu leben. Sie bauen sich "Small World Networks" und wünschen sich das Dorf innerhalb der Stadt. Denn Wohnen verstehen sie als eine Art Heilung. Dort tanken sie Lebensenergie. Nicht immer einfach bei 25.000 einzelnen Gegenständen, die eine Familie durchschnittlich besitzt und die irgendwie zu managen sind.
Lebenspläne und Biographien der jungen Generation haben sich gewandelt. Kindheit und Jugend sind kürzer, es folgt eine lange Post-Adoleszenz-Phase, dann Beruf, Karriere und erste Familie. Neue Partnerschaften sind wahrscheinlich und mit 60 kommt ein zweiter Aufbruch, der in den Unruhestand mündet. Das sind die Kunden von morgen - und teilweise schon von heute.
aus
Parkett im Holzhandel 06/12
(Handel)