Der Einrichtungsmarkt wächst
Viel Potenzial für die deutsche Heimtextilienindustrie
Der indische Einrichtungsmarkt befindet sich in einem rasanten Wandel. Treibende Kräfte sind das hohe reale Wirtschaftswachstum, verändertes Konsumverhalten und die Bildung großer Einzelhandelsformen. Daraus ergibt sich großes Potenzial für deutsche Anbieter. Aber Vorsicht: Wer in Indien erfolgreich sein will, muss die Besonderheiten des Marktes kennen. Dr. Geert Böttger, Mit-Veranstalter der Home Fashion India Conference, gibt einen Einblick.Noch vor wenigen Jahren war Indien der Abladeplatz für 2A-Ware und wir Importeure wurden bei Messen ganz hinten in die Stände gebeten, um Postenware anzuschauen." Diese Situationsbeschreibung von Mandeep Singh Whadwa, Geschäftsführer von Seasons Furnishings, einem der profiliertesten Textilimporteure Indiens, hat heute keine Gültigkeit mehr. Die Ansprüche der Konsumenten in dem Subkontinent mit mehr als 1 Mrd. Einwohnern und 42 Mio. Einkommensmillionären sind in jüngster Zeit gestiegen. Die Artikelbeschreibung "importiert" allein ist heute kein Verkaufsargument mehr.
Gleichzeitig stagnieren die Exporte der indischen Textilindustrie nach Europa und Nordamerika, so dass diese den Fokus ihrer Aktivitäten zunehmend auf den heimischen Markt richtet. Aber auch für deutsche Anbieter hochwertiger Produkte eröffnen sich neue Chancen, ein Stück von dem gewaltigen Kuchen abzubekommen.
Der indische Mittelstand wächst schnell. Die englischen Marktforscher von Fast Future Research sehen zwischen 2009 und 2015 einen Anstieg der konsumfreudigen und einkommensstarken Mittelschicht von 6 auf 16 % der Bevölkerung und für 2025 gar auf 46 %. In absoluten Zahlen wären das 190 Mio. (2015) bzw. knapp 600 Mio. Menschen (2025), die vornehmlich in Städten wohnen und weit mehr Geld zur Verfügung haben als noch vor Jahren. Über 100 Mio. Haushalte wachsen in die konsumierende Mittelklasse hinein. Neben China entsteht hier ein zweiter riesiger Markt.
Markenbildung noch gering
Etwa 60 % der indischen Konsumenten sind unter 30 Jahre alt - und wie in Europa nach Möglichkeit ständig online. Das verstärkt die Marken- und Kommunikationsorientierung, die in jungen, sich stark entwickelnden Märkten in der Regel beobachtet wird. Im Segment der Heim- und Haustextilien ist die Markenbildung bislang allerdings vergleichsweise gering ausgeprägt. Dadurch ergeben sich auch Chancen für Unternehmen, die ihre Markt- und Onlinepräsenz pflegen, ohne globale Konsumgütermarken zu sein.
Kleine Einzelhandelsketten wie Jagdish Stores und Bharat Furnishings sind auf hochwertige Möbel- und Dekostoffe spezialisiert. Hier finden sich neben DDecor und Dicitex als indische Markenanbieter auch Jab Anstoetz, Zimmer + Rohde oder Designers Guild und Revert. "Der Markt braucht mehr Marken", sagt Rajiv Merchant, der bis vor kurzem für die Distribution der amerikanischen Einrichtungsmarke Portico verantwortlich war. Nun hat er seine eigene Gesellschaft gegründet und importiert auf eigene Rechnung ausländische Markenware in den indischen Einzelhandel.
"Der Einzelhandel mit Einrichtungsprodukten befindet sich derzeit in einer stürmischen Entwicklung", betonte Merchant unlängst auf der Home Fashion India Conference. "Formate, Produktgruppen, Marken, Eckpreislagen und Locations werden im wachsenden Markt vielfältig variiert. Vor allem aber haben sich Geschäfte herausgebildet, die Produktgruppen integrieren und ganze Einrichtungsbilder präsentieren. Das gilt sowohl für den Facheinzelhandel in den 30 größten Städten wie auch für Kaufhäuser, Cash und Carry Märkte und die Zusammensetzung von spezialisierten Fachgeschäften in den Malls."
Bei Möbel- und Dekorationsstoffen dominieren die Jagdish Stores und Bharat Furnishings als die beiden bekanntesten Ketten in den Megacities. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl lokaler Platzhirsche, die auf hochwertige Produkte spezialisiert sind. Manche dieser Häuser führen auch Teppiche. In diesem Produktsegment sind allerdings auch die Kaufhäuser und "Home Center" sehr aktiv. Auch Posamente und Befestigungssystme gibt es sowohl im spezialisierten Facheinzelhandel wie auch in Kaufhäusern und anderen Großformen des Einrichtunghandels.
Bei großen Formaten wie Home Stop oder Home Town, die zu Shoppers Stop bzw. zur Future Group gehören, erfreuen sich Shop-in-Shop-Konzept zunehmender Beliebtheit. "Wir können dem Konsumenten damit aktuellere Produkte und besser geschultes Personal in unseren Läden bieten", so Upasna Kapur, Category Managerin für Einrichtungsprodukte der Future Group, die als eines der größten Einzelhandelsunternehmen Indiens mit einer Vielzahl von Formaten im Markt ist.
Großhandel ist wichtig
Aufgrund der Größe des Landes spielen Distributeure und Großhändler eine wichtige Rolle. "Wir kennen viele ausländische Unternehmen, die sich aus dem indischen Markt wieder zurückgezogen haben, weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben. Häufig lag es daran, dass sie nur auf einen Partner gebaut haben", so Arun Roongta. Der Geschäftsführer von Conference Texzone Information Services, Veranstalter der Home Fashion India Conference, kennt die Probleme europäischer Firmen: "Es gibt viele Geschäftsmodelle in der Distribution und fast immer einen begrenzten räumlichen Radius. Es ist in Indien komplizierter als in entwickelten Märkten, den richtigen Partner zu finden."
Unvorbereitet sollten hiesige Unternehmen den Schritt nach Indien also keinesfalls wagen. Um den dortigen Markt richtig kennen zu lernen, bieten neben der jährlich stattfindenden Home Fashion India Conference vor allem Messen die Gelegenheit, Informationen zu sammeln, Kontakte zu knüpfen und mögliche Geschäftspartner besser einschätzen zu lernen.
Zwar sind die meisten indischen Fachmessen im Segment Heimtextilien Exportmessen, aber seit 2012 gibt es mit der HGH India auch eine Veranstaltung die speziell für Einkäufer aus dem einheimischen Einrichtungshandel (ohne Möbelhäuser) konzipiert ist. Höpke, Zimmer + Rohde oder Casamance zählen hier zu den Ausstellern.
7 Wachstumstreiber im indischen Einrichtungsmarkt
1.Das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen steigt jährlich um 6 bis 9 %.
2.Die arbeitsfähige Bevölkerung (15 bis 65 Jahre) wächst; zu derzeit 700 Mio. kommen 400 Mio. unter 15 Jahren hinzu.
3.Die informierte, konsumfähige Mittelschicht wächst auf prognostizierte 600 Mio. im Jahr 2025.
4.Die zunehmende Urbanisierung schwächt den Agrarsektor, der Dienstleistungssektor holt gegenüber der Industrie auf.
5.Die Durchschnittsgröße der Haushalte ist seit 2001 von 5,4 auf knapp 5 Personen gesunken, Tendenz weiter fallend.
6.Der Anteil von Großformen im Einzelhandel und Einkaufszentren wächst von derzeit unter 5 % auf über 20 % im Jahr 2021.
7.Die steigende Nachfrage nach Hotelübernachtungen zieht Renovierungen und Neubauten nach sich, die ausgestattet werden müssen.
aus
BTH Heimtex 05/13
(Handel)