Eine kleine Orient-Warenkunde

Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?

Es ist zwar schön, wenn man auf die Frage "Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?"mit "Ja" antworten kann. Doch alles kann niemand wissen. Vieles muss auch der versierte Fachmann nachschlagen. Mit unserem Ratespiel in diesem Heft möchten wir Ihnen Fachwissen auf eine unterhaltsame Weise vermitteln: Die ausführliche Auflösung der Fragen folgt gleich in der nächsten Ausgabe. Sie finden daher jetzt auch die Auflösung der Fragen aus der letzen Ausgabe.

16/16: Einstiegsqualität bei Kashmir-Seidenteppichen


Seit Jahren werden Seidenteppiche immer beliebter. Für erstaunlich günstige Preise lässt sich so Luxus ins Haus holen. Auf Seide wirken die Farben brillant, das Material schimmert im Licht, und es umschmeichelt mit seiner Weichheit bei jedem Schritt. Seidenteppiche wurden früher nur für Herrscher und hohe Persönlichkeiten in Manufakturen hergestellt. Sie gelten als Inbegriff für Kostbarkeit und Feinheit. Die Einstiegsqualität für Seidenteppiche aus dem indischen Teil von Kashmir wird als 16/16 bezeichnet.

Auf Baumwollgrund (um kostbare Seide zu sparen) wird der Flor aus Seide geknüpft und zwar so dicht oder aber in diesem Fall so locker, dass 16 Knoten auf ein Zoll längs und 16 Knoten auf ein Zoll hoch gemessen werden. Zoll ist die in Indien übliche Maßeinheit. Das entspricht einer Dichte pro Quadratzoll von 256 Knoten. Um die bei uns übliche Dichte pro Quadratmeter zu errechnen, multipliziert man mit dem Faktor 1.550. Man erhält dann 396.800 Knoten pro Quadratmeter und rundet das Ergebnis auf 400.000 auf. Das hört sich viel an, und ist im Vergleich zu reinen Wollteppichen auch eine recht hohe Knüpfdichte. Es ist damit aber die geringste Anzahl an Knoten pro Quadratmeter bei Seidenteppichen. Man erkennt sie sofort am brettigen Griff. Erst ab der Qualität 22/22 wird auch das Grundgewebe von Kette und Schuss aus Seide hergestellt.

Für den Handel ist zu beachten, dass Seidenteppiche auch in hoher Qualität empfindlich sind. Im Orient betrat man diese Kostbarkeiten mit nackten Füßen oder weichen Schuhen. Kunden sollten darauf hingewiesen werden, das vermeidet Enttäuschungen und Reklamationen.


Double-Knot: Pakistanisch für Zwei-Schuss-Ware


Double-Knot ist ein äußerst missverständlicher Begriff: Er bezeichnet die pakistanische Zweischussware. Unterschieden werden in Pakistan Teppiche in Single-Knot- und Double-Knot Technik. Bei Single-Knot Teppichen wird während des Knüpfens nach jeder Knotenreihe ein Schuss eingetragen. Man erkennt solche Stücke am weichen, lappigen Griff. Üblicherweise werden die als "Buchara" bezeichneten, also im Stile von Turkmenen geknüpften Teppiche in dieser Technik hergestellt. Alle pakistanischen Teppiche, die persische Muster als Vorlage haben, sind dagegen in Double-Knot-Technik gefertigt. Hier wird nach jeder Knotenreihe ein lockerer und ein fester Schuss eingetragen. Dadurch fassen sie sich fest und robust an.

Am einfachsten lässt sich der Unterschied zwischen Double- und Single-Knot-Teppichen von der Rückseite des Teppichs her erkennen. Bekanntlich umschlingt ein Knoten grundsätzlich zwei Kettfäden. Beim Single-Knot-Teppich sind auf der Rückseite immer beide Knotenbögen über beiden umschlungenen Kettfäden sichtbar, es gibt also nur eine durch zwei teilbare Anzahl an sichtbaren Knotenbögen. Die Kettfäden laufen "ungeschichtet", also parallel zueinander auf einer Ebene. Beim Knotenzählen bedeutet das: zwei Knotenbögen entsprechen einem Knoten. Am einfachsten lässt sich an kleinen Musterdetails oder schrägverlaufenen Linien erkennen, ob ein Teppich ungeschichtet ist.

Beim Double-Knot sind die Kettfäden geschichtet, so dass man nur einen der beiden Knotenbögen sehen kann. Der andere ist versteckt, weil der zweite Kettfaden mit Hilfe eines zusätzlichen, strafferen Schussfadens hochgezogen wurde. Ein Knotenbogen entspricht hier also auch einem Knoten.

Nicht zu verwechseln ist der pakistanische Begriff "Double-Knot" mit dem marokkanische "double" Knoten, einem Berberknoten, der mit zweifachem Faden geknüpft wird. Manchmal wird auch der normale symmetrische Knoten double-knot genannt. Eine dritte Verwechslungsmöglichkeit bietet der indische Djufti-Knoten. Dieser wird genutzt, um Zeit und Material zu sparen. Hier wird über vier Kettfäden ein normaler Knoten geknüpft.


Khaden: tibetanischer Sitz- oder Schlafteppich


Ein Khaden ist ein tibetanischer Sitz- oder Schlafteppich. Er ist um die 175 cm lang und etwa 80 cm breit, hat also ein Seitenverhältnis von 2:1. Schon an diesem Format ist er leicht zu erkennen.

Er ist mit einem speziellen Schlingenknoten in bester Hochlandwolle geknüpft, früher auf Wollgrund, heute eher auf einer Baumwollbasis. Dieser tibetische Knoten scheint ein Relikt aus archaischer Zeit zu sein, denn er kommt in der Neuzeit andernorts nicht mehr vor. Erst in den modernen Teppich-Produktionsstätten Nepals wurde diese Technik im großen Stil eingesetzt.

Es gab im alten Tibet kleine städtische Werkstätten, die für Auftraggeber aus dem Adel oder für Klöster arbeiteten. Auch in den Familien der Halbnomaden und Dorfbewohner wurde im Winter geknüpft. Wegen dieser vielen unabhängigen Produktionsstätten gibt es keine Einheitlichkeit in der Knotendichte. Insgesamt sind die Khaden jedoch eher hochflorig und grob.

Die Muster sind häufig der chinesischen Bildsprache entlehnt: Wolkenbänder, heilige buddhistische oder taoistische Symbole, Drachen oder Blumen. Es gibt Khaden mit Bordüre, die etwas an Ningxia-Teppiche erinnern, aber auch welche mit einem Endlos-Feldmuster ohne Bordüre.

Im höchstgelegenen Land der Erde saß und bettete man sich nicht gerne auf dem kalten Boden, sondern lieber auf dicken Polstern oder Podesten - belegt mit den kleinen bunten Teppichen. Die Wohnräume in alten tibetischen Häusern sehen so ein wenig nach alpenländischer Bauernstube mit gepolsterter Eckbank aus.

Nachdem in Tibet die Teppichproduktion in den 1950er Jahren zum Erliegen kam, entstand vor etwa 20 Jahren wieder eine kleine einheimische Produktion. Sie hat sich farblich und auch in der Musterung dem aktuellen Geschmack angepasst, ist aber immer noch typisch tibetisch.

Palas: Variante flachgewebter Teppiche


In der Literatur bezeichnet Palas zwei unterschiedliche Dinge. Zum einen ist damit ganz allgemein ein Flachgewebe in der einfachsten Webtechnik gemeint: Kette und Schuss sind in Leinwandbindung verwoben. Es wird darauf verwiesen, dass diese Palasgewebe überall in der Welt von Nomaden für Nutzgegenstände verwendet wurden. So wären dies die Rückseiten von Packtaschen, Einschlagtücher oder Säcke. Vielleicht kam es zu dieser verallgemeinernden Bedeutung, weil in der klassischen persischen Literatur vom Palas als dem Bodenbelag der Ärmsten berichtet wurde.

Eine andere Definition für Palas ist, dass es sich um eine geografisch und von der Erscheinung her bestimmte Art Flachgewebe handele, die aus dem Ost-Iran (Khorassan, Belutschistan und Sistan), aus dem Kaukasus (Aserbaidschan, Armenien) und auch aus den Randgebieten Anatoliens stammen soll. Dieser Typus gilt sogar als typisch für Flachgewebe der Belutschen und der Turkmenen. Auf einem Streifenkelim wird ein Teppichmuster mit Bordüren- und Innenfeld-Mustern aufgestickt, broschiert oder eingewirkt. Die Musterfäden hängen lose auf der Rückseite und bilden einen wärmenden Vlies. Wegen dieser Schmuckeinträge, die der Schussrichtung folgen, wirken die Muster fein und sind eher kleinteilig. Die Kleinteiligkeit ist auch ein wesentliches Merkmal zur Unterscheidung zu dem im West-Iran hergestellten Kelim. Dessen Muster wirken viel flächiger. Ein anderer Unterschied ist, dass Kelims auf der Vorder- und Rückseite gleich, also zweisichtig sind.
aus Carpet Magazin 03/13 (Teppiche)