Steffensmeier, Essen

Pionierarbeit für die Branche

Sebastian Kißler, Geschäftsleiter des Essener Teppichhandelsunternehmens Steffensmeier, wurde früher auf Messen für seine E-Commerce-Pläne belächelt. Heute verkauft er 95 Prozent seiner Teppiche über das Internet, und die Lagerkapazitäten können mit dem Wachstum kaum Schritt halten. Das Erfolgsrezept: Mit durchrationalisierten technischen und logistischen Abläufen den Massenmarkt bedienen. Doch auch in diesem Konzept hat der stationäre Handel weiterhin einen Platz.

Wer den Teppichhandel Steffensmeier im Essener Norden betritt, findet ein solides Geschäft mit einem gut geordneten Sortiment vor, das entsprechend der Nachfrage ausgerichtet ist: Viel moderne Ware, Shop-in-Shop-Systeme der gängigen Markenanbieter und ein kleines Spektrum handgewebter Teppiche. Nebenan komplettieren Bodenbeläge und ein eigener Handwerksservice das Angebot. Nicht zwingend würde man hier besonderes Innovationspotenzial vermuten. Doch das kreative Herz schlägt in den hinteren Räumen. Von hier aus leiten die Inhaber Siegfried Kißler und Wolfgang Keienburg, Geschäftsleiter Sebastian Kißler und E-Business-Manager Jörn Szpoper die ambitionierte Expansionsstrategie des Unternehmens.

Das Quartett hat das 1934 gegründete Essener Traditionshaus in den vergangenen Jahren zu einem führenden Online-Händler für Teppiche gemacht: Etwa 95 Prozent seiner Ware verkauft Steffensmeier mittlerweile im Internet, und der Umsatz ist steil ansteigend. Das Lager platzt aus allen Nähten: Neue Regale besetzen die letzten verfügbaren Flächen. In den Nachbarhallen stapeln sich Sisalteppiche und Flokatis in ehemaligen Büroräumen und Badezimmern. Ein neuer Anbau ist in Planung. Das derzeit erfolgreichste Produkt ist ein türkischer Shaggy, von dem 150.000 qm pro Jahr verkauft werden. Etwa 150 Online-Bestellungen bearbeitet das Unternehmen täglich. An einem guten Wintertag können es auch schon mal 1000 sein. Vom ansonsten allgegenwärtigen Lamento der Teppichbranche über schrumpfende Märkte und knauserige Kunden fehlt hier jede Spur. Und nichts erinnert an den traditionellen Teppichhandel - die Hierarchien sind flach und die Umgangsformen ungezwungen. Das Insignium dieser Start-up-Atmosphäre ist der Tischkicker im Aufenthaltsraum. Allerdings ließen sich die Technisierung der Abläufe und der damit einhergehende Kulturwandel nicht von heute auf morgen bewerkstelligen: "Die Lageristen mussten erst davon überzeugt werden, die Positionierung der Ware nicht mehr im Kopf abzuspeichern, sondern sich an Nummerncodes zu halten", sagt Sebastian Kißler lachend.

Konservative Händler mögen zwischen den Hochregalen das kulturelle Vermächtnis des Teppichs vermissen, seine traditionelle Handwerkskunst und die bedingungslose Leidenschaft für das Produkt. Doch dieser Anspruch ist eben nicht Teil der Strategie. "Unser Geschäftsmodell ist auf den Massenmarkt ausgerichtet", sagt Kißler. Noch gut erinnert sich der Juniorchef an frühere Zeiten, als er auf der Domotex für sein E-Commerce-Konzept belächelt wurde und ihm gestandene Branchengrößen entgegenhielten: "Ich brauche keinen Computer, mir genügt mein Notizbuch." Aber die Zeiten haben sich zweifellos geändert: Der Online-Handel hat eine zunehmende Akzeptanz bei den Konsumenten gefunden und sich in vielen Branchen zu einer existenzgefährdenden Konkurrenz für Fachgeschäfte entwickelt.

Um von diesem Trend nicht aus dem Markt gefegt zu werden, hat Steffensmeier bereits 2003 mit dem Online-Handel begonnen. Doch mit dem einfachen Bekenntnis zum E-Commerce ist noch nichts gewonnen, denn immerhin bestehen bereits Hunderte Online-Shops für Teppiche. Wer im virtuellen Raum bestehen will, braucht ein ausgefeiltes Konzept. Steffensmeier verkauft seine Teppiche heute zu jeweils einem Drittel über Ebay, Amazon und den eigenen Shops Global Carpet und Easy Carpet. Jeder dieser Vertriebswege ist einem fortwährenden Wandel unterworfen und erfordert eine permanente Weiterentwicklung von Technik und Präsentationsform.

Wer aber glaubt, dass der Online-Handel eine günstige Alternative zum eigenen Laden wäre, weil weder Räumlichkeiten noch Verkaufspersonal benötigt werden, ist auf dem Holzweg. Denn der Aufwand, alle Produkte abzufotografieren, zu beschreiben und Kunden zu betreuen ist zeit- und personalintensiv. Darüber hinaus nagen die Gebühren von Amazon und Ebay an den Margen. Und bei den eigenen Shops frisst alleine das Suchmaschinenmarketing einen erheblichen Teil des Umsatzes. Steffensmeier kalkuliert knapp. Die Produkte sind günstig, dafür gibt es keine Rabattschlachten. Mit nur 25 Mitarbeitern ist das Unternehmen trotzdem noch schlank aufgestellt.

Das Geschäftsmodell basiert auf einem begrenzten Sortiment mit langlaufenden und preisgünstigen Artikeln. Die Gewinne werden über große Stückzahlen erwirtschaftet. Die eigenen Shops bilden die weite Welt des Teppichs zwischen Berberware, Gabbeh und klassischem Orient ab, umfassen aber trotzdem lediglich 130 Artikel. Die meisten liegen preislich zwischen 30 und 100 Euro pro Quadratmeter. Einige wenige Teppiche kosten mehr als 200 Euro pro Quadratmeter. Als Direktimporteur kaufen die Essener ihre Ware in größeren Mengen vergleichsweise günstig, lagern sie ein und können sie binnen 24 Stunden beim Endverbraucher zustellen. Online-Händler mit einem breiteren Angebotsspektrum aber ohne größere Lagerkapazitäten müssen sich oftmals einen Teil der Produkte erst bei Großhändlern zusammensuchen oder vorher in Kommission nehmen und sind daher sowohl preislich und bei den Versandzeiten nicht konkurrenzfähig.

Der Verkauf von hochwertigen Teppichen in geringen Stückzahlen oder gar Einzelstücken lohnt sich nicht. "Dazu sind die operativen Kosten viel zu hoch", erklärt Technikchef Szpoper. "Die Masse macht es." Den Versand übernimmt UPS. "Das ist keinesfalls die günstigste Lösung, aber die zuverlässigste", erklärt Kißler. Und jeder verdiente Euro wird jetzt in die Erweiterung der Lagerkapazitäten und der logistischen Infrastruktur gesteckt.

Gelegentlich müssen die Macher selbst aufpassen, nicht von ihrem gradlinigen Weg abzukommen. Einmal wurde ein teurer Profifotograf engagiert, der die Teppiche in einem anspruchsvollen Wohnumfeld ablichtete. "Das waren fantastische Aufnahmen", erinnert sich Inhaber Siegfried Kißler. Der ungewollte Nebeneffekt: Die Rücklaufquote von ansonsten drei Prozent erhöhte sich signifikant. Offenbar leistete die attraktive Präsentation einer Produktenttäuschung Vorschub. "Das haben wir schnell wieder eingestellt", sagt Kißler. "Wir verkaufen eben kein Wohngefühl, sondern Teppiche." Und trotz dieser Pragmatik, ist Steffensmeier kein reines Logistikunternehmen geworden, sondern hat nach wie vor eine Bindung an das Produkt. So wird gerade gemeinsam mit einem Designer eine eigene Kinderteppichkollektion entworfen, denn in diesem Segment gibt es höhere Margen als anderswo. "Das ist ein Versuchsballon ohne Erfolgsgarantie", sagt Szpoper. "Diesen kreativen Freiraum nehmen wir uns, auch wenn das Tagesgeschäft vor allem von der Optimierung der Arbeitsabläufe geprägt ist." Darüber hinaus gibt es weiterhin eine eigene Steffensmeier-Kollektion.

Neben dem expansiven Online-Handel läuft das eigene stationäre Geschäft in Essen-Nord derweil nebenher weiter und zieht bisweilen sogar überregionale Kunden an, die über digitale Vertriebskanäle auf den Namen Steffensmeier aufmerksam geworden sind. Das Bedürfnis, den Teppich vor dem Kauf anzufassen, ist nach wie vor vorhanden. Und deshalb beliefert Steffensmeier bundesweit Fachgeschäfte von Mitgliedsunternehmen der Verbundgruppe Decor-Union mit Teppichen aus dem eigenen Sortiment und bewirbt diese Standorte in den eigenen Shops und auf Ebay. "Uns ist die Abbildung des kompletten Steffensmeier-Sortiments im Fachhandel wichtig", sagt Kißler. "Kunden, die von uns ins Fachgeschäft gelotst werden, sollen nicht enttäuscht, sondern begeistert werden." Im Geschäftsvolumen macht dieser Zweig zwar nur einen sehr kleinen Anteil aus. "Aber er ist dennoch wichtig", resümiert Sebastian Kißler. "Denn er ist unser Bekenntnis, dass Fachgeschäfte nach wie vor eine unverzichtbare Rolle im Markt haben."
aus Carpet Magazin 04/13 (Handel)