Alfie, New York
Gegen alle Konventionen
Wer der These zustimmt, dass die Probleme des Teppichhandels in dessen Erstarrung in Traditionen begründet liegen, sollte Aelfie besuchen. Die junge New Yorker Designerin hat es mehr zufällig in die Branche verschlagen. Und ohne nennenswerte unternehmerische Infrastruktur entwirft sie mittlerweile Kollektionen für eine große Einrichtungskette.
Der Weg in Brooklyn führt vorbei an graffiti-besprühten Industriebrachen, verlassenen Wohnzeilen, einer Zementfabrik, Lagerhäusern, chinesischen Großhändlern - hinein in den vierten Stock eines orangefarbenen Backsteinbaus, direkt in Aelfies Wohnzimmer, das gleichzeitig als Verkaufsraum dient. Dort türmen sich Teppiche aus allen denkbaren Herstellerregionen, buchstäblich zwischen Bücherregal und Kinderkrippe. Der Blick aus dem Fenster fällt auf die Skyline Manhattans. Und dennoch könnte kein Ort weiter entfernt sein von den noblen Teppichgeschäften in Midtown als dieser.
Aelfie ist Teppichdesignerin, Großhändlerin, Einzelhändlerin, Einkäuferin und Verkäuferin in einem. Sie ließ Teppiche in China fertigen, beschäftigt heute Knüpfer in Indien und Marokko und kauft Teppiche auf türkischen Basaren. Agenten vor Ort, die Kapazitäten prüfen, Preise aushandeln und über Liefertermine wachen? "Nein, ich rufe einfach in Indien Hersteller an und schicke denen meine Designs", erklärt die junge Mutter ihr Geschäftsmodell, die zwar in Bhadohi produzieren lässt, aber noch nie in Indien war. "Heute werde ich von vielen Produzenten gefragt, ob sie nicht für mich arbeiten können." Und das, obwohl die Orders noch übersichtlich sind: Gerade einmal ein- bis zweihundert Exemplare umfasst die Kollektion. Doch seit immerhin drei Jahren ist Aelfie nun im Geschäft.
So unwirklich es scheint, in dieser Gegend von New York einen Teppichhandel zu finden, so gering war auch die Wahrscheinlichkeit, dass Aelfie einmal in dieser Branche landet. Dazu bedurfte es erst des Abbruchs ihres Medizinstudiums. Mehr aus einer Laune heraus erklärt sie damals ihren schockierten Eltern bei einem Glas Wein: "Dann werde ich eben Teppichhändlerin." Immerhin gab es Verbindungen zum Produkt. Eine Bekannte der Familie ist Valerie Sharaf Justin, die ein Standardwerk über Flachgewebe geschrieben hat. Aus deren Fundus begann Aelfie mit dem Verkauf. Der Erfolg stellte sich schnell ein. Und das zwischenzeitlich begonnene Studium der Religionswissenschaften half sowohl bei der Einarbeitung in die Materie als auch bei der Ausweitung des Geschäfts: Irgendwann verkaufte sie sogar Teppiche für Professoren der angegliederten Anthropologie-Fakultät.
Und so findet sich in Aelfies zuhause heute eine breite Palette von Raritäten. Neben ihren eigenen Kreationen sind dies Teppiche aus Bulgarien und Portugal oder Webwerke der amerikanischen Navajo-Indianer. Denn ihre Kunden suchen keinen Teppich von der Stange, sondern etwas Besonderes, das trotzdem bezahlbar ist. Bisher kann die Nachfrage in Eigenregie bedient werden: Etwa fünf Termine vereinbart sie pro Woche. Doch warum nehmen die potenziellen Käufer den Weg in Brooklyns Peripherie auf sich und klopfen dort an der Tür einer Privatwohnung? "Meine Kunden kommen bewusst zu mir, weil sie den Gang in ein konventionelles Teppichgeschäft scheuen", sagt Aelfie. "Dort behagt ihnen der unterschiedliche Wissensstand zwischen Verkäufer und Käufer nicht. Bei mir erwarten sie eine offene und private Atmosphäre." Oft sind es junge Paare, bei denen zumeist die Frauen die Kaufentscheidung treffen. Und gerade die fühlen sich in einem traditionellen orientalischen Teppichgeschäft so manches Mal nicht wohl, weiß die Entrepreneurin zu berichten. Doch der Anspruch, für jeden Kunden den passenden Teppich zu finden, hielt auch für Aelfie Lerneffekte parat. So musste sie ihre Produktion in China wieder einstellen: Denn die Kunden lehnten diese Teppiche ab - nicht etwa wegen des Designs -, sondern wegen des Herkunftslandes als Diktatur, größtem Gläubiger der USA und dessen Rivale auf dem weltpolitischen Parkett, erklärt Aelfie mit Bedauern. Viele neue Kunden gewinnt sie dafür über Mund-zu-Mund-Propaganda. Doch auch namhafte Zeitschriften sind bereits auf die unkonventionelle Teppichhändlerin aufmerksam geworden. Das bekannte Stadtmagazin New York hat über sie berichtet, und auch der Cosmopolitan und die brasilianische Vogue haben bereits angeklopft.
Bisher machten selbst entworfene Linien und der Handel mit angekaufter Ware jeweils die Hälfte ihres Geschäfts aus. Doch dieses Verhältnis dürfte sich bald ändern. Aelfies Teppiche sind modern, bisweilen etwas abgedreht und vielfach durch Geometrien geprägt. "Meine Designs sind modern, aber nicht im kunsthistorischen Sinn. Sie orientieren sich an den traditionellen Herstellungsformen des Kaukasus, der Türkei, Nordafrikas und dem indianischen Amerika", sagt Aelfie. "Die Arbeit eines Designers kann aber nicht dabei enden, Vorhandenes neu zu definieren. Ich behalte die Traditionen im Kopf, wenn ich etwas Neues und Einzigartiges erschaffe, das den modernen Geschmack treffen soll." Genau das gelingt ihr offenbar: Eine landesweite Einrichtungskette für modernes Wohnen mit internationalen Zweigstellen hat Aelfie nun unter Vertrag genommen: Gerade hat sie mit einer Kopfkissen-Kollektion begonnen, und März startet sie mit Teppichen. Beide Linien werden unter dem Label Aelfie laufen. Dies könnte die Eintrittskarte in eine Welt sein, die für das eigene Apartment zu groß wird.
Aelfies Lieblingsstück ist ihr erster eigener Erwerb aus der Türkei geblieben - ein handgeknüpfter Teppich mit persischem Muster, dessen Bestandteile falsch miteinander verbunden wurden: Anstatt eines Medaillons im Zentrum zeigen beide Hälften nach außen. Dieses Stück zu behalten, hat ihr bisher Glück gebracht. Und so schaut Aelfie für sich und - ungewöhnlich genug - für die gesamte Branche zuversichtlich nach vorne. Schließlich seien wertvolle Teppiche noch nie so günstig gewesen wie heute. Genau deshalb sollte man jetzt kaufen. Das Bewusstsein für die kulturelle Bedeutung des Teppichs gehe ja nicht verloren. Ein Schlüsselerlebnis für diesen Optimismus hatte Aelfie erst im Frühjahr, als sie bei Sothebys vor dem prächtigen Sickle-Leaf-Teppich stand und die Mitarbeiter darüber klagen hörte, wie man denn für ein solches Stück bloß einen angemessenen Käufer finden solle. Einen Tag später ging der Verkauf genau dieses Teppichs als teuersten aller Zeiten in die Geschichte ein.
aus
Carpet Magazin 01/14
(Handel)