Europa Konsumbarometer 2014: Erhöhte Anschaffungsneigung
Handel 3.0
Das Europa Konsumbarometer 2014 konstatiert für zwölf europäische Märkte inklusive Deutschland eine gestiegene Anschaffungsneigung - auch im Bereich Dekoration/Möbel - und stellt fest, dass der stationäre Handel trotz großer Konkurrenz aus dem Internet nicht um seine Existenz fürchten muss. Zumindest wenn er sich auf die veränderten Bedürfnisse seiner Kunden einlässt und die Möglichkeiten moderner Informationstechnologie sinnvoll und zielgerichtet in sein Geschäftsmodell integriert.Wie ist die Stimmung unter den Verbrauchern in Deutschland, Belgien, Frankreich, Großbritannien, Italien, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Spanien, Ungarn und der Tschechischen Republik? Kaufen sie lieber online oder im Geschäft und welche Vorteile bringen die beiden Einkaufswelten dem Kunden? Diesen Fragen geht der Finanzdienstleister Commerz Finanz in seinem Europa Konsumbarometer 2014 nach.
Die grundsätzlich gute Nachricht vorweg: Die Stimmung unter den Konsumenten in den zwölf Märkten hellt sich nach den Krisenjahren weiter auf. Bewerteten die Verbraucher die konjunkturelle Situation ihres Landes 2013 im Durchschnitt noch mit 3,7 von 10 möglichen Punkten, sind es aktuell schon 4 von 10. Auch die persönliche Situation wird mit 5/10 besser bewertet als vor einem Jahr (4,8). Deutsche Verbraucher liegen bei der Einschätzung ihres Landes (6,3) und ihrer persönlichen Situation (6,1) weit über dem Durchschnitt - und damit europaweit an der Spitze.
Die verbesserte Stimmung wirkt sich insgesamt positiv auf die Konsumneigung aus. Der Anteil der Konsumenten, die sich vorstellen könnten, ihre Ausgaben 2014 zu erhöhen, ist von durchschnittlich 33 auf 40 % gestiegen. In Deutschland sind es aktuell ebenfalls 40 %; die Steigerung fällt bei einem Vorjahreswert von 24 % allerdings deutlich größer aus. Besonders hoch ist der Kaufwille übrigens in der Slowakei (77 %) und Rumänien (71 %).
Gleichzeitig sinkt die Sparneigung. Nur noch 37 % der Befragten gehen davon aus, ihre Ersparnisse in den nächsten zwölf Monaten zu erhöhen (Vorjahr: 39 %). In Deutschland ist dieser Wert von 42 auf 35 % gesunken.
Möbel und Dekoration stehen oben auf der Einkaufsliste
Summa summarum bedeutet das mehr Geld für den Konsum. Und wie in der Vergangenheit sind es vor allem die Bereiche Freizeit/Reisen (49 %) und mit einigem Abstand Elektrohaushaltsgeräte (39 %), die an der Spitze der Ausgabenliste stehen. Aus Sicht unserer Branche erfreulich: Auf den Plätzen drei und vier folgen Einrichtungs-/Renovierungsarbeiten (38 %) und Möbel (31 %).
Noch besser ist die Situation in Deutschland: Hier rangiert hinter dem Freizeitsektor der Bereich Einrichtung/Renovierung mit 49 % schon auf Platz zwei. Bei Möbeln ist die Anschaffungsneigung mit 36 % ausgeprägter als im Durchschnitt der zwölf Länder.
Stellt sich die Frage, wie und wo diese Produkte gekauft werden: klassisch beim (Fach-)Händler mit Geschäft oder lieber schnell, unabhängig von Ladenöffnungszeiten und vermeintlich billiger über das Internet? Der Kampf zwischen stationärem Einzelhandel und dem E-Commerce ist in vollem Gange. Aber einen Sieger gibt es derzeit nicht und muss es vielleicht auch gar nicht geben. Denn auch wenn die Wachstumsraten im Onlinehandel zum Teil schwindelerregende Dimensionen annehmen - der Fachhandel hat seine Existenzberechtigung nicht verloren und wird, je nach Produkt, vom Verbraucher sogar explizit bevorzugt. Selbst bei Unterhaltungselektronik nutzen knapp 70 % den stationären Handel für ihren Einkauf. Und insgesamt wollen 43 % auch in Zukunft nur in Geschäften einkaufen.
Die Befürchtungen der Vergangenheit, dass die Ladenlokale zu reinen Warenlagern verkommen oder allenfalls als Showroom für das Internetgeschäft genutzt werden könnten, haben sich bislang als falsch erwiesen. Auch den Beratungsklau - also im Laden informieren und dann billig im Netz kaufen - gibt es nur in moderatem Umfang. Für die Warengruppe Dekoration/Möbel hat Commerz Finanz lediglich bei 9 % der Käufer ein derartiges Verhalten ermittelt, sowohl in Deutschland als auch im Durchschnitt aller Staaten.
Multichannel ist das Gebot der Stunde
So geht es zwischen Online- und stationärem Handel aktuell nicht unbedingt gegen-, sondern immer häufiger miteinander. Von den entsprechenden Multichannel-Konzepten profitieren alle Vertriebskanäle, die in der Wahrnehmung des Verbrauchers ohnehin zunehmend verschmelzen. "Der Kunde, der mit dem Smartphone bereits ,online im Laden’ steht, akzeptiert in Zukunft keine Unterscheidung zwischen den Kanälen eines Anbieters. Er erwartet den Flagshipstore im Netz und darin die größte Auswahl, sodass er seinen stationären Kauf dort vorbereiten oder umgekehrt nach seinem Ladenbesuch zu Hause im Online-Shop abschließen kann", wird Prof. Dr. Gerrit Heinemann, Leiter des eWeb-Research-Center der Hochschule Niederrhein, in der Studie zitiert.
Das bedeutet allerdings auch, dass man als stationärer Händler auf die Dauer (und je nach Produkt) nur mit einem eigenen Online-Shop erfolgreich sein kann.
Noch spielen die Webshops des Fachhandels für das Segment Dekoration/Möbel eine wichtige Rolle. Befragt nach der Art der Webseite, auf der sie ihren letzten Kauf aus dieser Warengruppe getätigt haben, antworteten 31 % mit Fachhändler. Seiten von Herstellern (24 %), Gebrauchtverkauf (22 %) und Gruppen-/Privatverkauf (18 %) liegen noch dahinter. Aber je nach Land gewinnen vor allem die letzten beiden Beschaffungswege zunehmend an Bedeutung.
M-Commerce auf dem Vormarsch
Mit Angeboten wie eBay und reBuy hat der Verkauf gebrauchter Ware im Internet eine professionelle Plattform bekommen. Gruppen- und Privatverkauf sind neue Einkaufsformen, die es bislang nicht gegeben hat. Gruppenkäufe, die leicht über das Internet koordiniert werden können, führen zu größeren Abnahmemengen und niedrigeren Preisen. Und die von der Studie als Privatverkäufe bezeichneten Modelle meinen Einkaufsclubs wie Zalando Lounge oder Vente-Privée, die ihren Kunden mittels Clubmitgliedschaften und limitierter Stückzahl eine gewissen Grad von Exklusivität versprechen.
Möglich machen all dies das Internet und die inzwischen vielfältigen Zugriffsmöglichkeiten auf das Netz. PC, Laptop, Tablet oder Smartphone - mindestens eines dieser Geräte findet sich wohl in jedem Haushalt. Mit ihnen lassen sich jederzeit und mittels der mobilen Geräte auch von praktisch überall Informationen zu Produkten beschaffen, Preise vergleichen, Rabattgutscheine suchen oder Bewertungen von Waren oder Anbietern recherchieren.
Gekauft wird online zwar noch primär von Zuhause aus, vermutlich weil es aufgrund der größeren Bildschirme am PC einfach komfortabler ist. Aber der M-Commerce (Mobiler Handel) ist auf dem Vormarsch und hat 2012 etwa in Deutschland seinen Anteil am gesamten E-Commerce auf 3,5 % mehr als verdoppelt.
Kunden suchen das Einkaufserlebnis und persönliche Beratung
Ein Grund, warum die Einkaufsstraßen in den Innenstädten aber immer noch voll sind, ist der Wunsch der Verbraucher, bestimmte Produkte in natura anzuschauen, anzufassen und auszuprobieren. Auf die Frage, warum sie den letzten Kauf von Dekorationsprodukten/Möbeln nicht im Internet getätigt haben, gaben 75 % der Befragten eben dies zur Begründung an.
Außerdem schätzen die Konsumenten den Verkäufer als Mittler zwischen ihnen und dem Produkt. Fachkenntnisse und Beratungsqualität spielen eine besonders große Rolle. Aber auch Hilfe bei der endgültigen Auswahl sowie Objektivität führen dazu, einen Kauf letztlich doch im Geschäft zu tätigen.
Statt nur im Online-Shop auf ein Bild zu klicken, sucht der Konsument im Handel ein echtes Einkaufserlebnis. Aber auch hier wollen sie auf moderne Technik nicht verzichten. 23 % der Verbraucher in den zwölf Ländern nutzen ihr Smartphone zumindest gelegentlich im Laden, um QR-Codes an der Ware zu scannen. 41 % vergleichen schnell noch den Preise über das Internet. 23 % rufen Meinungen anderer Käufer aus den sozialen Netzwerken oder schicken Fotos an Freunde, um deren Feedback zu bekommen.
Mittels Tablets und Medienstationen kann der Händler nicht nur ergänzende Informationen anbieten, sondern sein Sortiment über die vorhandene Ware hinaus erweitern. Wenn der Kunde dann nicht einmal mehr an der Kasse stehen muss, weil bargeld- und kontaktloses Bezahlen möglich sind, stürzt er sich vielleicht sogar am letzten Adventssamstag gerne in den Einkaufstrubel.
All dies gibt es bereits. Und die Entwicklung ist noch lange nicht zu Ende. Damit entstehen dem Fachhandel immer wieder neue Möglichkeiten, seinen Kunden das Einkaufen gleichzeitig interessanter und komfortabler zu machen.
Datensicherheit besonders in Deutschland wichtig
Besonders deutschen Konsumenten ist es dabei wichtig, dass verantwortungsvoll mit ihren Daten umgegangen wird. Dass Profile mit ihren Vorlieben und Aufenthaltsorten angelegt werden, halten 53 % für schlecht. Nur 30 % empfinden es eher als Vorteil, weil sie sich darüber maßgeschneiderte Angebote erhoffen. In anderen Ländern ist man weniger kritisch, so dass die Studie im Durchschnitt nur 36 % besorgte Verbraucher ermittelt hat.
Auch für die Anbieter hat die "totale" Transparenz im Netz nicht nur Vorteile. In Verbraucherforen und sozialen Netzwerken kann man heute ganz einfach an den digitalen Pranger gestellt werden, wenn einem Kunden etwas nicht gepasst hat. Allerdings neigen Konsumenten in Deutschland wie auch den übrigen Staaten eher dazu, positive Erlebnisse und Lob ins Netz zu stellen.
Ein Kommentar von Thomas Pfnorr
Internet - Der Einzelhandel ist am Zug
Wenn kleine Kinder Angst vor etwas haben, machen sie die Augen zu und glauben, damit sei die Gefahr gebannt. So ähnlich ist unsere Branche jahrelang mit ihrem großen Angstmacher umgegangen: dem Internet, das in der Wahrnehmung von Industrie und Handel vor allem eines tat, nämlich die Preise kaputt machen. Wenn wir die eigene Webseite ab und an neu gestalten, das Netz ansonsten ignorieren und die Fachhändler verteufeln, die im eigenen Onlineshop auch schon mal Produkte unter UVP verkaufen, wird das schon gut gehen, lautete die Devise.
Ende 2010 habe ich mich zum ersten Mal in dieser Zeitschrift mit dem Thema Multichannel beschäftigt und schon damals gestaunt, was für interessante Konzepte es für den Handel von Morgen gab. Seitdem ist die Entwicklung rasant vorangeschritten. Was Dank Smartphones und mobilem Internet heute sogar unterwegs und damit auch im Laden möglich wurde, ist beeindruckend. Die Verbraucher nutzen diese Technologien. Sie machen ihnen Spaß, erleichtern das Leben. Und bitte auch den Einkauf. Das zeigt das Europa Konsumbarometer 2014 ganz eindeutig.
Und was bedeutet das für uns?
Sind wir ehrlich: Den Kampf gegen das Netz kann man nicht gewinnen. Muss man aber auch gar nicht. Natürlich bedeutet das Internet noch mehr Preistransparenz und noch mehr Konkurrenz. Aber es bedeutet eben auch eine schier unerschöpfliche Bandbreite an Möglichkeiten, den Kunden auf das eigene Sortiment, die eigene Dienstleistung aufmerksam zu machen - und zwar rund um die Uhr und 365 Tage im Jahr. Ihm Serviceleistungen anzubieten, an die er bislang nicht einmal gedacht hat, auf die er in Zukunft aber vielleicht nicht mehr verzichten möchte. Und dabei so viel über seine Bedürfnisse in Erfahrung zu bringen, dass die Angebote für ihn immer besser, zielgerichteter und damit unwiderstehlicher werden.
Bei den Kindern funktioniert das "Augen zu" nicht. Und jetzt scheint es auch Industrie und Handel zu dämmern, dass der bisherige Umgang mit dem E-Commerce wohl falsch war. Zwei Beispiele: Die Steffelgruppe setzt im B2B-Geschäft massiv aufs Internet und(!) ist weiterhin mit einem Außendienst unterwegs. A.S. Création hat das für den Handel kostenlose Mobile Shopping Tool im Einsatz, das Warenpräsentation und Kaufvorgang in der realen und virtuellen Welt zusammenführt.
Jetzt ist der Handel am Zug. Er muss diese Angebote seiner Lieferanten nutzen, eigene Strategien entwickeln und seinen (potentiellen) Kunden mit den modernen Technologien einen Mehrwert bieten. Denn auch das dürfte klar sein: Wie die Industrie ihre Ware an den Mann oder die Frau bringt, ist ihr letztlich egal, solange die Marge stimmt. Der Handel ist gefordert, um nicht seine Existenzberechtigung zu verlieren.
In ein paar Wochen ist die Jurysitzung für den Heimtex Star. Wir suchen die beste Webseite und die beste Tapetenabteilung. Zwei Kategorien, in denen durchaus althergebrachte und moderne Konzepte aufeinander treffen könnten. Ich bin doppelt gespannt: auf die Einsendungen und auf die Entscheidung der Jury. Sind die Augen noch zu oder endlich offen?
aus
BTH Heimtex 06/14
(Handel)