Urteil des Europäischen Gerichtshofs schlägt Wellen in Bodenbranche
Auslaufmodell Ü-Zeichen?
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) kippt die deutsche Praxis für die Zulassung von Bauprodukten: Nach seiner Auffassung verstoßen die allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (abZ) und das Übereinstimmungs-Zeichen (Ü-Zeichen) gegen den freien Warenverkehr in der EU. Steht das Ü-Zeichen bei Bodenbelägen und Verlegewerkstoffen jetzt vor dem Aus? Vielleicht. Dann bekämen Handel und Handwerk mehr Verantwortung beim Verkauf und Einbau von Bodenbelägen. Die Bundesregierung will zumindest die Lücken in der europäischen Harmonisierung schließen. BTH Heimtex hat Andreas Becker, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, sowie die betroffenen Branchenverbände um eine Einschätzung gebeten. Tenor: Erst einmal weiter auf Produkte mit abZ und Ü-Zeichen setzen, denn Stand heute hat sich nichts verändert.Mit seinem Urteil vom 16. Oktober 2014 macht der Europäische Gerichtshof (EuGH) klar, dass durch Bauregellisten in Deutschland der Marktzugang für Hersteller von Bauprodukten behindert worden ist, die bereits CE-gekennzeichnet sind. Die Entscheidung des EuGH bezieht sich explizit auf die Produktsegmente Tore, Türen und Wärmedämmprodukte.
Fachanwalt Andreas Becker geht aber davon aus, dass sich die Rechtsprechung langfristig auch auf andere Bauprodukte übertragen lässt, etwa Bodenbeläge. Denn in seiner Begründung gehe das oberste Gericht nicht auf Einzelheiten zu den Produktkategorien ein. Vielmehr dürfe Deutschland "keine einseitigen Maßnahmen vornehmen, sondern müsse im Gegenteil die vorgesehenen Verfahren einhalten". Dies gelte selbst dann, wenn eine bestehende, harmonisierte Norm tatsächlich lückenhaft sein sollte.
Genau das aber reklamiert das in Deutschland für die technische Bewertung von bestimmten Produkten verantwortliche Deutsche Institut für Bautechnik (DiBt) in Bezug auf das Thema Gesundheitsschutz unter anderem bei Bodenbelägen. Auf dieser Grundlage leitet das DiBt das Recht auf zusätzliche nationale Anforderungen ab: Seit 2010 verlangt es die allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (abZ) sowie das Übereinstimmunsgzeichen (Ü-Zeichen).
AbZ und Ü-Zeichen verlangen mehr als CE
Auf europäischer Ebene müssen Bauprodukte grundsätzlich mit einer CE-Kennzeichnung versehen werden. Mit ihr bescheinigt der Hersteller/Inverkehrbringer, dass die Ware den harmonisierten europäischen Normen entspricht.
Soll in Deutschland ein textiler, elastischer oder ein Laminat-Bodenbelag, ein Holzfußboden bzw. Parkett oder auch ein Sportboden in einem Aufenthaltsraum verlegt werden, bedarf es seit 2010 neben der CE-Kennzeichnung zusätzlich der abZ, erteilt vom DiBt. Unter dem Begriff Aufenthaltsraum im Sinne der Bauregelliste sind Räume zu verstehen, die dem auch nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen dienen; unabhängig davon, ob er privat oder gewerblich genutzt wird.
Wie auch bei der CE-Kennzeichnung ist der Leitgedanke der abZ der gesundheitliche Schutz der Nutzer. Für das DiBt sind die CE-Vorgaben aber nicht streng genug. Durch die besondere, zusätzliche Emissionsprüfung nach dem AgBB-Schema (Ausschuss für die gesundheitliche Bewertung von Bauprodukten) sollen Bewohner und Nutzer besser vor schädlichen Auswirkungen durch das Ausgasen flüchtiger organischer Verbindungen (VOC) geschützt werden. Ähnliche Bestrebungen verfolgen auch die EU-Mitglieder Frankreich und Belgien.
In Deutschland bestätigt das Ü-Zeichen, dass das Produkt den Bestimmungen der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung nicht nur entspricht, sondern diese Übereinstimmung in Zukunft regelmäßig extern von Prüfinstituten überwacht wird.
Momentan ist das Ü-Zeichen weiterhin Pflicht
Das aktuelle EuGH-Urteil trifft die Bau-Produktgruppen unterschiedlich: Für elastische, textile und Laminat-Bodenbeläge, Sportböden, Mehrzweck-Sporthallenböden, Parkett- und Holzfußböden gibt es bereits europäisch harmonisierte Normen wie die EN 14041 und EN 14342. Daher erscheint es zumindest wahrscheinlich, dass für diese das Ü-Zeichen demnächst hinfällig ist. Im Unterschied dazu sind Verlegewerkstoffe, Parkettöle und Lacke (noch) nicht europäisch harmonisiert und brauchen vermutlich auch weiterhin eine abZ.
Momentan gelten in jedem Fall noch die bisherigen Regelungen. Allen bodenlegenden Handwerkern rät Fachjurist Becker deshalb, bis auf Weiteres nur Produkte zu verwenden, die über ein Ü-Zeichen oder eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung verfügen. Solange es noch keine konkrete Entscheidung des EuGH oder von nationalen Gerichten zu Bodenbelägen und Verlegewerkstoffen gibt, sei man so auf der sicheren Seite. "Ich gehe aber davon aus, dass sich die Rechtslage schnell klären wird, da Hersteller, Importeure oder Verarbeiter sich auf die Entscheidung berufen werden und Produkte ohne ein Ü-Zeichen verkaufen werden", so Beckers Prognose.
Die Entscheidung hat Vor- und Nachteile
Dann allerdings wachsen nach Ansicht des Juristen die Verantwortung und der Zeitaufwand auf Seiten der Verarbeiter. "Denn die CE-Kennzeichnung allein erlaubt noch keine Aussage darüber, ob das Produkt für die jeweilige Anforderung geeignet ist. Bislang war es gerade die Aufgabe des DIBt, ein Produkt zu prüfen und für die jeweilige Verwendung freizugeben. Der Verwender konnte sich darauf verlassen, dass es verbaut werden durfte." Diese Prüfungspflicht gehe nun auf ihn selbst über. Hier sind nach Einschätzung von Andreas Becker viele Ansatzpunkte für juristische Streitigkeiten gegeben.
Für Importeure und Hersteller würde es hingegen einfacher. Entsprechend des Urteils können sie Produkte, die über eine CE-Kennzeichnung verfügen, tatsächlich europaweit vermarkten - auch in Deutschland. Der erhebliche Kosten- und Zeitaufwand für Beantragung und Erlangung von abZ und Ü-Zeichen entfallen.
Dies bedeutet auch, dass das Produktangebot vermutlich wachsen wird. Das wiederum dürfte Verarbeiter und Endverbraucher freuen.
aus
BTH Heimtex 12/14
(Bodenbeläge)