Bettenhandel
Ein Zeit-Redakteur sucht eine Matratze
Hamburg. "Albtraum im Bettenhaus" betitelte die Wochenzeitung Die Zeit einen Artikel in ihrer Ausgabe vom 28. August. Der Autor Dr. Kolja Rudzio berichtet darin von seinen Erlebnissen im deutschen Bettenhandel. Sein Fazit: Kaum etwas sei komplizierter, als sich eine neue Matratze zu kaufen.
Als Erfahrungsbericht eines "genervten Konsumenten" beschreibt Rudzio, Wirtschaftsredakteur bei der Zeit, seine Reise durch den deutschen Bettenhandel. Seine Ansprüche sind vor dem Kauf nicht sonderlich hoch geschraubt: "Ich will bloß eine Matratze kaufen." Damit unterscheidet er sich in nichts vom Gros der Kunden im Matratzenhandel - business as usual also. Aus Platzgründen soll es für Ihn und seine Frau allerdings nur eine Matratze mit 140 Zentimeter Breite sein. Doch schnell stellt sich heraus, dass Rudzio kein pflegeleichter Kunde ist.
Die Geschäfte, in denen der Zeit-Autor nach der passenden Matratze sucht, sind dem Artikel zufolge Karstadt, MFO (heute Matratzen Direct), Dänisches Bettenlager, Matratzen Concord, Ikea. Häuser, die vor allem mit durchgestrichenen Preisen werben. Auf wenig Gegenliebe stößt beim Autor bereits die Aussage des Karstadt-Verkäufers, dass Schlafen ein komplexer Prozess sei. "Ach ja? Eigentlich will ich mir keinen Vortrag anhören, nicht bei Karstadt," kommentiert Rudzio. Ziemlich ratlos steht er vor dem Matratzen-Sortiment, konkret vor einer Dunlopillo-Matratze (1379 statt 2293 Euro), und stellt fest, dass diese so aussieht wie jede andere Matratze auch: "Weiß, flach, rechteckig". Der Klassiker eines überforderten Kunden.
Kein Vortrag erwünscht, trotzdem Aufklärung über die Besonderheiten von Matratzen - wie soll das gehen? Der Karstadt-Mitarbeiter hat es mit Rudzio nicht leicht. Gänzlich verloren hat er bei dem Zeit-Mann, als er noch auf die Unterfederung zu sprechen kommt: Alles, was dieser woanders über Lattenroste gehört habe, sei kompletter Unsinn, beschreibt Rudzio die Aussage des Verkäufers. Man ahnt, was dieser damit gemeint hat, glücklich formuliert ist es sicherlich nicht. Rudzio reicht es fürs Erste.
Vor dem nächsten Kaufversuch möchte er sich schlau machen und zieht den Produktfinder Matratzen der Stiftung Warentest zu Rate. Also jener Institution, welche die Sinnhaftigkeit einer Unterfederung ernsthaft in Zweifel zieht. Rudzio entscheidet sich für eine Tchibo-Matratze für sage und schreibe 249 Euro, muss allerdings feststellen, dass es diese im Handel gar nicht mehr gibt.
Es folgt im Artikel ein Schlenker zum wirtschaftlichen Hintergrund des Matratzen-Marktes und zu den Anforderungen der Konsumenten an eine gute Matratze. Anhand von Zahlen der "Bettenlobby", wie Rudzio forumliert (er meint vermutlich den Fachverband der Matratzen-Industrie) folgert er, dass Gesundheit bei den Käufern einer Matratze ganz oben in der Prioritätenliste stehe und die Anbieter daher bewusst mit dem Verkaufsargument der Gesundheit werben würden. Rudzio fragt deshalb Hans-Günter Weeß, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin sowie Leiter des Schlafzentrums der Pfalzklinik in Klingenmünster, ob Matratzen wirklich gesund machen könnten.
Kein seriöser Matratzen-Anbieter würde das von seinen Produkten behaupten, aber es ist eine Steilvorlage für Weeß, der über die Matratzenindustrie und den Bettenfachhandel vom Leder zieht: "Viele Menschen mit Schlafproblemen werden von der Industrie bloß abgezockt. Ich erlebe es immer wieder, dass völlig verzweifelte Patienten viel Geld für eine neue Matratze ausgeben. Am Ende sitzen sie doch wieder in meiner Sprechstunde." Ärgern würden ihn laut Rudzio auch, dass sich viele Bettengeschäfte mit sogenannten Schlafschulen als Experten für Gesundheit aufspielten. Dabei spiele es in echten Therapien praktisch keine Rolle, worauf man liege. Wenn Weeß mit dieser Aussage auf die vom VDB initiierten Kompetenz-Zentren Gesunder Schlaf anspielt, hat er offenbar an solch einer Schulung noch nie teilgenommen. Die Matratze als Faktor des guten Schlafs spielt dort nur eine Rolle unter mehreren.
Anschließend schildert der Zeit-Autor weitere, zum Teil bizarre Erlebnisse im Bettenhandel. Die Krönung folgt im Dänischen Bettenlager, wo Rudzio sich zum Kauf einer "ErgoMaxx Gel Touch mit Comfortfit-Lattenrost" überreden lässt. Letztlich überzeugt ihn die Möglichkeit, eine Woche zur Probe schlafen zu können, wenn auch auf der weiterhin eingeschweißten Matratze. Schnell realisiert er, dass der Komfort der Matratze dadurch erheblich eingeschränkt ist: "In den folgenden Nächten knisterte es bei uns im Bett. Aber nicht so, wie man sich das wünscht." Also retour damit.
Das Ende vom Lied: Das Ehepaar Rudzio schläft jetzt auf einer Matratze von Ikea, für 338 Euro einschließlich Lattenrost. Denn Ikea-Matratzen kann man ohne Plastikfolie testen und trotzdem bei Nichtgefallen wieder zurückgeben, sogar noch nach zwölf Wochen. Ob dieser Kauf der Weisheit letzter Schluss ist, kann Rudzio in seinem Artikel nicht sagen: "Manchmal zweifle ich noch." Aber dann erinnert er sich an eine Weisheit des Experten Weeß: "Matratzen werden überschätzt."
Was Rudzio in dem Artikel nicht erwähnt: Er war auch in einem Bettenfachgeschäft. Das offenbart er einem Bettenfachhändler aus Dortmund, der Rudzios Artikel auf der Zeit-Homepage kommentierte. Der Leser, nach eigenen Angaben mit 30 Jahren Berufserfahrung, erwähnt die fragwürdige Seriosität von Unternehmen, die "nur mit durchgestrichenen Preisen oder Reduzierungen von 50 Prozent und mehr" arbeiten. Er fragt, warum ein Bettsystem, auf dem man rund ein Drittel seiner Zeit verbringe, eigentlich nichts kosten dürfe, und wie es funktionieren solle, wenn zwei unterschiedliche Schläfer auf einer Matratze von 140 Zentimetern Breite schlafen: "Das ist doch immer eine Hängematte."
Rudzio entgegnet ihm, dass er auch in einem Bettenfachgeschäft gewesen sei, mit vorher vereinbartem Beratungstermin. Warum er dort nichts fand: Ihn irritierte die ausführliche Anamnese über gesundheitliche Probleme einschließlich Elektrosensibilität. Der letzte Punkt ließ bei ihm Unsicherheit hinsichtlich der Seriosität des Händlers aufkommen. Außerdem beging der Berater wohl den gravierenden Fehler, Rudzio eine Kaltschaummatratze zu empfehlen, statt der von ihm bevorzugten TFK-Matratze. Schließlich und endlich konnte der Zeit-Redakteur nicht nachvollziehen, dass er eine teure, da sondergefertigte und zweigeteilte Unterfederung erwerben sollte: "Bei Ikea gehört so ein Lattenrost zum normalen Programm."
Allerdings räumt er in seiner Antwort an den Fachhändler auch ein, dass es bestimmt gute und seriöse Beratung gebe, "und sicher wird man die auch eher in einem guten Fachgeschäft finden als im Discount-Laden. Aber hohe Preise garantieren nicht, dass man Qualität bekommt (sagt auch die Stiftung Warentest ständig). Schön wäre es, wenn man so schlicht denken könnte. Trotzdem vielen Dank für Ihren Hinweis - und ja, durchgestrichene Preise sind sicher eher ein Warnsignal."
Angereichert wird der Artikel mit einer Spalte zu den aktuellen Entwicklungen im Kartellrecht. Der Titel: "Wie die Matratzenmafia für hohe Preise sorgte". Darin geht er auf die jüngsten Entscheidungen des Bundeskartellamtes und der EU-Kommission ein und vermengt zwei unterschiedliche Sachverhalte miteinander. Auch die Haustex berichtete darüber. Er nimmt darin Bezug auf Preisabsprachen zwischen Schaumherstellern einerseits und zwischen einigen Matratzenanbietern und ihren Abnehmern im Handel andererseits. Besonders der Recticel-Konzern bekommt dabei sein Fett weg, ist der Konzern doch über verschiedene Tochterfirmen in beiden Fällen mit Strafgeldern belegt worden. Sein Einstieg in den Text, damit es auch jeder Leser gleich kapiert: "Wer sich in den vergangenen Jahren eine Matratze gekauft hat, ist dabei wahrscheinlich übers Ohr gehauen worden."
aus
BTH Heimtex 10/14
(Handel)