Eine kleine Orient-Warenkunde

Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?


Es ist zwar schön, wenn man auf die Frage "Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?"mit "Ja" antworten kann. Doch alles kann niemand wissen. Vieles muss auch der versierte Fachmann nachschlagen. Mit unserem Ratespiel in diesem Heft möchten wir Ihnen Fachwissen auf eine unterhaltsame Weise vermitteln: Die ausführliche Auflösung der Fragen folgt gleich in der nächsten Ausgabe. Sie finden daher jetzt auch die Auflösung der Fragen aus der letzen Ausgabe.

Ghazni - Hochwertige Wolle, vor allem bei Zieglerteppichen


Der Teppichhandel bezeichnet mit "Ghazni" eine hochwertige Wollqualität aus Afghanistan.

Diese geografische Bezeichnung steht also nicht für den Knüpfort sondern für den Ursprung der in dem Teppich verwendeten Wolle. Namensgebend ist eine der 34 Provinzen Afghanistans, gelegen im Osten des Landes zwischen Kabul und Khandahar. Einst war die namensgleiche Provinzhauptstadt Ghazni (auch Ghazna, Ghaznin or Ghuznee) eine wichtige Station auf der Handelsroute zwischen Iran und Indien. Die Nähe zu Pakistan begünstigt auch heute noch den Export der Wolle in das Nachbarland.

Wie bei allen Herkunftsregionen guter Wolle, müssen die in Ghazni gehaltenen Schafrassen klimatisch harten Bedingungen trotzen, um widerstandsfähige Fasern zu liefern. So liegt der Ort Ghazni selbst bereits 2200 m hoch, die Weidegründe der Herden befinden sich noch höher in den Bergen. Es scheint zwar eine eigene Ghazni-Schafrasse zu geben, der Handelsbegriff Ghazni-Wolle beschränkt sich jedoch nicht auf diese. Generell wird die Wolle der Region als sehr langstapelig, wenig gekräuselt, lanolinreich und dick gelobt. Ihre hohe Spannkraft sorgt dafür, dass sich auch durch intensive Benutzung niedergedrückter Teppichflor wieder aufrichtet. Die wiedererstarkte afghanische Teppichproduktion nutzt einheimische Ressourcen, und besonders hochwertige Ziegler-Teppiche werden aus dieser Wolle hergestellt.

Weil die Bezeichnung Ghazni-Wolle einem Qualitätssiegel gleichkommt und damit ein gutes Verkaufsargument darstellt, sollte beim Einkauf unbedingt die Wollqualität überprüft werden, denn der Rohstoff der modernen Handknüpf-Teppichindustrie kommt sehr häufig aus Neuseeland.


Tschintamani - Sehr altes Muster, vermutlich mongolischen Ursprungs


Das geheimnisvolle und dekorative Muster Tschintamani (auch Chintamani / Cintamani / Çintamani) kennt man heute von Teppichen und Textilien aus der Türkei. Die Herkunft und Bedeutung des auch Dreikugelmotiv genannten Tschintamani wird im östlichen Asien vermutet.

Drei in Pyramidenform angeordnete Kreise oder Scheiben schweben über zwei parallelen Wellenlinien. Es gibt auch auf antiken Samtstoffen oder islamischer Keramik Abwandlungen, bei denen die Wellenlinien fehlen oder schräg neben den Scheiben verlaufen. Die Scheiben selbst sind manchmal mit einer oder mehreren kleineren Scheiben gefüllt, die häufig nicht mittig, sondern am Rand liegen und an das chinesische Motiv der flammenden Perle erinnern.

Das Wort Tschintamani kommt aus Indien. Auf Sanskrit bedeutet dies Wunschjuwel und bezeichnet einen Edelstein, der die Kraft hat, das Ersehnte wahr zu machen. Im Buddhismus und auch Hinduismus steht das Juwel für das Göttliche selbst. Es kam einzeln vor, aber auch als Dreiergruppe, eine geläufige Anordnung in der buddhistischen Philosophie.

Doch wo kommt das Muster her? Eine Theorie besagt, dass der Handel mit sasanidischen Seiden entlang der Seidenstrassen schon ab dem sechsten Jahrhundert das Motiv in den Westen gebracht hätte. Eine weitere Theorie behauptet, dass das Tschintamani-Muster mit asiatischen Turkstämmen, die vom schamanistischen, buddhistischen oder manichäischen Glauben geprägt waren, nach Anatolien kam. Der berühmte Teppichwissenschaftler Kurt Erdmann nennt in "700 Jahre Orientteppich" zwei Herkunftserklärungen: Zum einen sei das Motiv chinesischen Ursprungs, zum anderen führt er die Westwanderung auf ein mongolisches Wappenzeichen zurück. Denn einen wichtigen Beitrag zur Verbreitung habe der turksprachige Timur Lenk (1336 - 1405, in der westlichen Geschichtsschreibung als Tamerlan bekannt), geleistet. Er war zwar islamischen Glaubens, aber mongolisch nomadischer Herkunft und pflegte deren Traditionen. Er suchte an die große Zeit des mongolischen Reiches unter Dschingis Khan anzuknüpfen und machte das Tschintamani zu seinem Herrschaftszeichen. Als Gründer eines neuen Großreiches, des Timuridenreiches, welches das Gebiet der heutigen Staaten Afghanistan, Iran und Usbekistan umfasste, brachte er das Symbol seiner Macht bis weit in den Westen.

Später wurde dieses Muster als Gestaltungselement von den osmanischen Sultanen vereinnahmt. Es findet sich unter anderem auf einem Brokatornat von Sultan Selim I. (1512-1520). Seit dieser Zeit taucht es auch in Teppichen durchgängig bis heute auf.

Das Tschintamani-Motiv, wird heute unterschiedlich gedeutet. In der Beschreibung eines türkischen Teppichs schrieb der ehemalige Berliner Museumsdirektor Wilhelm von Bode: "Motiv mongolischen Ursprungs: drei kugelförmige Mondsicheln über einem Wolkenstreifen (sogen. Tschintamani-Muster)". Dieser kosmologischen Erklärung widerspricht eine andere Deutung des Motivs als eine Mischung zwischen Leopardenfellpunkten und Tigerstreifen. Das Muster würde Kraft und Mut dieser Tiere symbolisieren und auf den Besitzer der Textilie übertragen, wie es Tigerfelle als Sattelunterlagen (zum Beispiel in China) oder Leopardenfelle als Kleiderbesatz (zum Beispiel in Tibet) getan hätten.


Hereke - Türkische Provenienz, meist sehr feine Seidenteppiche


Die Geschichte der Hereke-Teppiche begann 1843 mit dem osmanischen Herrscher Sultan Abdülmeci. Er gründete die Fabrika-i Hümayun-u, eine Manufaktur, die zuerst ausschließlich die Paläste des Türkischen Hofes mit hervorragenden Teppichen und Einrichtungstextilien beliefern sollte. Das Seidenmaterial kam ebenfalls aus der Türkei, nämlich ausschließlich aus Bursa - wie heute noch. Diese Qualität war für sich genommen die beste Werbung für ein türkisches Produkt, welches bald im Westen großen Anklang fand. Selbst ein Brand mit der völligen Vernichtung der Werkstätten konnte dem Ruhm keinen Abbruch tun. Jedoch wurde die Hereke-Manufaktur erst 1875 für den allgemeinen Verkauf zugelassen, und erst 1891 wurde die Teppichknüpferei im Großen aufgenommen.

Der Osmanenfreund und deutsche Kaiser Wilhelm II. reiste im Jahre 1894 gemeinsam mit seiner Frau Viktoria nach Hereke und nahm eine große Kollektion an Teppichen mit nach Deutschland. Die europäische Aristokratie bewunderte auch im beginnenden 20. Jahrhundert noch die Feinheit und die harmonischen osmanischen Muster. 1923 bis 1945 machte die Manufaktur eine schwierige Zeit durch. Erst als die Türkei nach der Republikgründung zur Ruhe gekommen war, begann in den 1950er-Jahren ein Neuanfang. Woll- und Seidenteppiche dieser neuen Ära stehen in der alten Tradition. Eine Kunstschule wurde gegründet, und die alten Muster werden mit Sorgfalt bewahrt und interpretiert. Hereke ist heute ein industriell geprägter Vorort von Istanbul, aber es gibt dort noch einige wenige Hersteller von wertvollen Teppichen, die sehr um die alte Feinstarbeit bemüht sind. Diese Generation von Teppichen wird normalerweise mit einem Zertifikat verkauft, auf dem neben den üblichen Angaben zu Beschaffenheit und Herkunft auch eine nachkontrollierbare Seriennummer angegeben wird.

Ein Großteil der Seidenteppiche, die unter dem Namen Hereke verkauft werden kommen aber aus China. In der Provinz Henan wurden über Jahrzehnte äußerst hochwertige Nachknüpfungen gefertigt, die selbst von Fachleuten nur schwer von den Originalen zu unterscheiden sind. Es ist grade zehn Jahre her, dass es einen regelrechten Wettstreit der chinesischen Manufakturen gab, welche den feinsten Seidenteppich knüpfen konnte. Den Rekord hält ein kleinformatiger Teppich mit einer Feinheit von 1400 lines, was etwa 21 Mio. Knoten auf den Quadratmeter entspricht.


Hatschlou - Turkmenisch inspiriertes Teppichdesign mit Balkenmotiv


Als Hatschlou bezeichnet der Teppichhandel ein Dessin, dass seinen Ursprung im turkmenischen Türteppich, dem Ensi, hat. Fälschlicherweise hat sich der Begriff im Laufe der Jahrzehnte als Handelsname für diese Ensis eingebürgert. Wenn ein Kunde also einen antiken Hatschlou sucht, meint er damit einen turkmenischen Türteppich. Auch falsch ist die Aussage, dass es sich bei den Teppichen um Gebetsteppiche handelte. Das Format steht dazu im Widerspruch.

Woher die Bezeichnung Hatschlou kommt, ist nicht ganz klar, die bekannteste Theorie besagt, dass das Wort aus dem Armenischen kommt und soviel wie Kreuz bedeutet. Das Hatschlou-Muster zeigt ein Balkenkreuz, das den Teppich optisch in vier Bereiche teilt. Diese sind mit turkmenischen Musterelementen gefüllt. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts werden Teppiche mit diesem Muster für den westlichen Einrichtungshandel gefertigt. Dabei wurde das Muster immer weiter abgewandelt, sodass es seinem turkmenischen Vorbild immer weniger gleicht. Dessen Elem, so bezeichnet man die untere Schürze des Teppichs - häufig mit Pflanzenmotiv - wurde weggelassen, da es den Teppich asymmetrisch machte. Ebenso das Giebelmotiv, das bei den meisten turkmenischen Stämmen für einen Engsi unabdingbar war. Teppiche mit Hatschlou-Muster werden bis heute in Afghanistan, Pakistan und Indien in den unterschiedlichsten Farbkombinationen hergestellt.
aus Carpet Magazin 04/14 (Teppiche)