Eine Frage der Präsentation
Der Orientteppich kann wieder richtig angesagt werden
Top oder Flop? Modernes Wohnen oder Gelsenkirchener Barock? Der klassische Orientteppich galt lange als "uncool", jetzt feiert er sein Comeback in modern eingerichteten Wohnungen und Großstadt-Lofts. Das sehr vielfältige Produkt könnte sogar noch viel mehr Fläche gewinnen - wenn der Handel mitspielt. Durch ein Trading-up mit neuen Präsentationskonzepten ließe sich diese große Chance nutzen. Genau jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür.In den 1970ern lag er in fast jedem Wohnzimmer: der Perserteppich. Fein geknüpft und im klassischen Musterduktus. Mit Echtheitszertifikat und Herkunftsgeschichte. Dann, zwanzig Jahre später: die große Flaute. Der einzige Teppich, den die darauffolgende Generation zu sich ins Haus ließ, bestand aus Baumwolle und lag vor der Badewanne.
Und jetzt? Findet der Orientteppich allmählich seinen Weg zurück in die Wohnräume. Dabei hat er die Chance, richtig "cool" zu sein, findet der Hamburger Importeur Dr. Ali Ipektchi. Denn momentan wächst eine neue Generation heran, die durchaus teppichaffin ist oder es werden könnte. Allerdings sehen die Teppiche dieser Generation anders aus als die ihrer Großeltern: Sie müssen nicht mehr fein sein, dafür aber "nomadiger" und farbintensiver. Teppichfans von heute mögen eher Heris als Tabris, eher Lori als Nain. Finden aber durchaus auch den Zugang zur ganz klassischen Ware. Der handgefertigte Teppich kann also ein echtes Trendprodukt werden. Schließlich verkörpert er sehr aktuelle Vorstellungen und Werte: Ursprünglichkeit, Zeitlosigkeit und Nachhaltigkeit. Und Individualität.
Bezahlbare Individualität
Was viele Verbraucher überrascht: Individuelle Handarbeiten müssen nicht teuer sein. Markante Qualitäten wie Hamadan oder Dorfteppiche in Exotenmaßen sind bereits für unter 1000 EUR zu haben - bei sehr interessanten Margen für den Händler. Wichtig zu wissen: Die meisten Kunden aus der neuen Teppichgeneration kaufen einen Teppich nicht als Geldanlage, sondern weil sie ihn schön finden. Ob der Kunde bereit ist, einen gewissen Preis dafür zu zahlen - darüber entscheidet heute in der Regel nicht der offizielle "Wert" des Teppichs, sondern die Frage, wie gut er dem Käufer gefällt.
Eine neue Kundenansprache finden
Die Problematik für den Handel: Wie werden potenzielle Teppichfans zu tatsächlichen? Die alten Konzepte aus den 1970ern gehen heute nicht mehr auf; inzwischen interessieren sich die wenigsten Endverbraucher für Echtheitszertifikate und Fachinformationen. "Heute müssen wir die Kunden anders ansprechen", betont Ali Ipektchi. "Emotionaler. Auch über die neuen Medien und Dienste wie Facebook und Co."
Publikumszeitschriften wie "Schöner Wohnen" und "Architectural Digest" gehen voraus und legen klassisch gemusterte Orientteppiche auf die Holzböden hipper Interieurs. Im Print und online zeigen die Einrichtungsmagazine, wie sich traditionelle Knüpfungen aus Stadtmanufakturen und Nomadenzelten modern kombinieren lassen: ganz klassische Bidjar oder Moudh mit einem bunten Möbelmix oder ein geometrisch gemusterter Nomadenteppich mit junger, moderner Kunst.
Den Teppich in Szene setzen
Das funktioniert nicht nur auf Papier und online, sondern (noch besser sogar!) live im Handel: Wie stimmungsvolle Warenpräsentation geht, macht der Möbelriese Ikea seit Jahrzehnten erfolgreich vor: mit inspirierenden Gesamtkonzepten. Das müssten Teppichabteilungen und Fachhändler erst recht können - sogar noch individueller und flexibler. Ein kleines Geschäft ist schnell umdekoriert, eine Wand fix farbig gestrichen. Sonderveranstaltungen wie Ausstellungen, Vorführungen oder besonderes Essen holen Menschen in die Verkaufsräume und bringen sie mit dem Teppich in Kontakt. Ganz unverbindlich und unaufdringlich. In unserem Bericht über Reza Carpet in Bad Orb zeigt der Fachhändler Dr. Reza Khorsand, wie so etwas aussehen kann.
Kleine Fachhändler machen vor, wies geht
Kurz: Der Handel braucht neue Konzepte, neue Präsentationstechniken und zum Teil auch "neue" oder andere Teppiche. "Dann hat er möglicherweise eine große Zukunft", meint Ipektchi. Dass sich die meisten großen Möbler derzeit mit neuen Ideen ihre Probleme haben, ist eine große Chance für den kleinen Fachhandel, wenn er den Schritt ins Neue und Ungewisse wagt. Er kann sich auf besondere Qualitäten spezialisieren, Ungewöhnliches zeigen, individuelle Geschmäcker bedienen und dabei ruhig polarisieren. Mit Unikaten, mit denen sich die Möbler zurzeit noch schwertun. Der flexible Fachhandel kann und sollte Spezialist für bestimmte Geschmäcker sein: Wer eine ausdrucksstarke Dorfknüpfung sucht, schaut sich bei Fachhändler A um. Und wer sich für feine Stadtteppiche begeistert, geht zu Fachhändler B.
Doch auch der Möbler hätte durchaus die Möglichkeit und vor allen Dingen die Kapazitäten, exklusive Abteilungen mit Teppich-Besonderheiten einzurichten. Und diese entsprechend zu bewerben: ohne Billigflair und durchgestrichene Preise. Viele Abteilungsleiter wären bereit, den Schritt in Richtung Trading-Up zu wagen, allerdings sind ihnen von Seiten der Geschäftsführung oft die Hände gebunden. Deren Blick geht meist in Richtung Mainstream; immer noch gilt das Gebot des Mindestumsatzes pro Verkaufsfläche.
Erster Hoffnungsträger ist somit der Fachhandel. Von dessen Erfolg würden letztlich auch die Möbler profitieren, selbst wenn diese sich zunächst nicht an der großen Umdekoration beteiligen. Denn steigt erst mal die Nachfrage nach "coolen Teppichen", kommen auch sie nicht umhin, neue Wege zu beschreiten. Und der Markt wäre um einiges bunter und variantenreicher.
Ach wie dumm, dass niemand weiß... Vier Dinge, die der Handel der neuen Teppichgeneration vermitteln sollte.
1.
Orientteppich ist nicht gleich Orientteppich. Zwischen einem geometrischen Kelim und dem blumigen Isfahan liegen Welten.
2.
Ein handgearbeitetes Unikat muss nicht teuer sein: schöne, sehr individuelle Dorf- und Nomadenteppiche gibt’s bereits für Verkaufspreise unter 1000 EUR.
3.
Der Mix machts: Klassische Teppiche spenden kühl-modernen Einrichtungen optische Wärme.
4.
Teppiche aus Schurwolle sind pflegeleicht, robust und unempfindlich.
Was tun? Vier Tipps für den Handel
1.
Setzen Sie den Teppich in Szene. Mit Möbeln, Wandfarbe und Accessoires.
2.
Laden Sie zu sich ein. Dabei muss es nicht um den Teppich gehen. Stimmig dekoriert, macht er von selbst auf sich aufmerksam.
3.
Seien Sie Spezialist. Suchen Sie sich Ihre Lieblingsprovenienzen heraus und begeistern Sie damit.
4.
Nutzen Sie die neuen Medien. Per Homepage, Facebook, Twitter und Co. rückt der Teppich ins Blickfeld und kommt ins Gespräch.
aus
Carpet Magazin 02/15
(Handel)