Erhöhte türkische Zölle versetzen die Teppichwelt in Aufruhr


Die türkische Regierung ändert "über Nacht" die Einfuhrbestimmungen für handgefertigte Teppiche; die Auswirkungen betreffen die Teppichwirtschaft auf der ganzen Welt. In den Ursprungsländern stapeln sich stornierte Bestellungen, in der Türkei stehen die Händler ohne Ware da. Da stellt sich die Frage, wer eigentlich von der neuen Regel profitiert

Hunderte Lkw mit Teppichen stauen sich an der türkischen Grenze. In den Ursprungsländern werden zahlreiche Großaufträge für türkische Händler und Importeure storniert oder ausgesetzt. Was ist passiert? Die türkische Regierung hat praktisch "über Nacht" den Zollsatz für den Import nichteuropäischer handgefertigter Teppiche drastisch erhöht. Am 18. Februar, unangekündigt, von jetzt auf gleich. Da standen sie nun, die Lieferungen mit Handarbeiten aus Indien, Pakistan oder Afghanistan und sollten erst gegen eine zusätzliche Abgabe von 50% auf den Rechnungspreis ins Land gelassen werden. Plus Mehrwertsteuer. (Zum Vergleich: Vorher betrug der Zoll pro Quadratmeter 4 USD plus 8% Mehrwertsteuer.)

Unter den Teppich-Importländern belegte die Türkei weltweit kontinuierlich einen der ersten Plätze: Handgeknüpfte und -gewebte Arbeiten sind erstens im Land selbst sehr beliebt, zweitens floriert hier auch der Verkauf an Touristen. Und drittens wird nach Schätzungen des türkischen Exporteursverbandes IHIB rund die Hälfte aller eingeführten Teppiche anschließend in Drittländer weitergeschickt, etwa in die USA oder nach Europa. Auch diese Ware ist von den neuen Bestimmungen betroffen; die türkischen Freihandelszonen können das Problem nicht auffangen.

Zwar ist die Türkei selbst Teppichknüpfland, doch die Produktionsmenge ist mittlerweile zu vernachlässigen. Der weitaus größte Teil der hier abgesetzten Ware stammt deshalb aus den bekannten Ursprungsländern. Dabei handelt es sich um beachtliche Summen: Vor Einführung der neuen Zollbestimmungen betrug beispielsweise der Wert der aus Pakistan importieren Teppiche über 11 Mio. USD, berichtet der pakistanische Hersteller- und Exporteursverband PCMEA. Für Pakistan war die Türkei bis dato das zweitwichtigste Exportland (nach den USA). Der türkische Exporteursverband IHIB rechnet mit einem 60%-igen Rückgang an Teppichimporten aus den bedeutenden Ursprungsländern. IHIB-Vorstandsmitglieder Ibrahim Geyikoglu und Ahmet Diler sind sich einig: "Die Neuregelung schadet dem internationalen Teppichhandel. Wir hoffen, dass die türkische Regierung diese Fehlentscheidung wieder rückgängig macht."

Tonnenweise stornierte Ware auf den Webstühlen


Hinter dem stark erhöhten Zollsatz steckt die Absicht, die türkische Produktion und damit die Wirtschaft im Land selbst zu stärken. Aber ob das funktioniert? Zunächst einmal schafft die Erhöhung viele Leidtragende: Teppichproduzenten in Indien, Pakistan, Afghanistan, Iran und China, die jetzt auf ihrer Ware sitzenbleiben, zumal diese zum Großteil gezielt für das Absatzland Türkei angefertigt wurde. "Der türkische Geschmack unterscheidet sich stark von dem in Westeuropa und in den USA, darum ist es nicht leicht, neue Abnehmer für die Teppiche zu finden", berichtet Sanjay Gupta von Global Overseas aus Indien. Bis Februar hatte der indische Produzent 25% seiner Gesamtproduktion in die Türkei geliefert, durch die Erhöhung sind es mittlerweile nur noch etwa 5%.

Atif Ansari von Zoha ist entsetzt darüber, dass niemand die Produzenten rechtzeitig informiert hatte. Nachdem die türkische Regierung die Änderungen im Land bekanntgegeben habe, habe offenbar keiner der türkischen Händler daran gedacht, seine Lieferanten in Kenntnis zu setzen, zum Teil habe man sogar noch weitere Bestellungen aufgegeben. Laut Ansari liegen in Indien derzeit Teppiche im Wert von 17 bis 21 Mio. EUR bereit, die eigentlich für die Türkei bestimmt waren und nun nicht geliefert werden können. Hinzu kommt Rohmaterial im Wert von über 4,2 Mio. EUR für bereits abgeschlossene Aufträge. Vor diesem Hintergrund wachse in Indien die Bereitschaft, erhebliche Preisnachlässe zu gewähren - denn wovon solle man sonst leben? Die indische Exporteursvereinigung CEPC hat nun die türkische Regierung um die Gelegenheit gebeten, doch wenigstens die laufenden Aufträge unter den alten Bedingungen abzuwickeln und die Situation anschließend erneut zu prüfen.

In erster Linie wird die Entscheidung der türkischen Regierung kleinere Knüpfbetriebe in den Ursprungsländern treffen. Einige werden schließen, Tausende von Menschen werden sich eine neue Arbeit suchen müssen.

Die Leidtragenden: auch viele türkische Unternehmen


Aber auch viele türkische Unternehmer leiden unter den Veränderungen: die Importeure, die sich ihre bestellte Ware aus Indien oder Pakistan nicht mehr leisten können (siehe Rechenbeispiel weiter unten). Außerdem die zahlreichen Hersteller türkischer Patchwork-Teppiche, die ihr Grundmaterial ebenfalls aus dem Ausland beziehen, um es in der Türkei einzufärben, zu zerschneiden und neu zu gestalten.

Fritz Langauer von Oritop sieht nicht ganz so schwarz. Er vermutet, dass sich die Gebühren in absehbarer Zeit bei etwa 25% einpendeln werden. Zudem ist man nach Protesten der türkischen Exporteurs-Organisation IHIB immerhin davon abgerückt, den 50%-igen Aufschlag auf einen festgesetzten Quadratmeter-Mindestpreis von 150 USD zu veranschlagen. Inzwischen gilt allein der Rechnungspreis als Basis.

Wer profitiert?


Bei all diesen Überlegungen stellt sich die Frage, wer von den neuen Zollgebühren überhaupt profitiert. Der europäische Großhandel vielleicht? Die zahlreichen stornierten Bestellungen aus der Türkei setzen in den Ursprungsländern Ware und Kapazitäten für andere Abnehmer frei. Dort dürften dank des steigenden Angebots die Preise sinken - allerdings nur kurzfristig. Langfristig werden sich die nicht mehr benötigten Knüpfer andere Aufgaben außerhalb der Teppichknüpfindustrie suchen und später der Branche nicht mehr zur Verfügung stehen. Mit der möglichen Folge, dass das Preispendel wieder in die andere Richtung ausschlägt.

Profitiert dann vielleicht der europäische Einzelhandel? Weil davon auszugehen ist, dass durch die Preiserhöhungen weniger Touristen in der Türkei Teppiche kaufen und sich stattdessen eher zu Hause an den Fachhandel wenden? Das könnte eine Milchmädchenrechnung sein. Im Urlaub sind die Teppiche grundsätzlich schöner, schmeckt das Essen besser, sitzt das Geld lockerer. Zurück im Berufs- und Alltagsleben sieht man die Dinge meist enger, nüchterner, sparsamer. Obwohl der unerfahrene Teppichkäufer gerade in Sachen Preis-Leistungsverhältnis beim heimatlichen Fachhandel am besten bedient wäre.

Fazit: Sieht man von den wenigen türkischen Knüpfern und Handwebern einmal ab, hat die Neuregelung wohl nur Verlierer hervorgebracht.


Die neuen Zollgebühren der Türkei - ein Rechenbeispiel


So stark erhöht sich der Preis für eine Import-Knüpfqualität, die 150 USD pro Quadratmeter kostet:

Preis vor der Erhöhung:
150 USD + 4 USD Zoll (pauschal) + 8 % Mehrwertsteuer
= 150 USD + 4 USD +12 USD
= 166 USD

Preis nach der Erhöhung:
150 USD + 4 USD Zoll (pauschal) + 50 % Zoll (zusätzlich)
+ 8 % Mehrwertsteuer
= 150 USD + 4 USD + 75 USD + 18,32 USD
= 150 USD + 92,32 USD Aufschlag
= 242,32 USD
aus Carpet Magazin 03/15 (Handel)