Vortrag "Knut bleibt sitzen
Thesen zur Dynamik des Wandels
Die Situation im Möbelhandel ist keine einfache: Die Verkaufsfläche der Top 30 im deutschen Möbelhandel hat sich in den vergangenen 20 Jahren um mehr als 50 Prozent erhöht, der Umsatz des Möbelhandels ist seit 2002 aber nur um knapp drei Prozent gestiegen. Jetzt kommt auch noch der Wettbewerb im Internet dazu. Wenn Pierre Haarfeld hierüber spricht, bezieht er sich gerne auf Knut: Damit meint der Home- und Living-Experte des Beratungsunternehmens eTribes jenen mittalterlichen skandinavischen König, der sich der Sage nach mit seinem Thron an den Strand setzte und dem Wasser in Erwartung der Flut befahl, an seinen Füßen zu stoppen...
Knut ist daher für Haarfeld das Sinnbild für das Beharrungsvermögen des Möbelhandels angesichts des E-Commerce, der wie ein Tsunami auf ihn zurolle: Entweder man reagiert darauf und passt sich an - oder man wird nass und geht unter. Der Bereich Wohnen und Möbel zählt nach einer Untersuchung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers zu den Produktsegmenten, die im Internet besonders starkes Wachstum versprechen. Mit seinen Matratzen darf sich der Bettenfachhandel in dieser Kategorie einordnen. Wie also umgehen mit der wachsenden Konkurrenz? Haarfeld hat dazu vier Thesen aufgestellt und auf ihre Richtigkeit überprüft:
These einsIkea ist mit seiner zögerlichen Internet-Präsenz kein Vorbild.
Der Food-Bereich von Ikea erzielt mit 190 Millionen Euro mehr Umsatz als das Online-Geschäft mit einem Umsatz von 145 Millionen Euro. Im Grunde tut Ikea alles, um den Online-Umsatz zugunsten des stationären Geschäfts klein zu halten. So gibt es viele Artikel, die zwar stationär zu finden sind, aber nicht im Online-Shop. Wenn ein Kunde online etwas bestellt, wird er dafür durch hohe Lieferkosten bestraft: Je geringer der Warenwert der Bestellung, desto höher der prozentuale Anteil der Versandkosten. Selbst wer die Ware online bestellt, um sie später im Geschäft abzuholen (click&collect), muss extra zahlen, beispielsweise fünf Euro bei einem Warenwert bis zu 50 Euro. Kundenfreundlichkeit im Internet sieht anders aus. Ikea, so Haarfeld, könne sich das aufgrund seiner starken Marktstellung erlauben. Funktioniert diese Strategie eines Tages nicht mehr, können die Schweden den Hebel zu echtem Internet-Handel schnell umlegen. Andere, kleinere stationäre Händler können das nicht.
These zweiMöbelkäufer sehen sich die Produkte nur im Internet an, kaufen danach im stationären Handel.
Haarfeld hat daran starke Zweifel: Dem Kunden sei es letztlich egal, wo er seine Möbel kaufe. Der Handelsexperte schätzt, dass etwa 29 Prozent sich in den Geschäften informieren und dann im Internet kaufen. Selber schuld, so Haarfeld, denn der Möbelhandel arbeite traditionell mit hohen Rabattversprechen. Um dabei trotzdem etwas zu verdienen, müssen die Listenpreise im Geschäft entsprechend hoch gesetzt werden (Stichwort Mondpreise). Daher verwundert es nicht, wenn der Verbraucher Artikel günstiger im Netz findet, wo ein knallharter Preiswettbewerb herrscht. Die These ist damit widerlegt.
These dreiDie etablierten Händler können sich nicht auf die Bedürfnisse im Internet umstellen.
Das stimmt laut Haarfeld so nicht ganz. Von den zehn größten Anbietern im Möbelgeschäft sind neun Unternehmen mit einem eigenen Online-Shop aktiv. Auf den Plätzen 11 bis 20 ist der Anteil mit vier eigenen Online-Shops schon geringer. Dodenhof auf Platz 17 hat in diesem Jahr beispielsweise seinen Shop geschlossen. Haarfeld vermutet, dass sich bereits die kleineren unter den großen Möblern ein erfolgreiches Online-Geschäft nicht zutrauen. Ein Fehler, denn auch für sie gebe es im E-Commerce Möglichkeiten, die nicht genutzt würden.
These vierMöbelhandel online ist mehr als nur ein reiner Online-Shop.
Es reicht nicht, einen Online-Shop zu eröffnen, um im Internet erfolgreich Umsätze zu erzielen. Schließlich muss man in den Untiefen des Internets auch erst einmal gefunden werden. Für viele ist daher Google das Zauberwort bei der Generierung von Traffic auf der Homepage. Ein mitunter kostspieliges Unterfangen. Dabei gibt es neben den Geschäftsmodellen als rein stationärer Händler, reiner Online-Händler und Multichannel-Anbieter noch eine vierte Variante, die laut Haarfeld erfolgversprechend ist: die sogenannten Kuratoren. Dazu gehören Plattformen wie Roomido, Moebel.de oder Westwing. Sie sind inzwischen so bekannt, dass Verbraucher die Seiten direkt ansteuern - mit den entsprechenden Kostenvorteilen. Haarfelds Schlussfolgerung: Entweder macht man das Rennen über die E-Commerce-Erfolgsfaktoren Preis, Angebot und Verfügbarkeit, oder man gewinnt mit einem Geschäftsmodell, das von Google&Co. entkoppelt ist. Die Entscheidung, ob man Knut nacheifern möchte oder sich doch lieber neuen Herausforderungen stellt, überlässt Haarfeld jedem selbst.
aus
Haustex 10/15
(Handel)