Online City Wuppertal: Plattform für den Fachhandel
Lokal handeln, aber online
In Wuppertal kann man den Blick in eine mögliche Zukunft des deutschen Fachhandels werfen. Der wird immer noch stationär seine Kunden bedienen und beraten. Gleichzeitig bietet er ihnen aber den Einkauf über das Internet an. Weil das für ein einzelnes Geschäft immer noch recht aufwändig ist, haben sich in der Stadt mit der Schwebebahn Einzelhändler zusammengetan. Sie zeigen, wie Multichannel funktioniert, mit Lieferung noch am selben Tag und einem neuartigen Showroom-Konzept in der City.Freitagnachmittag, 16 Uhr. Eva Gruber packt die Koffer, heute Nacht startet die Familie in den Strandurlaub nach Italien. Da fällt ihr ein, dass sie vergessen hat, ihrem Mann ein neues Nackenstützkissen zu kaufen. Der ist noch im Büro und ohne Auto schafft sie es nicht rechtzeitig in die Innenstadt. Macht aber nichts, denn Eva Gruber wohnt in Wuppertal. Sie nimmt ihr Tablet, geht auf ââ onlinecity-wuppertal.de, klickt sich zum Shop von "Der Schlafraum", wählt das Kissen aus und bekommt es noch am gleichen Abend per Kurierdienst nach Hause geliefert. Der Urlaub ist gerettet.
Eva Gruber gibt es nicht wirklich und die Geschichte ist ausgedacht. Aber sie könnte im vergangenen Sommer so passiert sein, denn der Onlinemarktplatz der Wuppertaler Einzelhändler mit garantierter Lieferung am gleichen Tag, der ist real.
Teilnehmerzahl nahezu verdreifachtDas Pilotprojekt Online City Wuppertal - kurz OCW - ist im November 2014 online gegangen und hat seitdem überregional Schlagzeilen gemacht. Dass Einzelhändler angesichts der vermeintlichen Übermacht von Internetgiganten von Amazon bis Zalando nicht resignierend aufgeben, sondern versuchen, mit ihren speziellen Stärken auch im Online-Geschäft mitzumischen, war vielen Medien eine Geschichte wert. "Nur im Spiegel waren wir bis jetzt noch nicht", meint Christiane ten Eicken, die als Projektmanagerin entscheidenden Anteil am Erfolg der Gemeinschaftsaktion hat.
"Wir sind mit 25 Händlern und etwa 500 Produkten gestartet", erinnert sie sich. "Mittlerweile machen mehr als 60 Fachgeschäfte mit und die Kunden haben die Auswahl aus knapp 10.000 Produkten." Und damit soll noch lange nicht Schluss sein. Je mehr Teilnehmer und je größer das Angebot, um so wahrscheinlicher ist ein langfristiger Erfolg. Daher ist ten Eicken ständig um neue Mitglieder bemüht, rührt die Werbetrommel und beantwortet Fragen interessierter Fachhändler.
Dabei ist das Konzept eigentlich ganz einfach: Teilnehmende Firmen erhalten auf der OCW-Webseite einen eigenen Zugang, um ihre Waren online zu verkaufen. Bilder hochladen, Beschreibung einstellen, Preis festlegen und ggf. die verfügbare Menge angeben - fertig.
Lieferung am selben Tag oder Abholung im LadenDer Käufer bewegt sich bei der Bestellung ebenfalls auf vertrautem Terrain, denn der Onlineshop funktioniert genau so, wie man es von großen Anbietern gewohnt ist: Produkt aussuchen, in den Warenkorb legen, bezahlen und liefern lassen. Bei Bestellungen, die bis 16.30 Uhr eingehen, garantieren die Händler innerhalb des Wuppertaler Stadtgebiets die Lieferung noch am selben Tag per Kurierdienst zwischen 18 und 21 Uhr. Wahlweise kann der Kunde die Ware auch im Geschäft abholen (Click & Collect). Dort liegt sie schon kurz nach der Bestellung für ihn bereit.
Regelmäßige und reguläre Öffnungszeiten sind daher eine der wenigen Voraussetzungen, die ein Händler für die Teilnahme bei OCW erfüllen muss. "Der Kunde muss seine Bestellung sofort abholen können, falls er gerade in der Stadt unterwegs ist. Und der Kurierdienst braucht die Ware natürlich pünktlich, damit das mit der Lieferung am selben Tag auch klappt", erklärt Christiane ten Eicken.
Die Kunden finden’s gutEiner der das garantieren kann, ist Bjoern Steinbrink. Er führt in zweiter Generation das bereits erwähnte Bettenfachgeschäft Der Schlafraum. Er hatte bereits eine eigene Webseite, allerdings ohne Onlineshop. Den betreibt er jetzt über die OCW und verkauft dort hauptsächlich leicht zu transportierende Artikel wie Kissen, Bettwäsche oder Frottierwaren.
Steinbrink hat das Konzept gleich gefallen. "Die Kosten sind mit derzeit 20 EUR monatlich als Werbekostenpauschale plus 8 % Provision pro Verkauf überschaubar. Der Aufwand momentan auch, weil wir noch nicht so viel über das Internet verkaufen."
Die direkten Umsätze sind also noch ausbaufähig. Aber gelohnt habe sich die Teilnahme schon jetzt, meint der Fachhändler: "Die Reaktionen unserer Kunden sind sehr positiv. Sie sehen das Konzept als perfekte Mischung zwischen stationärem Handel und Online." Auch neue Kunden finden über die Webseite in sein Geschäft. Und wird die Ware abgeholt, winken zusätzliche Umsätze im Laden. "Ich möchte die Online City nicht missen", lautet daher Steinbrinks Zwischenfazit.
Atalanda garantiert den reibungslosen AblaufDass die Online City Wuppertal technisch reibungslos funktioniert, dafür sorgt Roman Heimbold mit seiner Firma Atalanda. Sie stellt die Online-Plattform zur Verfügung, schließt Verträge mit dem lokalen Logistikdienstleister und wickelt die Zahlungen ab - inklusive einer Absicherung gegen Zahlungsausfall. Außerdem gehören Schulungen zum Konzept, die den Händlern das Geschäft im Netz erklären und ihnen Möglichkeiten aufzeigen, in diesem zusätzlichen Vertriebskanal erfolgreich sein zu können.
Nach Salzburg und Hamburg ist Wuppertal die dritte Stadt, in der Atalanda mit dem Konzept gestartet ist. In den beiden Großstädten war der Erfolg bislang mäßig. Warum funktioniert das Konzept in Wuppertal? "Das liegt an der Motivation der Händler. Ohne die geht es nicht, aber sie lässt sich auch nicht erzwingen", so Heimbold. "Und es braucht vor Ort einen ,Kümmerer’. Andreas Haderlein und Christiane ten Eicken sorgen in Wuppertal dafür, dass sich das Projekt weiterentwickelt."
Neue Formen der Warenpräsentation und KundenanspracheEine Form der Weiterentwicklung ist das Retail Lab, quasi ein Versuchslabor für den Mulitchannel-Handel, in dem neue Verkaufskonzepte ausprobiert werden sollen. Dazu wurden im Einkaufszentrum Rathaus-Galerie im Stadtteil Elberfeld ein Areal angemietet, auf dem Händler befristet Shop-in-Shop-Flächen bespielen können. "Wir wollen hier eine Brücke zwischen dem Online- und dem stationären Handel bauen und den Kunden neue Einkaufserlebnisse bieten", erläutert die Projektmanagerin.
Dieser Brückenschlag soll nicht nur vom stationären Handel ins Internet funktionieren, sondern auch umgekehrt. Explizit werden Händler angesprochen, die bislang ausschließlich online verkauft haben und nach einer Möglichkeit suchen, mit ihren Kunden auch vor Ort in Kontakt zu kommen. Dass die Organisatoren damit den Nerv der Zeit treffen, beweisen bislang reine Internethändler wie Notebooksbilliger oder Fashion4Home, die stationäre Outlets in den Fußgängerzonen deutscher Großstädte eröffnen. Noch sind das Ausnahmen, aber der Trend geht in diese Richtung - ein weiteres Indiz dafür, dass der Handel in den Innenstädten eine Zukunft hat.
Dass der Wuppertaler Einzelhandel der ungeliebten Konkurrenz aus dem Netz damit eine Plattform anbietet und langfristig darunter leidet, glaubt Christiane ten Eicken nicht: "Sie werden eher davon profitieren. Hier werden neue Formen der Kundenansprache und der Warenpräsentation getestet. Davon kann man nur lernen - oder es selber ausprobieren."
Fast nebenbei wird mit dem Retail Lab auch ein anderes wichtiges Ziel des Projektes OCW erreicht: Die Revitalisierung von 1b-Lagen wie eben der Rathaus-Galerie, die zunehmend mit Leerstand zu kämpfen haben. Für mehr Frequenz dürfte dort auch die Servicestelle für Kunden der Online City Wuppertal sorgen. Sie ist als zentraler Anlaufpunkt für Fragen rund um den Online-Marktplatz gedacht. Außerdem können hier Bestellungen und Retouren abgeholt bzw. abgegeben werden. Es gibt sogar einen Drive-in Schalter.
Marketing soll intensiviert werdenNachdem die Aufbau- und Einführungsphase weitestgehend abgeschlossen ist, gilt es nun, das Angebot auf OCW beim Verbraucher noch bekannter zu machen. Zwar wird der einzelne Fachhändler bei Google jetzt über die Plattform besser gefunden. Aber dazu muss der User gezielt nach ihm suchen. Viel besser wäre es, wenn er schon wüsste, dass die Händler seiner Stadt auch im Netz vertreten sind und mit der Lieferung der Produkte sogar schneller sind als Amazon.
Anders als überregionale Medien habe die Lokalpresse leider bislang nicht so ausführlich über das Projekt berichtet, stellt Christiane ten Eicken fest. Das muss sich ändern. Außerdem sollen griffigere Bezeichnungen für zusätzliche Aufmerksamkeit sorgen. Aus der Onlineplattform wird der talMARKT, aus dem Retail Lab das talKONTOR.
Vielleicht braucht es auch einfach nur ein wenig Zeit, bis sich beim Verbraucher in Wuppertal und anderenorts herumgesprochen hat, dass es jenseits von Amazon Möglichkeiten zum Einkaufen über das Internet gibt, die vielleicht kein nahezu allumfassendes Warenangebot bieten, aber dafür besonderen Service und im Bedarfsfalle auch einen Ansprechpartner vor Ort. Vertreter aus 140 Städten haben sich mittlerweile über das Konzept von Atalanda informiert. In Mönchengladbach hat sich der Einzelhandel für ein ähnliches Angebot mit eBay einen der ganz Großen im Netz als Partner geholt. Die Zeit scheint reif zu sein für den lokalen Handel auch über das Internet.
thomas.pfnorr@snfachpresse.deOnline City Wuppertal - Die Fakten
Charakteristik: Plattform für Onlineshops lokaler Fachhändler
Bestellvorgang: Warenkorb im Onlineshop
Bezahlung/Abrechnung: per Lastschrift und Paypal über den Plattformbetreiber Atalanda
Lieferung: wahlweise Click & Collect (Abholung beim Händler bzw. in der zentralen Service- und Abholstelle) oder Lieferung per Kurierdienst am selben Tag (bei Bestellung bis 16.30 Uhr)
Retouren: Rückgabe im Laden oder Rücksendung auf eigene Kosten
Weitere Serviceleistungen: Seminare für die teilnehmenden Händler, 2016 kommt eine App
Kosten für den Händler: Beim Pilotprojekt OCW bis 2018 keine Grundgebühr, aber eine monatliche Werbekostenpauschale von 20 EUR. Außerdem 8 % vom Nettowarenwert je Bestellung.
aus
BTH Heimtex 12/15
(Handel)