Vorsicht Falle!
"Rollstuhleignung" in der Leistungsbeschreibung – Das muss kein Schreibfehler sein
Wenn ein Bodenleger in einer Ausschreibung auf das Wort "Rollstuhleignung" trifft, muss dies kein Schreibfehler sein. Genauso ist es dem Sachverständigen Torsten Grotjohann gegangen, der vermutete, jemand Branchenfremdes hätte die Stuhlrolleneignung eines Bodenbelags gemeint. Das war nicht der Fall. Er stieß auf ein Thema, das man wie folgt beschreiben könnte: Wenn Rollstühle aufgrund des Bodenbelags nicht geradeaus fahren können.
Jedem Boden- und Parkettleger ist mit Sicherheit die Stuhlrolleneignung eines Nutzbelags bekannt. Hierbei geht es um die Anforderungen an Bodenbeläge im Nutzungsbereich von Bürostühlen. Insbesondere beschreiben die DIN EN 12526 bis 12533 die normativ festgeschriebenen Anforderungen an Lenkrollen und Lenkdoppelrollen sowie deren Ausführungsbezeichnungen.
Diese Faustregel ist bekannt: Harte Rolle für weiche textile Beläge, weiche Rolle für nichttextile Böden und Hartbeläge. In der Praxis wird häufig unbewusst das Wort "Stuhlrolleneignung" durch "Rollstuhleignung" ersetzt, ohne dass hierbei etwas anderes als die Anforderung an Rollen von Bürostühlen gemeint ist.
Vorsicht bei geforderter RollstuhleignungDoch bei der geforderten Rollstuhleignung ist Vorsicht geboten. Nicht immer handelt es sich hierbei um einen Schreibfehler, wie ein Gutachterauftrag in Hamburg zeigte. In einem Großraumbüro arbeiten unter anderem behinderte Menschen, die auf den Einsatz eines Rollstuhls angewiesen sind. Sie hatten Probleme auf den unterschiedlichen textilen Bodenbelägen, weil teilweise der Geradeauslauf der Rollstühle erheblich beeinträchtigt war und das Fortbewegen einen enormen Kraftaufwand bedeutete.
Folgerichtig wurden die vor Ort verlegten textilen Bodenbeläge mit dem Hinweis beanstandet, dass in der Leistungsbeschreibung eine Rollstuhleignung gefordert war, die diese Beläge offensichtlich nicht aufwiesen. Es kristallisierte sich schnell heraus: Der anbietende Bodenleger war von einem Schreibfehler ausgegangen und hat lediglich stuhlrollengeeignete textile Bodenbeläge eingebaut.
Manche Beläge machen Geradeauslauf unmöglichIm Rahmen der Beurteilung der Sachverhalte konnte im Ortstermin zunächst einmal festgestellt werden, dass sich die Rollstühle tatsächlich mit unterschiedlichem Kraftaufwand bewegen ließen. So gab es textile Bodenbeläge, auf denen der Rollstuhl leicht zu bewegen war und subjektiv gute Abrolleigenschaften zeigte. Es gab jedoch auch textile Beläge, auf denen sich dieser nur schwer bewegen ließ. In einem Fall war es nicht möglich, den Rollstuhl geradeaus zu bewegen, ohne mit einer Hand extrem gegenzusteuern.
Eine Vielzahl von Recherchen hat ergeben, dass allgemeine Anforderungen an die Rollstuhleignung von Bodenbelägen, insbesondere von textilen, nicht bestehen. Lediglich ein Bodenbelagshersteller weist darauf hin, in Senioren- und Pflegeheimen auf die Verlegerichtung des Belags zu achten, damit es beim Befahren mit dem Rollstuhl nicht zu einer "eigenwilligen" Richtungsänderung kommt.
RecherchenFolgerichtig blieb bei der Überprüfung und Beurteilung der Sachverhalte nur die Möglichkeit, eigene Recherchen durchzuführen. Bei einem Besuch des Kompetenzzentrums für Bewegungsvorgänge (KfB) an der Fachhochschule Bielefeld hat sich herausgestellt, dass dort ein neues Messsystem zur Ermittlung des Energiebedarfs zur Bewältigung von Rollstuhlstrecken erarbeitet wurde. Es gibt sogar schon eine Prüfeinrichtung für die Messung.
Einflussfaktoren auf den Energiebedarf eines RollstuhlsEs gibt unterschiedliche Einflussfaktoren auf den Energiebedarf eines Rollstuhls: die Lastverteilung und Einstellung am Rollstuhl, deren Bauteile und Konstruktion, die verschiedenen Bodenbeläge und die Fahrgeschwindigkeit. Im Rahmen der Messungen wurden zum einen unterschiedliche Rollstühle, zum anderen unterschiedliche Bodenbeläge gewählt.
Sicherheit bei der AnpassungSowohl Hersteller als auch Nutzer profitieren von dieser Entwicklung gleichermaßen. Hersteller können ihre Produkte gezielt optimieren und mit einem neutralen Prüfsiegel werben. Die Bewertung von Einzelparametern ermöglicht eine noch individuellere Anpassung des Produkts an den Nutzer. Anhand von Einzelbetrachtungen der verschiedenen Energieanteile bei festgelegten Bewegungen kann die Industrie sehr gut verschiedene Rollstuhlmodelle auf ihre Einsatzfähigkeit und Nutzbarkeit in verschiedenen Anwendungsbereichen hin vergleichen.
Die Aussagen über den Energiebedarf eines Rollstuhls beim Drehen oder bei der Beschleunigung lassen sich wiederum in Beziehung setzen zu bestimmten konstruktionsbedingten Einzelparametern wie der Lage des Radlagers, der gewählten Casterbuchse oder dem Durchmesser der Vorderräder.
Eine Optimierung in der Bauart oder bei den Komponenten ist so gezielter möglich. Letztendlich bedeutet dies jedoch auch, dass die Hersteller von Bodenbelägen, insbesondere von textilen (Veloursteppichböden), ihre Produkte für den Einsatz von Rollstühlen verbessern können.
Der Einsatz von Bodenbelägen der Kategorie "rollstuhlgeeignet" wäre dann in unterschiedlichen Bereichen denkbar. Hier geht es nicht nur um Senioren- und Altenpflegeheime oder Unterkünfte für betreutes Wohnen. Praktisch jedes öffentliche und private Gebäude, das einer barrierefreien Bauart unterliegt, ist letztendlich Rollstuhlfahrern zugänglich und somit als Einsatz für diese Art von Bodenbelägen interessant.
FazitDurch die gezielten Untersuchungs- und Analysemöglichkeiten eröffnen sich weitreichende Verbesserungen in der Entwicklung von Rollstühlen, der Beratung, Anpassung und Nutzung, aber auch in der Entwicklung von Bodenbelägen.
Die Berücksichtigung des individuellen Einsatzes und Kenndaten spezieller Aspekte geben Sicherheit, verhindern Fehlplanungen und fördern die Wirtschaftlichkeit bei der Realisierung von Neuentwicklungen am Markt.
Durch die sogenannte Energiecluster-Prüfung für manuelle Rollstühle ist ein Transfer zwischen Forschung, Entwicklung und praktische Anwendung gelungen, die eng an den Interessen von Nutzern orientiert ist. Es ist allgemein bekannt, dass der Anteil von älteren Menschen in unserer Gesellschaft in den nächsten Jahren rapide zunimmt. Folgerichtig wird das Thema barrierefreies Bauen eine noch größere Bedeutung gewinnen.
Sowohl in Wohnanlagen und privaten Gebäuden als auch in öffentlichen Gebäuden ist Menschen mit Gehbehinderung und Rollstuhlfahrern ein sicherer und problemloser Zugang zu gewähren. Folgerichtig wird die Bodenbelagsbranche nicht um die Rollstuhleignung herumkommen. Für die Zukunft wird allen Boden- und Parkettlegern zur Vorsicht geraten, wenn in einer Leistungsbeschreibung eine "Rollstuhleignung" gefordert ist. Hier lohnt sich in jedem Fall die Nachfrage, ob es sich tatsächlich um die Eignung von Bodenbelägen für das Befahren mit Rollstühlen handelt.
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FussbodenTechnik 06/15
(Handwerk)