Online vs. Offline
Der Fachhandel kann vom eCommerce profitieren
Hamburg. Online gewinnt, offline verliert: Diese Aussage hat das Denken und Handeln im Einzelhandel in den letzten Jahren geprägt. Doch stimmt das auch? Oder gibt es Wege für den stationären Handel zu einer guten Symbiose? Handels-Expertin Christina Hartmann sagt: "Ja, die gibt es."
Geschäfte sind Mittelalter. Sie wurden nur gebaut weil es kein Internet gab." Um markige Sprüche ist Internet-Unternehmer Oliver Samwer, der unter anderem Zalando mit angeschoben hat, nicht verlegen. Aussagen wie diese sind es, die durch die Medien geistern und sowohl den Kunden als auch die Händler verunsichern: "Die professionellen Offline-Händler werden überleben, aber 80 Prozent werden es nicht schaffen", so Samwer.
Trotz der steigenden Akzeptanz des eCommerce hat der stationäre Handel immer noch viele Vorzüge gegenüber dem Onlinehandel. Gerade bei beratungsintensiven Produkten oder solchen, die besonders über Optik, Haptik und Inszenierung verkauft werden, bietet der Fachhandel unschlagbare Vorteile: Die sofortige Verfügbarkeit der Ware und auch die Möglichkeit des Anfassens gelten als wesentliche Vorteile.
Das Zwischenmenschliche ist somit ein klarer Wettbewerbsvorteil, den das Internet nicht bieten kann, weil der Mensch dahinter fehlt: Durch den realen Mitarbeiter bekommt der Kunde eine individuelle Beratung, er kann die kaufentscheidenden Emotionen wecken. Studien zeigen, dass 80 Prozent aller Käufe über die emotionale Ebene getätigt werden. Daher liegt ein wesentlicher Erfolgsfaktor für den Fachhandel in der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und dem Nutzen spezifischer Kompetenzen in Beratung, Qualität, Marketing, Sortiment, Verfügbarkeit und Service.
Service heißt, sich in die Köpfe der Kunden hineinzuversetzen. Durch innovative und individuelle Service-Angebote kann man sich von den Mitbewerbern abheben und Kunden zu "treuen Freunden" werden lassen. Statistiken zeigen, dass über zwei von drei Kunden wegen schlechtem Service untreu werden.
Im Gegensatz zu früher, als Konsumenten nur wenige Alternativen zur Verfügung standen, bietet das Internet heute ein schier unendliches Angebot. Die Vielfalt führt dazu, dass Kunden immer weniger eine Hemmschwelle haben, zur Konkurrenz zu wechseln. Im Fachhandel wurde beziehungsweise wird meist noch über kleinere Fehler und Missgeschicke hinweggesehen, doch im Netz ist dies schon oft ein Anlass zum Händlerwechsel. Die Kundentreue erfordert heute eine Null-Fehler- Strategie.
Deshalb sollten Kunden durch exzellenten Service langfristig gebunden werden, denn zufriedene Kunden empfehlen weiter. Aktuelle Studien zeigen, dass für etwa 67 Prozent der Kunden die persönliche Weiterempfehlung wichtig oder sogar sehr wichtig ist.
Auch die Themen Regionalität und Nachhaltigkeit gewinnen immer mehr an Bedeutung. Ein Tag der offenen Türe oder ein Blick hinter die Kulissen schaffen Vertrauen und Nähe. Auch mit Lokalpatriotismus beziehungsweise als "Händler von nebenan" kann man in der Werbung punkten. Das wirkt sympathisch, individuell und baut Vertrauen auf. Die Kaufentscheidungen fallen dann aus regionaler Verbundenheit und Sympathie.
Trotz dieser Vorteile sollte kein Halt vor den neuen Medien gemacht werden. Die Digitalisierung setzt neue Impulse und die Grenzen zwischen den einzelnen Absatz- und Kommunikationskanälen verschwimmen zunehmend. Digitalisierung bedeutet nicht Ersatz, sondern notwendige Ergänzung. Beratung ohne digitale Assistenzsysteme wird es in Zukunft nicht mehr geben.
Wer darauf als Anbieter reagiert, kann gute Geschäfte machen - im Laden, im Netz oder auch in kreativen Kombinationen. Denn es ist keineswegs gesagt, dass langsam, aber sicher alle Verkaufstätigkeit ins Virtuelle wandern wird; allein schon weil der Onlineverkauf für kleine Anbieter zu teuer und für Kunden oft reine Nervensache ist.
Zum Beispiel "die verlängerte Ladentheke": Produkte, die nicht am PoS vorrätig sind, können über ein Tablet oder Display direkt vor den Augen des Kunden bestellt und gegebenenfalls direkt nach Hause geschickt werden. Ebenso können Produktempfehlungen oder -ergänzungen und weitere Informationen geschickt in das Kundengespräch einfließen.
Der Kunde von heute und morgen erwartet ein individualisiertes Angebot, angepasst an seine momentane Situation und Lebensweise. Bieten Sie ihm über ein Baukastensystem die Möglichkeit, sich seinen Artikel individuell nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zusammenzustellen. Entweder zu Hause oder direkt im Geschäft.
Hier können die Mitarbeiter beratend und unterstützend zur Seite stehen. Trotz aller Vorzüge des Internets und der 24/7-Öffnungszeiten kaufen über drei Viertel der Kunden Möbel und Dekoration immer noch lieber im stationären Handel als online. Bei Bekleidung, Textilien und Schuhen sind es immerhin noch knapp 60 Prozent.
Nutzen Sie dieses Wissen und setzen dies gekonnt im Kundengespräch ein. Je nach Branchen informieren sich bereits über 60 Prozent aller Konsumenten vor dem Kauf im Netz. Es gibt viel mehr Chancen als Risiken. Man muss sie nur nutzen. Dazu gehören unter anderem individuelle Websites mit Suchmaschinenmarketing und -optimierung, Online-Shops, Click&Collect-Optionen und vieles mehr.
Gewinner werden die Unternehmen sein, die mit Herzblut und Sachverstand ihr Geschäft betreiben und vor der Digitalisierung keinen Halt machen. Es muss so schnell wie möglich auf die neuen, durch Internet und Smartphones veränderten Einkaufsgewohnheiten reagiert werden und die Abläufe entsprechend angepasst werden. Kundenservice (egal ob online oder offline) muss zur Herzensangelegenheit erklärt und vorgelebt werden, denn durch individuelle und innovative Beratung wird oft schon ein Einkaufserlebnis geboten. Damit gelingt es auch, Umsätze von Online in den Laden zu verlagern, wo die Wahrscheinlichkeit weiterer Impulskäufe viel größer ist. Mein Tipp: Lassen Sie sich auf das "Abenteuer Digitalisierung" ein und entwickeln Sie eine erfolgsversprechende Strategie, in der Online und Offline verschmelzen.
aus
Haustex 01/16
(Handel)