Hamburger Deko-Gespräche
"Die Gardine kommt zurück!" Das war die ermutigende Aussage von Bettina Billerbeck, Chefredakteurin der Publikumszeitschrift Schöner Wohnen, einer der ältesten Wohnzeitschriften des Landes. Ein BTH Heimtex-Gespräch mit Branchengrößen zum Thema Textiles Wohnen. |
antje.lueckingsmeier@snfachpresse.deMichael Steinert, BTH HeimtexSchöner Wohnen als große Wohnzeitschrift mit einer Reichweite von 2,7 Mio. Lesern beeinflusst mit ihren Beiträgen in erheblichem Maß den Geschmack der Endverbraucher. Frau Billerbeck, welche Veränderungen sehen Sie als Chefredakteurin aktuell im Wohnstil?
Bettina Billerbeck, Schöner WohnenDas Wohnen wird sehr viel persönlicher, sehr viel gemütlicher. Und wenn ich Rückzugsgebiete haben möchte, bedeutet das auch, dass ich die Vorhänge zuziehen können muss. In Zeiten der Urbanisierung habe ich die Nachbarn ganz nah an mir dran. Thema Ruhe: Je enger der Wohnraum wird, umso mehr brauche ich akustische Dämmungen. Das spricht für mich für das Comeback des Vorhangs und des Teppichs. Das Wohnen wird wieder eleganter und wohnlicher, die Coolness tritt zurück.
Katharina Geilfuß, Geos GeilfußDie Gardine ist in unserem Haus - gegen den Trend - stark im Wachstum. Wir hoffen, dass dieser Aufwärtstrend anhält.
Ottmar Ihling, Apelt StoffeIch bin überzeugt, dass sich der Stoffwind dreht. Aber in Wohnzeitschriften wie der Schöner Wohnen werden nur architekturgetriebene Häuser gezeigt
Joachim Stock, Initiative Textile Räume Die Vorliebe des Endverbrauchers ist einfach anders als vor 40 Jahren - Stichwort innenliegender Sonnenschutz, der dem Stil entspricht: puristischer, schicker. Und er ist sehr textil geworden. Wir müssen als Branche dem Endverbraucher Lust auf Stoff machen - das versuchen wir als ITR.
Antje Lückingsmeier, BTH HeimtexNach unserem Gefühl dominieren nach wie vor puristische Einrichtungsstile die Wohnmagazine
Karsten Brandt, Initiative Textile RäumeZunächst: Ich freue mich, wenn auf dem Titelbild von Schöner Wohnen eine Einrichtung mit Gardinen und Vorhängen zu sehen ist.
Ottmar IhlingIn französischen Wohnzeitschriften wird mit Stoff und Farbe ganz anders umgegangen. Wenn die abgebildeten Häuser mit ihren Einrichtungen farbenfroher sind, wollen die Menschen auch wieder mehr Farbe und Stoff daheim haben.
Bettina BillerbeckSchöner Wohnen gibt sich Mühe, viele unterschiedliche Stile abzubilden. Ich lege Wert darauf, mindestens eine textile Geschichte im Blatt zu haben. Das Problem ist: Wer puristisch baut, wird sich nicht üppig einrichten.
Klaus Kurringer, SüdbundWir Deutschen sind manchmal nicht so mutig. Bei technischen, futuristisch aussehenden Dingen sind wir schnell zu begeistern; aber die Romantik und die Farbe kommen zu kurz.
Ottmar IhlingFarbe ist wahnsinnig schwierig. Im Kissensegment erleben wir es anders: Da wird bunt, bunt, bunt gekauft - da machen die Endverbraucher jede Trendfarbe mit.
Tim Steinert, BTH HeimtexCocooning ist angesagt: Es wird wieder mehr Geld für Wohnen ausgegeben
Klaus KurringerIch sehe nicht, dass das überall beschriebene große Geld im Bereich Inneneinrichtung landet. Gibt es den Trend wirklich - oder wollen wir den nur gern?
Karsten BrandtVielleicht liegt es an der Produktgruppe: Für Bäder und Küchen wird viel Geld ausgegeben. Wir müssen unsere Produktgruppe wieder in den Fokus der Verbraucher rücken und attraktiver machen.
Bettina BillerbeckEs gibt zwei Bewegungen: Einerseits die Hypermobilen, die keinen Wert mehr auf herkömmliche Statussymbole legen. Doch wenn sie Geld ausgeben, dann eher für wenig, aber Wertiges als für viel Trash. Das ist eine starke Bewegung hin zum bewussten Kauf: Lieber etwas weniger, dafür qualitativ hochwertig. Gleichzeitig gibt es aber auch eine Bewegung hin zur neuen Bürgerlichkeit: Junge Menschen leben wahnsinnig langweilig genau das Leben ihrer Eltern. Das sind zwei ganz entgegengesetzte Richtungen, die schwer zu fassen sind.
Karsten BrandtWir müssen auf Langfristigkeit setzen. Eventuell sind rückläufige Mengenentwicklungen durch höhere Wertigkeiten und Durchschnittspreise aufzufangen, wie bei den Tapeten.
Joachim StockDie Tapete hat es als Branche geschafft, sehr vielfältig und attraktiv zu werden. Es ist ihr gelungen, die Hochwertigkeit wiederzubeleben.
Michael SteinertÜber welche Kanäle könnten wir wieder mehr Stoff in die Räume bringen?
Joachim StockWenn der Stoff in den Raum kommen soll, müssen wir die Architekten mit den Vorzügen von Stoffen vertraut machen.
Ottmar IhlingEs gibt Menschen, die lassen sich vom Architekten für 800.000 EUR ein Haus einrichten - und dann ist dort nicht einmal eine Gardinenschiene vorgesehen. Alles klackert laut und ist ungemütlich. Und dann wollen die Leute eine Lösung von uns, möglichst ohne ein Loch in der Wand.
Anke Vollenbröker, TreviraWichtig ist das Zusammenspiel von Innenarchitektur und Architektur.
Klaus KurringerArchitekten haben keine Ahnung vom Stoff. Der Endverbraucher denkt oft: Der Architekt macht das Haus und richtet es mir auch ein.
Karsten BrandtViele Menschen wissen gar nicht genau: Wo endet der Bereich des Architekten, wo beginnt der Aufgabenbereich des Innenarchitekten.
Bettina BillerbeckDie Leute haben Angst, bei Beauftragung eines Innenarchitekten als abgehobene Person dazustehen. Das ist eine Imagefrage der Innenarchitekten.
Wir müssen uns fragen: Macht der Raumausstatter einen guten Job? Oder muss er sich besser darstellen?
Birgit Schlenker, Deco TeamWir bieten mit dem Deco Team Seminare an, die die Teilnehmer selbst bezahlen und die wahnsinnig gut besucht sind. Die Leute bekommen dort viel an die Hand für das eigene Geschäft.
Sylke Mikolajczak, DeliusDer Raumausstatter ist im Prinzip ein Handwerker. Er müsste sich vielleicht zu etwas zwischen Handwerker und Innenarchitekt entwickeln, um auch die Kunden kompetent beraten zu können.
Klaus KurringerDen Endverbraucher interessiert die handwerkliche Leistung im Hintergrund gar nicht. Wenn er zum Raumausstatter geht, erwartet er eine 100 %-ige Dienstleistung und Kreativität. Die Menschen haben auch Angst, dass Inneneinrichtung finanziell ein Fass ohne Boden ist. Fange ich bei der Gardine an, stimmt dann auch die Tapete nicht mehr und der Teppich. Aus Angst vor der großen Rechnung wartet der Endverbraucher zehn Jahre, bis er ganz unglücklich ist mit seiner Einrichtung. Und dann müsste er eigentlich alles ändern - doch der Blick aufs Bankkonto lässt ihn wieder davor zurückschrecken.
Michael SteinertWann sind Verbraucher für das Einrichtungsthema zugänglich?
Rudolf Delius, DeliusDer typische Deutsche richtet sich dreimal im Leben ein: wenn er das Elternhaus verlässt, wenn die Kinder aus dem Haus gehen, und wenn er in den Alterssitz zieht. Drei Mal im Leben können wir ihm etwas verkaufen.
Joachim StockDie Schöner Wohnen mit einer Reichweite von 2,7 Mio. Lesern zeigt doch, dass es genug Menschen mit Interesse an Einrichtungsthemen gibt. Aber scheinbar finden diese Menschen nicht genug Einkaufsorte, denen sie vertrauen. Der klassische Raumausstatter kann da sogar mitunter kontraproduktiv sein, wenn er sich nur als Handwerker sieht und nicht als Inneneinrichter.
Michael SteinertDas bedeutet, dass hier ungenutztes Potential vorhanden ist?
Bettina BillerbeckEs ist für den Handel ganz wichtig, nicht nur das Produkt anzubieten. Die Menschen wollen, dass alles zusammenpasst. Es ist gut, wenn der Vorhang und der Teppich harmonieren, wenn ich gleich ein Konzept vorgestellt bekomme, eine Inspiration und eine Idee dazu. Das macht es mir als Kunde leicht und ich habe dazu noch eine Form der gefühlten Kreativität, weil ich mich ja selber einrichte und es mir so leicht gemacht wird. Das ist ja der Große Wurf von Ikea mit den perfekt eingerichteten Zimmern, mit den "angewohnten" Arrangements in Möbelhäusern, so, als würde dort tatsächlich jemand leben. Denn den eigenen Stil zu entdecken und sich selber einzurichten ist sehr schwer.
Ottmar IhlingWir müssen es den Menschen wieder einfacher machen. Ich bin vom Erfolg der Konzepte überzeugt. Wenn Konzepte stimmen, kann man verkaufen. Man muss es den Menschen nur leicht machen, zu konsumieren.
Bettina BillerbeckFrauen lieben nichts mehr als Veränderung - die könnten jedes Jahr alles neu machen Sprechen Sie die Frauen an. Wenn es Ihnen mit Textilien gelingt, immer wieder etwas Neues in den Markt zu bringen, sich schnell zu verändern, schnell Trends aufzugreifen - das kann funktionieren.
Karsten BrandtWer Vorhänge hat, kann die vielleicht ändern. Wer aber noch gar keine Vorhänge hat - erreichen wir den dann auch? Die Raumausstatter klagen: Jedes Jahr bekommen wir drei Kollektionen und müssen ständig wechseln; wir lernen die Kollektionen kaum noch kennen, schon kommt etwas Neues. Jeder von uns kämpft für sich, aber in der Summe kommen die Lieferanten eben nicht voran. Es fehlen die Konzepte.
Ottmar IhlingDas Geld ist da. Die Frage ist: Wie animieren wir die Leute zum Kauf, die schon alles haben?
Bettina BillerbeckWir müssen vom Markt her denken, vom Kunden her. Wir müssen zur Veränderung aufrufen, dem Kunden Ideen und gute Beispiele liefern - und zwar viele. Man muss die Leute dort mit Ideen konfrontieren, wo sie sich interessieren, z.B. mit Internetforen oder bei einflussreichen Bloggern auf Instagram. Leute holen sich ihre Infos sehr gezielt und filtern alles das raus, was sie nicht interessiert. Das funktioniert digital sehr gut.
Karsten BrandtEs fehlen gute Fotos der Hersteller - das sage ich schon seit zehn Jahren
Anke VollenbrökerGute Bilder sind das A und O. Die Produkte müssen bestens dargestellt sein, am besten noch mit 3D-Funktion. Ich muss ein gutes Gefühl für Proportionen bekommen.
Karsten BrandtWir als ITR wollen den Verbraucher von dieser Seite her ansprechen und gehen - ebenso wie die Schöner Wohnen - direkt an den Endverbraucher. Wir versuchen seit Jahren über Facebook, Blogs und Newsletter eine jüngere Zielgruppe zu erreichen, die in den letzten Jahrzehnten mit wenig Stoff aufgewachsen ist.
Joachim StockEine Branchenlösung wäre interessant, da wir uns in einem Prozess befinden, der sich nicht von heute auf morgen ändern lässt. Die ITR versucht, den Endverbraucher zu informieren. Und je mehr mitmachen, desto mehr erreichen wir.
aus
BTH Heimtex 01/17
(Deko, Gardinen, Sonnenschutz)