Handelsportrait
Stoffe bitte anfassen
Zurückhaltend ist die Präsentation von Stoffen wie von Bodenbelägen im Holz-Studio Oberacher. Durch Zuhören und indem die Kunden die Materialien anfassen und dabei erfassen finden Martin und Ulrike Oberacher heraus, welches Produkt das richtige ist.Wer von der Autobahn abbiegt auf die kleine Bergstraße und durch dichten Wald nach Oberndorf in Tirol fährt, ist überwältigt von der Natur. Ein beliebtes Domizil für gut Betuchte. Teure Limousinen mit internationalen Kennzeichen kreuzen den Weg. Im Tal vor der Kulisse des Wilden Kaiser erhebt sich der moderne Bau von Holz-Studio Oberacher. Das Lokalkolorit hat die Innenarchitektin beim Umbau der Ausstellung eingefangen: Die Natürlichkeit eines Holzbodens dominiert den großzügigen Innenraum. Als Zentrum kennzeichnet das kreisförmig angelegte Parkett den stilvoll gestalteten Eingangs-bereich. Ausführung und Design lassen auf hohe Handwerkskunst schließen. Polstermöbel - mal schlicht als unifarbenes Wohnsofa mit farbigen Kissen dekoriert, mal exklusiv als Sitzmöbel mit extravagantem Bezug - bezeugen die gleiche Qualität im Stoffbereich.
Halbhohe Wände übernehmen das Rund des Bodens und umschließen den Ausstellungs- und Empfangs-bereich. Gleichzeitig geben sie den Blick frei auf die beiden Verkaufsflächen. Die Farbe Grün charakterisiert das Holz-Studio, Orange steht für das Stoff-Studio.
Auf beiden Seiten ist jedoch kaum Ware zu sehen. Martin Oberacher hält nichts davon, Kunden mit einer Vielzahl von Wahlmöglichkeiten zu überfrachten. "Als Verkäufer muss ich zuhören, wofür der Kunde seinen Boden will, und dann mit zwei bis drei Griffen den passenden hervorholen und zeigen", erklärt der Parkett-profi und beschränkt sich auf 86 Musterplatten. Sie sind in Schübe mit 60 x 90 cm einsortiert oder als Auszüge mit 75 x 240 cm, die in der Wand verschwinden.
Bodenbeläge und Stoffe sind gleichberechtigt
2015 verwirklichte sich Ehefrau und Mit-Geschäftsführerin Ulrike Oberacher einen lang gehegten Wunsch. Als Pendant zum Boden entstand in gleicher Größe das Stoff-Studio. Der Verkauf von Stoffen für Fensterdekos, Polstermöbel sowie Plissees, Jalousien und Rollos erfolgte bis dato mehr aus der Werkstatt heraus und war von der Ware dominiert. Die Gondeln mit Dekoschals und Polsterstoffen verbannt sie jetzt aus dem Sichtfeld. "Wir brauchen keine Selbstbedienung", betont die Beraterin. Ebenso sind die Musterbücher aus dem Blick verschwunden. Sie liegen weiterhin griffbereit in den neuen weiß gepolsterten Schränken. Innenliegender Sonnenschutz an den hinterleuchteten Paneelen kommt als technische Alternative zu Stoffvorhängen ins Sichtfeld. Mit dem Konzept hat Oberacher eine Wohlfühlatmosphäre für die Beratung geschaffen. Ebenso wie im Holz-Studio können am Touchscreen Lösungen anhand von Referenzobjekten angeschaut werden. Die Geräte sind in die Wand integriert und mit den spezifischen Beispielen gefüttert.
Stoffe sind emotionale Produkte, haben aber auch funktionale Eigenschaften. Ulrike Oberacher möchte, dass sich ihre mehrheitlich weiblichen Kunden in die Materie einfühlen, ohne vom Design abgelenkt zu werden. 3 m lange, unifarbene Stoffbahnen in Orange hängen daher von der Decke. Die Schneider-meisterin animiert zum Anfassen, um die Haptik der unterschiedlichen Materialien zu erspüren: Mikrofaser, Leinen, Baumwolle, Wolle oder Kunstfasern sowie Mischgewebe, aber auch Leder, Kunstleder und Alcantara. "So begreifen die Kunden auch die Eigenschaften der Stoffe besser." Je nach Einsatz und Anspruch ans Material trifft sie die passende Vorauswahl in den Designs. Auf dem Beratungstisch liegen dann nur die vier oder fünf Stoffe, die auch in Frage kommen.
Bei moderner Architektur ersetzt meist innenliegender Sonnenschutz - etwa Plisses, Rollos oder Schiebe-vor-hänge - den klassischen Stoff. Doch in den traditionell eingerichteten Wohnungen darf es auch etwas mehr Textiles sein. Gefütterte Leinen-Vorhänge zum Zuziehen sind in Tirol keine Seltenheit. "In der Fensterdekoration ist in Österreich ein West-Ost-Gefälle zu spüren", erklärt Ober-acher. Im Osten sind Stores gefragt, schwere Stoff-qualitäten mit Trachten-Motiven dagegen im Westen.
Großer Zusammenhalt im Team
Hauptumsatzträger bei Oberacher ist der Boden, zu etwa 80 % Parkett. Häufig kommen Kunden über diesen Weg ins Stoff-Studio. Mit dem sortimentsübergreifenden Angebot nutzt die Firma einen Synergieeffekt, tritt aber nicht als ganzheitlicher Wohnraumgestalter auf, sondern bleibt Dienstleister. "Wir präsentieren nicht fertige Lösungen, sondern helfen Architekten, ihr Design umzusetzen", erklärt Ulrike Oberacher. Als gelernte Trachtenschneiderin fertigt sie auch aufwendige Stickereien in perfekter Handarbeit an.
Zu den Kunden zählen neben Privat- und gehobenen Objektkunden aus der Region auch Innenarchitekten und Architekten einer elitären Kundschaft mit Villen im Tiroler Unterland oder Zweitwohnung in Kitzbühel. Für sie legen die Profis im Holz-Studio exklusive Holzböden auch mit eigens gefertigten Manufakturdielen und hohem Schwierigkeitsgrad in der Ausführung. Der Verzicht auf Sockelleisten oder das Vorhandensein klimatisch extremer Bedingungen erfordert sowohl Know-how beim Material als auch Präzision in der Verlegung.
Dazu kommen dann oft die Anfragen für spezielle Polstermöbel. Eine gepolsterte Bank um den Kamin herum etwa, realisieren die Oberachers dann im Duo. Mit der komplett eingerichteten Schreinerei und ihrer Polsterei setzen sie diese Aufträge um. "Qualität ist die Summe aus Produkt und Handwerksleistung", sind sich die Handwerksprofis einig.
Qualifizierte Mitarbeiter sind die Basis für das Geschäftsmodell. Nur so lassen sich auch außergewöhnliche und anspruchsvolle Designvorgaben funktionsfähig realisieren. Die Oberachers können sich auf ihr 24-köpfiges Team verlassen - alles ausgebildete Fachkräfte, die hinter dem Unternehmen stehen und das Leitbild mittragen. Insgesamt fünf Meister in den Sparten Tischler, Bodenleger, Schneiderin und Tapeziererin arbeiten im Betrieb und bilden gleichzeitig Nachwuchskräfte aus.
Der familiäre Umgang und der geschäftliche Erfolg machen es möglich, zum Betriebsausflug fünf Tage nach Kroatien zum Segeln zu fahren. Martin Oberacher teilt das maritime Hobby mit neun seiner Mitarbeiter. Gemeinsam haben sie auch den Segelschein erworben. So chartern sie dann drei Boote und gehen auf Tour. Teilweise sind auch Familienmitglieder oder der Außendienstmitarbeiter eines Lieferanten mit an Bord.
Das gegenseitige Vertrauen und der Zusammenhalt im Team prägten auch den Wiederaufbau nach einem Brand im Jahr 2015. Der Umbau des Holz-Studios war fertig, das Stoff--Studio wurde gerade eingerichtet, als das komplette Gebäude niederbrannte. Bereits zwei Tage später ging es auch mit Hilfe von Nachbarn in einem Provisorium weiter.
Für die Zukunft ihrer Firma haben die Oberachers bereits Vorbereitung zur Nachfolge getroffen. Zusammen mit Sohn Simon, einem Bodenlegermeister, soll Neffe Marco Koidl den Betrieb später leiten. Der ausgebildete Verwaltungsfachmann wurde daher bereits mit Anteilen an der Geschäftsführung beteiligt. Als Spezialist in ihren jeweiligen Bereichen teilen sie sich die Verantwortung. "Mit der Verteilung auf zwei Schultern haben die beiden Betriebsnachfolger hoffentlich auch noch genügend Zeit für ihre Familie", betont Martin Ober-acher, der rechtzeitig übergeben möchte. Tochter Maria absolviert gerade ihre Ausbildung im Bereich Raumausstattung.
Für das Ehepaar Oberacher ist in der Nachfolge nicht wichtig, wem der Betrieb gehört, sondern dass er zukunftsfähig funktioniert. Tischlermeister Martin Oberacherhat das Unternehmen 2001 gegründet. 2008 wurde dann das Holz-Studio am heutigen Standort gebaut. Ulrike Oberacher hat parallel den Bereich der Raumausstattung aufgebaut. |
Silvia Mändle
aus
BTH Heimtex 01/17
(Handel)