Dekorative Oberflächen: Digitaldruck an der Schwelle zur industriellen Produktion

Serienreife mit Luft nach oben


Immer größere Designvielfalt, immer kürzere Produktlebenszyklen, immer kleinere Losgrößen - der Wandel im Geschäft mit dekorativen Oberflächen stellt die Dekordrucker schon seit längerem vor Herausforderungen. Flexibler produzieren, heißt die Devise. Dabei hat der Digitaldruck sein Potenzial noch längst nicht ausgeschöpft.

Passé sind die Zeiten, in denen die Rotationen der Dekordrucker über die gesamte Woche hinweg pausenlos ratterten, um ein und dasselbe Dekor aufs Papier zu bringen. Hundert und mehr Tonnen waren keine Ausnahme. Inzwischen ist die Designvielfalt schier unermesslich, und immer schneller lösen neue Kollektionen die alten ab. Im europäischen Markt liegt die Losgröße einer durchschnittlichen Order noch gerade einmal irgendwo zwischen fünf und zehn Tonnen. Schwindende Aufträge durch Fertigungsverlagerungen - global ebenso wie innerhalb der Produktwertschöpfungskette - sorgen zusätzlich für Überkapazitäten und stellen die Unternehmen vor große Herausforderungen.

Auf der Suche nach flexibleren Produktionsmöglichkeiten floss daher seit der Jahrtausendwende bei Anwendern wie Herstellern viel Zeit und Geld in die Entwicklung und Integration geeigneter Digitaldrucklösungen. Doch zunächst kamen die in Frage kommenden Drop-on-Demand-Inkjet-Maschinen im Dekordruck nicht über das Prototypenstadium hinaus. In großen Formaten werden seit einigen Jahren Ausmusterungen und Kleinserien sowie in kleineren Formaten Kanten- und Leistenprodukte ebenfalls in Kleinserien digital produziert. Anders als in anderen Industrien, etwa dem Standard-Fliesendruck und nennenswerten Teilen des Textildrucks, konnten die speziellen Anforderungen an die Herstellung von Laminat-Dekoren bis heute jedoch nur in kleinen Schritten erfüllt werden.

Erste Installationen mit voller Dekorbreite

Trotz aller Hürden sehen führende Dekordrucker sich inzwischen an der Schwelle zu einem digitalen Produktionsniveau, das dem gängigen Tiefdruck in absehbarer Zeit ernsthaft Konkurrenz machen kann. Alle beteiligten Unternehmen setzen dabei auf das Single Pass-Inkjet-Verfahren mit wasserbasierten Tinten. Bei Interprint in Arnsberg ging bereits 2015 die weltweit erste KBA Rotajet mit einer Druckbreite von 1.680 mm und Leistungen bis zu 150 m/min in die Serienproduktion (siehe Kasten Interprint). Mittlerweile betreibt auch Mitbewerber Impress in seinem Kompetenzzentrum für Digitaldruck im österreichischen St. Veit eine KBA Rotajet im Testbetrieb - allerdings mit der vollen Dekorbreite von 2.250 mm. Die Maschine soll künftig ausgewählte Möbel- und Fußbodendekore aus der Standardkollektion drucken.

Schattdecor hat kürzlich ebenfalls den Übergang vom digitalen Klein- auf das Großformat vollzogen. In Thansau wurde Ende 2016 nach dreijähriger Entwicklungsarbeit zusammen mit den Maschinenbauern Palis und Rotodecor eine industrielle Single Pass-Anlage mit 2.250 mm Breite in Betrieb genommen. Technik-Vorstand Roland Heeger: "Beide Verfahren schaffen optisch gleiche Dekorbilder. Der Unterschied ist mit dem bloßen Auge nicht zu sehen, lediglich mit technischen Hilfsmitteln ist er erkennbar." Schließlich reiht sich Surteco in die Riege ein - mit der Ankündigung eines neuen Digitaldruckkonzeptes, für das am Bausch-Linneman Standort Sassenberg in diesem Frühjahr der Startschuss fallen soll.

Hinter all den Aktivitäten steckt der gleiche Antrieb: Mit der Weiterentwicklung und Umstellung des Dekordrucks auf Digitaltechnik könnten die Unternehmen ihre Betriebseffizienz deutlich steigern. Die Vorteile gegenüber dem analogen Rotationsdruck liegen auf der Hand: Zeit- und Kosteneinsparungen durch wegfallenden Aufwand für Zylindergravuren und Maschineneinrichtungen, drastisch reduzierte Produkteinführungszeiten, kurzfristig und quasi jederzeit mögliche Designänderungen und deutlich kürzere Rüstzeiten sind schlagkräftige Argumente. Hinzu kommt die durch die digitale Bebilderung beliebig mögliche Anzahl von Rapporten (Musterwiederholungen) innerhalb eines Designs, die bislang im Tiefdruck auf die Abmessung des Walzenzylinders beschränkt bleibt. Generell wird die Rentabilitätsschwelle für digitale Produktionstechnologien kontinuierlich weiter steigen, wenn mit zunehmender Nachfrage aus der Industrie die Preise für Highend-Inkjet-Technologien nebst der dazugehörigen Tinten weiter fallen.

"Digitaldruck wird die Mastertechnologie"

Surtecos Ankündigung zum Einstieg in den industriellen Digitaldruck kommt zu einem Zeitpunkt, an dem manch anderes Unternehmen schon viel Lehrgeld bezahlt hat. Aber auch für die Buttenwiesener ist die Technik natürlich nicht neu. Bei Bausch-Linnemann, Produktionsstandort der Gruppe für fertig aufkaschierbare Kanten und Ummantelungen, sammelte man ab 2008 zunächst Erfahrungen mit einem selbst konstruierten Single Pass-UV-Inkjet-Prototypen, bevor 2012 eine erste Serienmaschine mit gleicher Technologie folgte. Mit dem Digitaldruck konnte das Unternehmen neue Produktfelder erschließen und neue Kunden gewinnen. Außer Papier bzw. Folie wird heute beispielsweise im UV-Direktdruck auch Furnier bedruckt. Am Stammsitz der Gruppe in Buttenwiesen, wo im wässrigen Dekortiefdruck in der Fläche auf Papier produziert wird, läuft aktuell für Ausmusterungen eine Multi Pass-Anlage.

Jetzt will das Unternehmen eine neue Ära einläuten und setzt dabei erneut auf eine gemeinsam mit einem Maschinenhersteller konzipierte Eigenentwicklung. In Sassenberg wird das Single Pass-System für wässrige und UV-Tinte installiert. Die 700 mm breite Anlage verfügt über viele Inline-Veredlungsmöglichkeiten wie Lack und haptische Oberflächeneffekte. Basierend auf dieser Maschine ist für Buttenwiesen 2018 dann die große Lösung geplant: eine Single Pass-Digitaldruckanlage mit reinwässrigen Pigmenttinten und voller Dekor-Produktionsbreite von 2.250 mm sowie Geschwindigkeiten oberhalb von 150 m/min. Lars Chabalowitz, Geschäftsbereichsleiter bei Bausch-Linnemann: "Wir haben uns alle am Markt verfügbaren Digitaldrucklösungen sehr genau angeschaut. Grundsätzlich konzentrieren sich die meisten Maschinenbauer auf das Massengeschäft im Bereich Bücher- und Illustrationsdruck. Aber das ist nichts für exotische Produkte. Und wir sind absolute Exoten - egal welche Maschine wir kaufen, wir müssen sie umbauen."

Auf die reine Maschinentechnik will Dr. Martin Staiger, Leiter F+E bei Surteco, die Lösung jedoch nicht reduziert wissen: "Wir sprechen hier nicht nur über die Entwicklung einer Maschine, sondern vielmehr über die Entwicklung eines Konzeptes. Wenn ein Kunde zu uns in die Design Factory kommt, dann bekommt er eine Gesamtlösung". "Wir sind ein Systemanbieter. Der Kunde kauft bei uns nicht nur ein Dekor, sondern die komplette Lösung - er bekommt eine Kante mit der passenden Flächenfolie dazu oder ein Fußbodendekor mit der fertig ausgearbeiteten Fußleiste. Wir bieten Gesamtkonzepte - egal ob analog oder digital - und das in allen möglichen Produktvarianten und in allen durchgängigen Farben" führt Lars Chabalowitz ergänzend aus. Die Einführung einer Reihe neu entwickelter Produkte wurde angekündigt. Generell sei das neue Digitaldruckkonzept für die gesamte Gruppe ausgelegt.

"Der Trend zu kleineren Losgrößen wird sich fortsetzen" meint Dr. Martin Staiger, "aber nur über die Losgröße zwischen analog und digital abzuwägen, wäre zu kurz gesprungen. Bei Fußbodendekoren sind wir mit dem Tiefdruckzylinder immer auf eine gewisse Anzahl verschiedener Dielen beschränkt. Wenn wir den Digitaldruck einsetzen, können wir uns so viele Dielen ausdenken, wie wir möchten - oder auch vollkommen anders gestaltete Dekore." Hat also der Tiefdruck auf lange Sicht noch eine Berechtigung? "Für beide Technologien wird es immer eine Daseinsberechtigung geben, aber der Digitaldruck wird die Mastertechnologie werden", ist der Druckexperte Lars Chabalowitz überzeugt.

Imke Laurinat
aus Parkett Magazin 03/17 (Bodenbeläge)